FR-Interview zur EU-Agrarreform 2014
"Ein vergiftetes Angebot"
Der EU-Abgeordnete Martin Häusling über unsinnige Agrarsubventionen und Gentechnik
Frankfurter Rundschau vom 12.03.2010 - Interview von Stephan Börnecke
Wie soll Europa die Landwirtschaft fördern? Martin Häusling, EU-Abgeordneter der Grünen, will ökologische Kriterien zum Maßstab machen.
Im FR-Interview ruft er zum Widerstand gegen die Gentechnik auf. In der Debatte über die künftige Subventionierung der europäischen Landwirtschaft hat der Europaabgeordnete der Grünen, Martin Häusling, eine Abkehr vom bisherigen Finanzierungssystem und eine Ökologisierung der Agrarhilfen verlangt.
Häusling sagte der Frankfurter Rundschau, wer nur Mais anbaue oder seine Schweine mit Gen-Soja füttere, der habe aus seiner Sicht "keinen Anspruch mehr darauf, von der Gesellschaft Steuergeld zu bekommen". Stattdessen sollte ein Umweltstandard definiert werden, der sich an den Maßstäben des ökologischen Landbaus orientiert. Nur wer diesen Standard einhalte, solle künftig die volle Prämie erhalten.
Der Politiker ruft Umwelt- und Verbraucherorganisationen auf, sich in eine Debatte über die Kriterien für die Höhe der Agrarhilfen für Landwirte aktiv einzumischen. Die Frage, für welche Leistungen der Landwirt Geld erhält, müsse Teil einer breiten Debatte in der Gesellschaft sein.
Herr Häusling, in der EU beginnt in diesen Wochen die Debatte über die künftigen Subventionen für die europäischen Bauern. Glaubt man Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, sollen die Landwirte genauso viel Geld erhalten wie bisher. Ist das realistisch?
Häusling: Das ist unrealistisch. Die EU hat keine Erbhöfe zu verteilen. Wenn man etwas abbekommen will von dem Kuchen, sind gute Begründungen notwendig. Zu sagen, ich bin ein Bauer, also habe ich einen Anspruch auf Geld aus Brüssel, reicht nicht mehr aus.
Die EU will mehr Geld in Forschung, Bildung und den Umweltschutz stecken, der Kuchen aber wird nicht größer. Setzt jetzt ein Hauen und Stechen um die Milliarden ein?
Das Hauen und Stechen hat längst begonnen. Die schlechtesten Argumente hat dabei jener, der sagt, es muss so bleiben wie bisher. Die EU muss mehr Geld in die Bildung stecken, sich dem Klimaschutz stellen, und das wird Konsequenzen für die EU-Agrarfinanzierung haben.
Mit welchen Argumenten ließen sich denn heute noch Agrarhilfen begründen?
Wir wollen die Agrarpolitik neu definieren. Also: Was sind die gesellschaftlichen Leistungen, die die Landwirtschaft erbringt? Wie soll denn Landwirtschaft künftig aussehen und wofür ist die Gesellschaft künftig bereit zu zahlen? Will die Gesellschaft Prämien für Gentechnikanbau für BASF oder Gen-Mais in Spanien zahlen? Oder will sie eine Landwirtschaft, die tiergerecht arbeitet, die Böden und Wasser schützt und die Bauern in benachteiligten Regionen fördert? Diese Fragen müssen beantwortet werden.
Heute bekommt ein deutscher Bauer rund 350 Euro je Hektar, ohne dass daran besondere Leistungen geknüpft sind. Er muss gerade die Gesetze einhalten. Wer besser ist, bekommt einen kleinen Bonus. Reicht das in Zukunft?
Dieses Modell ist so nicht haltbar. Wir müssen einen Umweltstandard definieren, der sich an den Maßstäben des ökologischen Landbaus orientiert. Wer diesen Standard einhält, der bekommt die volle Prämie. Wer nur Mais anbaut oder seine Schweine mit Gen-Soja füttert, der hat aus meiner Sicht künftig keinen Anspruch mehr darauf, von der Gesellschaft Geld zu bekommen.
Konkret: Öko-Bauern bekommen Agrarhilfen von der EU, andere nicht?
Wir wollen, dass die Zahlungen an drei Kriterien geknüpft werden: An ökologische Kriterien, an die Zahl der Arbeitsplätze sowie an den Beitrag des Hofes zur Biodiversität. Der Öko-Betrieb ist dabei so was wie eine Messlatte. Ich bin nicht der Meinung, dass wir eine industrielle Landwirtschaft mit Intensivhähnchenmast und Maismonokulturen weiter fördern sollten. Das ist weder umwelt- noch klimafreundlich. So etwas kann der Steuerzahler nicht länger stützen.
