AUFGETISCHT: AGRARPOLITISCHER CRASHKURS
Wir alle ihr lieben gesundes Essen, gärtnern vielleicht schon in einer eigenen Urban Gardening Community und unterstützen lieber kleinbäuerliche Betriebe aus der Umgebung als Monsanto und Co. Wir wollen eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die die Umwelt und Tiere schützt. Nur wenn’s politisch wird, fehlen oft die richtigen Worte. Pestizide, Fungizide, Transfette, Endokrine Stoffe, Neonicotinoide, das alles ist zu kompliziert?
Antworten auf eure Fragen zur Agrarpolitik – kurz, informativ, grün kommentiert
In diesem Blog wollen wir Antworten auf eure drängendsten Fragen rund um das Thema Agrarpolitik geben: Warum haben wir plötzlich zu viel Milch, warum kommt es zu Gülletourismus und warum reden in der Europäischen Landwirtschaftspolitik eigentlich alle nur von Säulen?
Wir freuen uns auf eure Frage und beantworten sie: kurz, informativ, hier und da mit einem kleinen Augenzwinkern und natürlich grün kommentiert.
Schickt uns eure Fragen an: berlin(at)martin-haeusling.eu oder nutzen sie das Formular:
Brauchen Pflanzen wirklich Pflanzenschutz?
Nein. „Pflanzenschutzmittel“ sind Gifte mit gefährlichen Folgen für Mensch und Umwelt. Diese harmlose klingenden Mittel ‚schützen‘ vielleicht eine gewünschte Pflanzenart, töten dabei aber alle anderen Pflanzen und Insekten radikal ab. In der Landwirtschaft werden Erträge kurzfristig gesteigert. Aber der Preis sind instabile Ökosysteme, die immer mehr Pflanzenschutzmittel brauchen, belastete Böden und Gewässer, ein massives Pflanzen- und Insektensterben, zum Beispiel von Bienen und Hummeln, und massiver Rückgang von Vögeln und anderen Arten.Mehr Infos zu Pestiziden wie Round Up/ Glyphosat enthält der kritische Argrabericht. Martin hat zu Neonicotinoiden hier mehr Infos zusammengestellt.
Auch für den heimischen Garten sollte auf chemische Mittel verzichtet werden. Tipps und Ideen stehen im Informationsportal des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltige Landwirtschaft (BÖLN).
Die wahren Kosten der Lebensmittel oder warum ist bio denn nun so viel „teurer“ als konventionell?
Wir alle zahlen für unsere Lebensmittel an der Landenkasse einen Preis. Der spiegelt aber nicht alle Kosten wieder, die dieses Lebensmittel beinhaltet. Auf allen Ebenen der Produktion entstehen sogenannte externe Kosten. Nur wenn man die externen Kosten mitberechnet, kann man die wahren Preise der Lebensmittel bestimmen. Biolebensmittel werden mit deutliche mehr Sorgfalt und Rücksichtnahme auf Naturschutz und Tierwohl produziert. Das ist arbeitsintensiv und kostet daher direkt mehr. Konventionelle Lebensmittel kommen uns Verbraucher indirekt aber deutlich teurer zu stehen, da die Umwelt belastet wird und die Gesellschaft die Nachsorgekosten tragen muss. Besonders klar wird dies am Beispiel Trinkwasser und zunehmende Verunreinigung durch zum Beispiel Nitrat. Wasserversorger warnen daher schon vor steigenden Preisen:
Rülpsen unsere Kühe zu viel oder warum heizt die Landwirtschaft das Klima an?
Mehr als 7 % der deutschen Treibhausgasemissionen stammen aus der Landwirtschaft. Die Produktion von Düngemitteln, das Abholzen des Regenwalds, das Autrocknen von Mooren, der Grünlandumbruch - all das heizt unser Klima weiter an. Dabei kann die Landwirtschaft zum Klimaschutz beitragen. Besonders Rinder auf der Weide sind ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz. Insofern muss man das Rülpsen von Kühen differenziert sehen. Schädlich ist es dann, wenn sie überwiegend mit Kraftfutter gefüttert werden, denn dann tragen sie nicht zum Grünlandschutz bei. Im Ackerbau ist klar: Hier hat der der Ökolandbau beim Klimaschutz die Nase vorn.
