Berliner Ztg.- Gentechnik - Heilsbringer oder Teufelszeug
Berliner Zeitung 23.01.2014 Von Stefan Sauer
Am geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA scheiden sich die Geister. Eine neue Studie zu gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Nutznießern mahnt dazu, Einfuhr zum Verbraucherschutz beizubehalten.
Die einen erwarten Wachstumsimpulse und Wohlstandsgewinne, die anderen warnen vor Gesundheitsbelastungen, Umweltschäden und Fremdbestimmung durch wenige Großkonzerne. Zu ersteren zählt das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo, das in der EU mehr als 400 000 zusätzliche Arbeitsplätze und für die Bundesrepublik ein Wohlfahrtsplus von 4,7 Prozent vorhersagt, sollte ein umfassendes transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA zustande kommen. Zu den anderen zählt das Netzwerk Campact, das die Aushöhlung von Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit prophezeit und bereits 325.000 Unterschriften gegen das Abkommen gesammelt hat. Fakt ist: Seit Mitte 2013 verhandeln EU und USA über Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP).
Freier Marktzugang
Ziel der Verhandlungen ist es, nicht nur Zölle abzuschaffen (was bereits weitgehend geschehen ist), sondern indirekte Handelshemmnisse abzubauen, die etwa die Einhaltung von Normen und Produktzulassungen betreffen. Würden solche Hemmnisse verschwinden, könnten gerade klein- und mittelständische Unternehmen von ungehindertem Zugang zum amerikanischen Markt profitieren, heißt es in einer Ifo-Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums: Eine umfassende Liberalisierung des Handels liege „eindeutig im deutschen Interesse“. Ohne Abkommen gerieten die Europäer gegenüber pazifischen Staaten sowie den Wirtschaftsriesen China und Indien ins Hintertreffen.
Das sehen insbesondere Umweltschützer, Ökobauern und auch konventionell wirtschaftende Landwirte völlig anders. Sie befürchten, mit einer umfassenden Liberalisierung fielen europäische Hürden gegen Hormonfleisch und Chlorhühner, vor allem aber gegen gentechnisch veränderte Pflanzen. Würden diese unter dem Schutz des Freihandelsabkommens ungehindert nach Europa eingeführt werden, sei es mit dem vorsorgenden Gesundheits- und Verbraucherschutz in Europa vorbei. Auch die wirtschaftlichen Folgen wären gravierend, wie der Geschäftsführer der größten deutschen Ölmühle, Bertram Brökelmann, warnt: „Die Chinesen kaufen nicht amerikanisches Speiseöl, sondern unser Öl, weil sie wissen: Sie bekommen Qualität ohne Einsatz von Gentechnik. Kommt es zu Verunreinigungen, dann ist das Geschäft für uns verloren.“
Für andere würde es dafür brummen, wie Agrarwissenschaftler Christoph Then in einer aktuellen Studie zeigt. Then listet in seiner Untersuchung, die vom Europaabgeordneten der Grünen Martin Häusling in Auftrag gegeben wurde, 55 gentechnisch veränderte Pflanzen auf, für die in der EU eine Zulassung beantragt wurde. 47 solcher Lebensformen sind bereits als Futtermittel auf dem europäischen Markt verkäuflich, zwei weitere dürfen sogar angebaut werden. Die neuesten Gen-Tech-Pflanzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie einerseits Gifte gegen Insekten und andere Schädlinge beinhalten und andererseits gegen Unkrautvernichtungsmittel unempfindlich sind. Agro-Konzerne wie Monsanto und Bayer verdienen laut Then doppelt: Zunächst am Verkauf des gentechnisch veränderten patentgeschützten Saatgutes, anschließend an Herbizid-Wirkstoffen wie Glyphosat und Glufosinat, die diese Pflanzen vertragen. „Das ist ein Milliardengeschäft“, sagt Then.
EU verordnet Denkpause
Und eines mit Zukunft: Schon werden auch andere Lebensformen, etwa Pappeln und Obstbäume oder auch Schädlinge wie die Olivenfliege, gentechnisch verändert, um Erträge zu erhöhen und unliebsame Mitesser zu tilgen. Dabei seien dahingehende Verheißungen der Gen-Tech-Konzerne aus der Vergangenheit nie Wirklichkeit geworden, so Häusling. Durch den Anbau gentechnisch veränderte Pflanzen sei weder der Einsatz giftiger Chemikalien in der Landwirtschaft zurückgegangen noch seien die Erträge dauerhaft gestiegen. Oft sei das genaue Gegenteil eingetreten. „Wir sollten diese Pflanzen aus Europa heraushalten“, findet der Grünen-Politiker. Die Furcht, „den Anschluss“ an eine völlig verfehlte Agrarstrategie zu verlieren, sei absurd.
Auch die EU-Kommission scheint von der wachsenden Kritik am TTIP-Abkommen beeindruckt und verordnete eine „Denkpause“, um über mögliche Folgen des transatlantischen Freihandels mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Wie aufrichtig das Angebot ist, sei dahingestellt. Denn die Denkpause soll pünktlich am 25. Mai, dem Tag der Europawahl, enden. Anschließend wird zügig weiter verhandelt.
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