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25 August 2021 Süddeutsche Zeitung Wirtschaft - von Silvia Liebrich

Panikmache mit traurigen Hundeaugen
Die EU will die Regeln für Antibiotika in der Tierhaltung verschärfen. Der Verband der Tierärzte ist dagegen - und kämpft mit fragwürdigen Methoden

München - Wenn es um die eigene Katze oder den eigenen Hund geht, verstehen viele Menschen keinen Spaß. Groß ist die Sorge, dass den geliebten Mitbewohnern etwas zustoßen könnte. Kein Wunder also, dass Tierhalter hellhörig werden, wenn die lebensrettenden Antibiotika für Tiere angeblich verboten werden sollen.

Genau das suggeriert eine Kampagne des Bundesverbands praktizierender Tierärzte, etwa auf einem Plakat mit traurigen Hundeaugen und der alarmierenden Aufschrift „Mein Leben ist in Gefahr!“ - und darunter in großen Lettern: „Bitte unterschreibe, damit auch in Zukunft alles für meine Gesundheit getan werden kann.“ Ausgehängt sind diese Plakate derzeit in vielen Tierarztpraxen, daneben Formulare zur Unterschriftensammlung. Die Aufregung ist groß. Aber ist sie auch berechtigt?

Hintergrund der Kampagne sind Pläne auf EU-Ebene, den massenhaften Einsatz und Missbrauch von Antibiotika in Großställen etwa für Schweine und Geflügel einzudämmen. Insbesondere für Menschen wichtige Antibiotika, so sieht es eine EU-Verordnung vor, sollen aus Ställen verbannt werden. Der Umweltausschuss des Europaparlaments hat daher die EU-Kommission aufgefordert, fünf Antibiotika-Gruppen offiziell als sogenannte Reserveantibiotika einzustufen.

Reserveantibiotika sind Medikamente, die bei schweren Infektionskrankheiten verwendet werden, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken.

Gleichzeitig soll die Kommission einen Gesetzesentwurf vorlegen, der die sogenannte Einzeltierbehandlung auch mit diesen Reserveantibiotika zulassen soll. Das bedeutet: Haustiere dürften demnach auch weiterhin mit den Wirkstoffen behandelt werden.

Beim Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) schätzt man die Lage dagegen völlig anders ein: Tierhalter müssten erfahren, was in Brüssel weitgehend im Verborgenen vor sich gehe und welche Konsequenzen die zu befürchtende Entscheidung für ihre Tiere haben werde, schimpft Siegfried Moder, Präsident des Bundesverbands in einem Aufruf zur Unterschriftenaktion. Fakt sei, dass das europäische Parlament wissenschaftliche Fakten ignoriere und nicht nur, wie vorgegaukelt werde, Nutztiere von einem Anwendungsverbot betroffen wären, sondern alle Tierarten. Welche wissenschaftlichen Fakten seiner Ansicht nach da genau ignoriert werden, lässt er offen.

Molder schreibt weiter: „Zum Wohl aller Tiere müssen wir uns deshalb dafür einsetzen, dass alle für die Tiermedizin zugelassenen Antibiotika auch in Zukunft weiter zur Behandlung zur Verfügung stehen. Anderenfalls würde es schlimmstenfalls den Tod vieler Tiere bedeuten.“

Der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne), Mitglied im Umweltausschuss, widerspricht dieser Darstellung vehement: „Die medizinische Versorgung von Haus- und Einzeltieren mit Antibiotika ist weder aktuell noch zukünftig gefährdet“, sagt Häusling. Weder direkt noch indirekt sei ein „weitreichendes Antibiotikaverbot“ in Sicht. „Das ist gefährlicher Unsinn, der hier verbreitet wird“, kritisiert Häusling. Rückendeckung erhält der Abgeordnete unter anderem von der Deutschen Umwelthilfe. Diese hat eigenen Angaben zufolge ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass zeige, dass es rechtssicher möglich sei, Haustiere wie Pferde, Hunde oder Katzen von den neuen Regeln auszunehmen.

Tatsächlich könnte hinter der emotional geführten Debatte noch etwas anderes stecken als die Sorgen des Tierärzteverbands um Bello und Mieze. Denn der Einsatz von Antibiotika ist auch ein lukratives Geschäft, nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern vor allem für Tierarztpraxen, die auf große Tierställe spezialisiert sind und an der Antibiotika-Abgabe gut verdienen.

Hersteller gewähren nach Angaben von Brancheninsidern oft großzügige Rabatte, je mehr davon abgenommen wird, umso größer der Preisnachlass. Ein Anreiz, weniger zu verbrauchen, ist das nicht. Selbst für Menschen wichtige Reserveantibiotika werden nach wie vor häufig in der Geflügel- und Schweinehaltung eingesetzt, das zeigen Daten aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Auch dort sieht man dringenden Handlungsbedarf.

Dass insgesamt weniger Antibiotika eingesetzt werden sollten, darüber herrscht unterdessen weitgehender gesellschaftlicher Konsens. Denn je mehr davon verabreicht wird, desto eher können multiresistente Erreger entstehen, diese „breiten sich weltweit aus und könnten schon in der nahen Zukunft die sichere Behandlung von tödlichen Infektionskrankheiten bedrohen“, heißt es beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Auch die Weltgesundheitsbehörde WHO warnt seit Jahren davor.

Das EU-Parlament soll im September über die Einschränkung von Antibiotika in der Tierhaltung entscheiden. In Kraft treten könnte eine neue Regelung im kommenden Jahr.

Ein Verbot von Antibiotika? „Unsinn“, sagt ein Europa-Abgeordneter

 

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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