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130624 Titel AntibiotikaÜber den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und die Zunahme von resistenten Bakterien

Mai 2015 - Die aktualisierte Studie im Auftrag von Martin Häusling, MEP
Autor: Kathrin Birkel

Mitschnitt der Veranstaltung zur Studienvorstellung vom 13.05.15 in Berlin

„In den letzten Jahren ist es in Europa zu einem explosionsartigen Anstieg resistenter Mikroorganismen gekommen, die in der Humanmedizin nicht mehr durch eine Antibiotika-Therapie behandelbar sind. Eine der Hauptursachen ist der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Tiermast. Dieser Entwicklung muss dringend und konsequent etwas entgegengesetzt werden. In der Tierhaltung werden in Deutschland mehr als doppelt so viel Antibiotika eingesetzt – nämlich über 1700 Tonnen, wie im gesamten Humanbereich (hier sind es 800 Tonnen). Das fördert massiv die Entwicklung von Resistenzen. Wer sich nicht für einen deutlich stärkeren Rückgang des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung einsetzt, nimmt fahrlässig eine Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung in Kauf.
Unabhängig von der Ausgestaltung der Antibiotika-Politik in den einzelnen Mitgliedstaaten brauchen wir hier ein gesamteuropäisches Vorgehen.

Die von mir in Auftrag gegebene Studie zeigt: Wenn eine Mehrzahl der Mitgliedstaaten das Antibiotika-Problem weiterhin negiert, gelangen durch den ausgeprägten europaweiten Nutztierhandel multiresistente Keime auch in Länder, die den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung restriktiv handhaben. Ein koordiniertes Vorgehen ist also nötig, um eine Aussicht darauf zu haben, den Kampf gegen resistente Bakterien gewinnen zu können."

Bei der Bekämpfung des zu hohen Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung hinkt Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hinterher – trotz der gravierenden Risiken, die resistente Bakterien für VerbraucherInnen und vor allem PatientInnen haben können. Wie die Autorin der Studie, Dr. Kathrin Birkel, erläutert, haben Fleisch produzierende Länder wie Dänemark oder die Niederlande in den letzten Jahren mit teils ehrgeizigen Maßnahmen auf die Gefahren reagiert, die der leichtfertige Umgang mit Antibiotika mit sich bringt:

„Die Niederlande haben die Verkaufszahlen für Antibiotika im Tierbereich innerhalb von drei Jahren um 50 Prozent reduziert. Dänemark hat ein strenges Kontrollsystem eingeführt, bei dem Betriebe mit auffälligem Antibiotika-Gebrauch die gelbe oder rote Karte erhalten und dementsprechend bestraft werden. In diesen Ländern hat Verbraucherschutz anscheinend  Vorrang vor Wirtschaftsinteressen - anders als in Deutschland.“

In Deutschland soll seit mehr als einem Jahr das Arzneimittelgesetz geändert werden. Eine zahnlose Vorlage von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner lehnte der Bundesrat ab, eine Einigung im Vermittlungsausschuss steht noch aus. Das Zögern und Zaudern der Bundesregierung sei der Lage völlig unangemessen, sagt Birkel: „Der übermäßige Antibiotika-Einsatz in den Zucht- und Mastbetrieben trägt zur Entwicklung resistenter Keime bei. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einem Zeitalter, in dem Antibiotika gegen Bakterien nichts mehr ausrichten können. Die Regierung steht hier in der Verantwortung. Sie muss den Antibiotika-Verbrauch in der Landwirtschaft so eindämmen, dass die Gesundheit der Bürger und Bürgerinnen nicht aufs Spiel gesetzt wird.“ Die Förderung einer besonders tiergerechten Haltung sei dabei Grundvoraussetzung, so die Autorin.

Martin Häusling stellt daher folgende Forderungen auf:
1 Beschluss einer europaweiten, für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Strategie und eines Maßnahmenpakets zur Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung.
2 Reduktion des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung bis zum Jahr 2018 um 50 Prozent gegenüber dem Niveau von 2012.
3 Neudefinition europaweiter, eindeutiger und umfassender Standards einer tiergerechten Haltung. EU-Subventionen werden zukünftig an deren Einhaltung und eine verpflichtende Betriebsberatung für tierhaltende Betriebe gebunden.
4 Neudefinition von Züchtungszielen - weg von anfälligen „Hochleistungstieren“ und Rückbesinnung auf widerstandsfähige Tierrassen.
5 Verbot des Einsatzes von der WHO als für den Menschen besonders wichtig eingestufter „Notfall-Antibiotika“ (Reserve-Antibiotika) in der Tiermedizin.
6 Überprüfung der Trennung von Verschreibung und Verkauf von Antibiotika durch den Tierarzt (Dispensierrecht) in der Nutztierhaltung. Kein Mengenrabatt auf verschriebene Antibiotika.
7 Verbot der systematischen Prophylaxe, Metaphylaxe (Vorbeugung in Gruppenhaltungen) sowie des Einsatzes von Antibiotika in unter therapeutischen Dosen liegenden Mengen.
8 Erfassung aller Antibiotika-Einsätze in der Tierhaltung in einer zentralen Datenbank: Eine EU-weiten elektronische Datenbank muss Behörden einen Überblick über alle verkauften und verabreichten Antibiotika (aufgeschlüsselt nach Betrieb, Präparat, Tier, Tagesdosis und Behandlungsdauer) verschaffen, um einen Abgleich von verkauften und eingesetzten Mitteln und frühzeitige Reaktion auf Fehlentwicklungen und neue Antibiotika-Resistenzen zu ermöglichen.
9 Öffentliche Bekanntgabe von Betrieben und Personen, die wiederholt gegen Auflagen verstoßen.
10 Rote Karte für Antibiotika-Missbrauch: Einführung des „Yellow-(Red-)Card“-Prinzips, mit dem Behörden unverhältnismäßige Antibiotika-Gaben kontrollieren und sanktionieren können.
11 Hinreichende EU-weite gleiche Sanktionsmöglichkeiten, die das Risiko weitere Resistenzen wirksam verhindern können. Im Extremfall müssen Behörden Betriebslizenzen entziehen können.
12 Verbreitung von Resistenzen senken: Systematische Erfassung und Markierung von Betrieben und Regionen mit ähnlichen Resistenzen, verbunden mit der Möglichkeit zur Einschränkung des Austausches von Tierbeständen zwischen Betrieben.

Studie zum Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, 2015
Birkel K. 2013: Masse statt Klasse. Eine Haltung, die krank macht. Über den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und die Zunahme von resistenten Bakterien.
Aktualisierte Auflage 2015
http://www.martin-haeusling.eu/images/BroschuereAntibiotika_Neu2015_WEB.pdf

 

Studie zum Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, 2013
Birkel K. 2013: Masse statt Klasse. Eine Haltung, die krank macht. Über den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und die Zunahme von resistenten Bakterien.
http://www.martin-haeusling.eu/images/publikationen/130622_BroschuereAntibiotika_END.pdf

Diese Studie entstand anlässlich des Berichtes des Europäischen Parlaments zum Kampf gegen Antibiotikaresistenzen für den Martin Häusling Berichterstatter einer Stellungnahme (Opinion) im COMAGRI war.

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

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