FR - Gesetz zur Wiederherstellung der Natur: Populismus kontra ökologische Vernunft
Frankfurter Rundschau vom 14.06.2023
Um ein Gesetz für biologische Vielfalt zu Fall zu bringen, beschwören die Konservativen im EU-Parlament eine Gespensterdebatte herauf.
Gastbeitrag von Martin Häusling
Gegenwärtig vollzieht sich im Europaparlament auf offener Bühne ein absurdes und unverantwortliches Possenspiel, angezettelt von der EVP (Pendant der CDU im Europaparlament), das in seinen Auswirkungen verheerende Konsequenzen für die Natur haben könnte. Es geht um einen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission: Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das sogenannte Nature Restoration Law. Um dieses Gesetzesvorhaben wird jetzt erbittert gestritten, und die Konservativen im Europaparlament wollen es zu Fall bringen.
Dabei scheuen sie nicht davor zurück, eine unverantwortliche Gespensterdebatte heraufzubeschwören – mit falschen Behauptungen, die wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen und politische Verantwortung mit Füßen treten. (Die EVP-Fraktion schrieb z.B. auf Twitter, dass zehn Prozent des Farmlandes aufgegeben werden müssten. Korrekt wäre, dass zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Merkmale großer Vielfalt aufweisen sollen, Anm. d. Red.).
Dass die Agrar- und Umweltpolitik zum Zankapfel in der politischen Debatte Europas geworden ist, überrascht niemanden. Zu bitter sind die Erfahrungen und Erinnerungen an die Diskussionen und Entscheidungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die es ebenfalls nicht vermocht haben, das Ruder herumzureißen zu einer ökologischeren Ausrichtung der Landbewirtschaftung. Das sind schlechte Erfahrungen.
Doch was jetzt, orchestriert als Kampagne populistischer PR-Strateginnen und Strategen, gegen eine EU-weit sinnvolle und überfällige Gesetzgebung vom Zaun gebrochen wurde, entbehrt jeglicher Verantwortung. Konservative sind offenbar eine unheilvolle Koalition mit den Rechten, Wissenschaftsleugnerinnen und Zukunftsverhinderern eingegangen, wenn sie versuchen, das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu blockieren. Das ist nachgerade jämmerlich – eine Bankrotterklärung politischer Verantwortung, denn auch unsere Ernährungssicherheit hängt langfristig von der Wiederherstellung der Natur und der natürlichen Ökosysteme ab.
Wir befinden uns inmitten einer Zwillingskrise von Klimawandel und Biodiversitätskrise. Aktuell läuft das menschengemachte sechste Massenaussterben der Erdgeschichte. Die Klimakatastrophe belastet uns bereits, niemand kann davor die Augen verschließen! Flüsse und Seen fallen trocken, Wälder brennen, Grundwasserspiegel sinken und vielerorts in Europa wissen die Landwirtinnen und Landwirte nicht, wie sie damit umgehen sollen. Allen dürfte bewusst sein, dass es Veränderung geben muss.
Zudem sind vier von fünf der EU-weit wertvollsten Schutzgebiete (FFH) in schlechtem oder sehr schlechtem Zustand. Für den Naturschutz und damit unsere Zukunft muss rasch und nachhaltig etwas getan werden – wenn die Konservativen und die Liberalen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu Fall bringen, handeln sie in höchstem Maße unverantwortlich. Morgen geht es in der Abstimmung im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments um nicht weniger als eine Art ökologisches Friedensangebot an die Natur und eine Chance auf Wiedergutmachung an der natürlichen Umwelt, die wir seit Jahrzehnten zerstören und deren Gleichgewicht durch menschliches Handeln bereits erheblich ins Wanken geraten ist.
Die Christdemokraten wollen bei der Abstimmung im federführenden Umwelt- und Gesundheitsausschuss gegen eine Weiterarbeit an dem Gesetzesvorschlag stimmen – und setzen sich dafür mit der extremen Rechten und Europagegnern ins Boot. Sollten sich der EVP weitere Abgeordnete, eventuell auch der Liberalen, anschließen, so könnte es eine Mehrheit der Abgeordneten gegen den Vorschlag geben – und die weitere Arbeit des Europäischen Parlaments zu dieser Verordnung würde eingestellt. Das dringend benötigte Gesetz, eine wichtige Säule des Green Deal und Schlüsselelement der EU-Biodiversitätsstrategie, wäre damit verloren.
Doch der Schutz unserer Natur duldet keinen Aufschub. Eine gesunde und artenreiche Umwelt ist unverzichtbar auch zur Bekämpfung der Klimakatastrophe. Und: Nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung hängen von gesunder Natur ab! Eine Umkehrung des Verlusts der biologischen Vielfalt, auch auf landwirtschaftlichen Flächen, und die Verbesserung der Bodenqualität sind ein Muss, wenn wir die Nahrungsmittelproduktion und die Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte für die nächsten Jahrzehnte sichern wollen.
Bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten nicht der unverantwortlichen Stimmungsmache gegen den Gesetzesvorschlag aufsitzen, die wissenschaftlich gestützte Vernunft die Oberhand behält und sie im Umwelt- und Gesundheitsausschuss in diesem Sinne abstimmen. Es geht um viel.
Martin Häusling ist Biobauer und agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.