Mehr Infos im Artikel Klimaschutz durch ökologischen Landbau.
Wofür bekommen Bauern eigentlich so viel Geld aus Brüssel?
Deutschland bekommt jährlich 6,2 Milliarden Euro aus dem europäischen Agrarhausalt. Die Gelder der 1. Säule bekommen die Landwirte pro Hektar Fläche. Mit Geldern aus der 2. Säule können zum Beispiel die ländliche Entwicklung und der Ökolandbau gefördert werden. Die Verteilung der Mittel ist alles andere als gerecht und hat einen dringenden Reformbedarf, denn die Anforderungen an eine langfristig nachhaltige Produktion sind viel zu lasch. Wie man das Geld an sinnvolle Auflagen knüpfen kann, hat Martin im Standpunkt hier zusammengestellt.
Warum brauchen wir noch Tiere in der Landwirtschaft?
Der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern wird immer wieder kritisiert und wir haben in Deutschland zu viele Tiere. Von der Milch und dem Fleisch geht immer mehr in den Export. Die industrielle Tierhaltung ist für viele Umweltprobleme mitverantwortlich. Tierhaltung und Umweltschutz: Das geht aber auch zusammen, mit extensiver, flächenangepasster Haltung auf Weiden und Almen. Ob Tiere für den Ackerbau unverzichtbar sind, also eine langfristige Aufrechterhaltung der Bodenfruchtbarkeit ohne Tierexkremente im Ackerbau überhaupt möglich ist, das wird noch erforscht und ist bisher nicht abschließend geklärt. Weitere Infos gibt es hier zu "Die Kuh ist kein Klimakiller" und im Fleischatlas 2018.
Mir stinkts! Warum haben wir eigentlich zu viel Gülle?
Gülle, der Urin und Kot von Kühen und Schweinen, enthält viele wichtige Nährstoffe und ist damit Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist organischer Dünger (wenn er NICHT mit Medikamenten belastet ist) das Beste für die Böden (hier ist Mist deutlich besser als Gülle). Andererseits ist ein Zuviel schlecht für die Boden, das Grundwasser und die Artenvielfalt. Ein Abbauprodukt - Nitrat - ist für den Menschen gesundheitsgefährdend. Wenn deutlich mehr Tiere gehalten werden, als die zugehörigen Flächen Urin und Kot aufnehmen können, dann haben wir eindeutig zu viele Tiere auf zu wenig Fläche. In der industriellen Tierhaltung ist das die Regel. Deswegen fordern wir Grüne eine „flächengebundene“ Tierhaltung. Und natürlich keine massenhaften Antbiotikarückstände in der Gülle. Mehr Infos über zu viele Tiere, zu viel Fleisch, zu viel Gülle im Fleischatlas 2018.
Wer Ernährt nun eigentlich die Welt?
Die gute Nachricht zuerst: Theoretisch werden genug Lebensmittel produziert, um alle Menschen auf der Welt satt zu bekommen. Und überraschenderweise sind es nicht die großen Agrarkonzerne, sondern vor allem Kleinbauern, die die Ernährung der 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten sichern. Dass trotzdem immer noch rund 800 Millionen Menschen hungern, hat zum einen etwas mit großen Verlusten bei Lagerung und Transport zu tun, zum anderen auch mit dem Zugang zu Lebensmitteln. Darüber hinaus werden die fruchtbarsten Regionen der Erde mit äußerst wenig effizienten, nicht nachhaltigen landwirtschaftlichen Methoden bewirtschaftet: Was Böden kaputt macht, Erosion erzeugt, Wasserkreisläufe stört und die Artenvielfalt vernichtet. Lokale agrarökologische und vielfältige Agrarsysteme können ein Vielfaches an Kalorien produzieren, das unsere sogenannte „moderne Landwirtschaft“ produziert. In Studien hat man herausgefunden, dass agrarökologische Anbausysteme und Ökolandbau in den Tropen bis zu 190 % dessen an Ernte erzielen, wie der konventionelle Landbau – ohne Bodendegradation, Wasserbelastung und Artenschwund. Eine Ernährung der Menschheit mit agrarökologischen Methoden wäre überhaupt kein Problem. Wie es anders gehen kann, haben der Journalist Stephan Börnecke und die Agrarwissenschaftlerin Dr. Andrea Beste hier beschrieben.