Grüne Europagruppe Grüne EFA

180918 biodiv3 Am 18. September fand im Museum Wiesbaden die Präsentation der aktualisierten und überarbeiteten Studie (3. Auflage) statt. 

Im Fokus der Präsentation der erneut aktualisierten und überarbeiteten Studie (3. Auflage) am 18. September im Museum Wiesbaden stellte Autor Stephan Börnecke die neusten Erkenntnisse zum anhaltenden Schwund der Agrarvögel, die weiter unzureichende nationale wie europäische Biodiversitätspolitik sowie die Lage nach dem EU-Verbot für drei der fünf zugelassenen Insektizide aus der Stoffklasse der Neonikotinoide vor. So unterlaufen verschiedene EU-Staaten das Verbot mit Notfallgenehmigungen. Zudem kommen nach und nach andere Gifte auf die Äcker, die ebenfalls systemisch,

das heißt über alle Teile der Pflanze wirken, auf den Markt. Darunter befinden sich Mittel, für deren Gebrauch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit aufgrund der Gefährlichkeit strikte, warnende Vorgaben macht. Überdies zeigen offizielle Zahlen, dass der deutsche Export von Neonikotinoiden trotz eines seit 2013 bestehenden EU-Teilverbots auf den hiesigen Äckern keineswegs gesunken, sondern sogar deutlich von 1756 in 2012 auf 2384 Tonnen in 2017 gestiegen ist. Auch der binnenländische Verbrauch sank weniger als erwartet, hatte sich nicht einmal halbiert.

Der stellvertretende Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Professor Andreas Mulch, zeigte in seinem Vortrag den dringenden Handlungsbedarf auf. Beim anhaltenden Verlust der Artenvielfalt müsse man mit einem Kipppunkt rechnen, von dem an Ökosysteme zusammenbrechen, da auch der „letzte Strang gerissen“ ist. Unter Hinweis auf Erkenntnisse des Stockholm Resilience Centres bewertete auch Mulch den Artenschwund als schwerwiegender als den Klimawandel. Dies umso mehr, als wissenschaftliche Erkenntnisse in ungleich geringerem Umfang vorliegen als zum Klimawandel.

Der immer wieder gehörte Appell geht daher an die politischen und wissenschaftlichen Entscheider, nicht nur Naturschützer zu unterstützen, sondern vor allem die Landwirte bei einer Agrarwende hin zu einer giftfreien Landwirtschaft zu fordern und zu unterstützen.
Die Hauptverantwortung tragen die EU-Mitgliedsstaaten mit ihren jeweiligen Regierungen. Nichtsdestotrotz ist auch die kleinste Maßnahme im Privaten kein überflüssiger Beitrag.

*** Programm***

Wir sind dann mal weg - Die (un)heimliche Arten-Erosion
Eine agroindustrielle Landwirtschaft dezimiert unsere Lebensvielfalt

Die moderne Landwirtschaft provoziert eine unheimliche Artenerosion – und die Politik schaut nicht nur tatenlos zu, sie pumpt weiterhin ziellos Geld in eine falsche Politik. Dabei ist die Frage, ob die Erde vor einem neuen massenhaften Aussterben von Tier- und Pflanzenarten steht, keineswegs absurd. Doch anders als früher sind es keine natürlichen Faktoren. In fast allen Fällen, wenn es um Verluste von Lebensräumen, von Arten, vor allem von Artendichte und Individuenzahlen, wenn es insgesamt um Artenerosion geht, hat die konventionelle Landwirtschaft etwas damit zu tun.

„Moderne“ Anbautechniken nehmen zu wenig Rücksicht auf die Natur. In der Art der Landbewirtschaftung ist der Schlüssel für den Verlust unserer Vielfalt zu finden. Hier muss der Mensch und die Politik jetzt ansetzen, um den dramatischen Trend umzukehren. Und dieser Trend ist viel heftiger, als von der EU und der Bundesregierung in Berlin behauptet. Denn, und das beweisen die Recherchen des Autors, Stephan Börnecke, die Basisdaten sind in weiten Teilen geschönt und verschleiern den Blick auf den Ernst der Lage.

In der Erweiterung der nunmehr dritten Auflage geht es unter anderem um neue Zahlen zur Entwicklung der europäischen Vogelwelt sowie in einem neuem Abschnitt  um die Frage: Werden wir die Bienenkiller Neonikotinoide nicht mehr los?

Denn trotz des Verbot von drei Wirkstoffen gibt es eine Reihe von kaum weniger gefährlichen Insektiziden, auf die Industrie und agrarindustrielle Landwirtschaft nun  zugreifen. Mit teilweise fatalen Folgen und mitunter trotz der Warnung der Behörden. Beleuchtet wird zudem der Mechanismus, wie einige europäische Staaten das Verbot der „Neoniks“ auf völlig legale Weise umgehen – ohne dafür etwa von der EU-Kommission gerügt oder gebremst zu werden.

Gemeinsam mit Ihnen und unseren Gästen möchte ich über neue Erkenntnisse seit der letzten Auflage der Studie im Juli 2017 und den akuten Handlungsbedarf einer Trendwende für die Artenvielfalt in der deutschen und europäischen Agrar- und Umweltpolitik sprechen.

BEGRÜßUNG:  Dipl.-Biol. Fritz Geller-Grimm, Abteilungsleiter Natur des Museum Wiesbaden

GRUßWORT: Andreas Kowol, Stadt Wiesbaden, Dezernent für Umwelt, Grünflächen und Verkehr

EINFÜHRUNG: Martin Häusling, (MdEP) Die Grünen/EFA, agrarpolitischer Sprecher und Mitglied des Agrar- und Umweltausschusses des Europäischen Parlaments.

VORTRAG: Prof. Andreas Mulch, stv. Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Direktor des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt

VORSTELLUNG der neuen STUDIENINHALTE: Stephan Börnecke, freier Journalist und Autor der Studie (im Auftrag von Martin Häusling)

Moderierte PODIUMSDISKUSSION mit: Martin Häusling, Prof. Andreas Mulch, Stephan Börnecke und Oliver Conz (1.Vorsitzender der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz, HGON)

 

Studie zum Verlust an Biodiversität durch Intensivlandwirtschaft
Börnecke, S. (2016): Wir sind dann mal weg: die (un-) heimliche Artenerosion in Europas Agrarlandschaften.
3. aktualisierte Auflage
http://www.martin-haeusling.eu/images/Biodiversität_NEUAUFLAGE2018_RZ_web.pdf

Schlagwörter:

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

Newsletter

Ungültige Eingabe
Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse ein.
Bitte bestätigen Sie.
Ungültige Eingabe