Nochmal: Wer bekommt 100 Prozent, wer nur 50, wer geht leer aus?
Das genau wird die spannende Diskussion, die wir jetzt führen müssen: Wie legen wir die gesellschaftlichen Kriterien fest, die zu den gestaffelten Prämien führen? Diese Debatte dürfen nicht allein die Agrarexperten führen. An ihr müssen sich Umwelt-, Natur- und Tierschutzorganisationen, vor allem aber Verbraucherverbände, auch Entwicklungshilfeexperten und Regionalentwickler beteiligen. Die Frage für welche Leistungen der Landwirt in Zukunft Geld erhält, muss Teil einer breiten Debatte in der Gesellschaft sein. Ich als Abgeordneter kann nicht alleine sagen, das ist der Superbetrieb und der bekommt deshalb die volle Prämie und ein anderer viel weniger. Es gibt heute schon eine breite Übereinstimmung, dass ein Berghof, der auch für den Tourismus wichtig ist, Förderung aus Brüssel bekommen sollte. Jedoch nicht die Agrarindustrie, die uns eine Agrarsteppe beschert. Ich muss keine Wüstenbildung mit Steuergeld fördern.
Diese Debatte fehlt derzeit, soll sie Erfolg haben, muss sie aber rasch kommen, denn die EU-Kommission wird spätestens in einem Jahr ihre Pflöcke eingerammt haben.
Das wird nicht innerhalb eines Jahres geschehen. Denn selbst unter Agrarlobbyisten wird unterschätzt, dass im Gegensatz zu bisher künftig die EU-Abgeordneten die entscheidende Rolle spielen. Es müssen nicht nur Agrarpolitiker überzeugt werden, sondern 736 Abgeordnete. Das wird dafür sorgen, dass die Debatte offener ablaufen wird. Künftig verhandeln nicht mehr 27 Agrarminister und warten darauf, wer als erster einschläft. Sondern wer sich einmischen will, der sollte die Adresse seines Europaabgeordneten kennen.
Ein erster Demokratietest ging daneben. Die EU-Kommission hat die Genkartoffel ohne Parlamentsbeteiligung zugelassen.
Es kann nicht sein, dass die Kommission über die Gentechnik in Europa allein entscheidet. Auch die Zulassungskriterien müssen dringend überdacht werden, zumal die Europäische Lebensmittelagentur EFSA alles andere als neutral arbeitet. Da muss das Parlament Zähne zeigen. Es darf nicht sein, dass die Kommission die Gentechnik als „Fortschrittstechnologie“ durchzupauken versucht. Da muss es breiten Widerstand der Bauern und Verbraucher geben.
Kommissionspräsident Manuel Barroso hat vorgeschlagen, die Entscheidung über den Anbau einmal in der EU zugelassener Gen-Pflanzen den Mitgliedstaaten zu überlassen. Ein vernünftiger Schritt?
Ich würde es befürworten, wenn die Gentechnikfreiheit in Europa offizielles Ziel der EU-Agrarpolitik wäre.
Danach sieht es derzeit nicht aus.
Da bin ich mir nicht so sicher. Schauen wir auf die Zahlen, dann war die Gentechnik in den letzten Jahren in Europa eher auf dem Rückzug, ....
...weil der Verbraucher sie nicht will.
Richtig. 70 Prozent der Verbraucher wollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel. Das muss endlich auch die EU-Kommission begreifen. Ich halte den Vorschlag von Barroso für ein vergiftetes Angebot. Wenn wir in der EU anfangen, in 27 Mitgliedsstaaten unterschiedliche Kriterien für den Gen-Anbau zu entwickeln, richten wir ein Chaos an. Das führt zu einer schleichenden Kontaminierung, wenn in einem Land Gen-Pflanzen wachsen und in einem anderen nicht. Die wesentliche Erkenntnis der letzten Jahre lautet doch, dass ein Nebenher von Gentechnik-Landwirtschaft auf der einen Seite sowie konventioneller und ökologischer Landwirtschaft auf der anderen Seite im kleinräumigen Europa nicht funktioniert.
Würde die EU nicht auch ihr Ziel, eine gemeinsame Agrarpolitik zu betreiben, unterlaufen?
Ja, das passt überhaupt nicht. Gentechnik kann man nicht heute zulassen und morgen nach einem Regierungswechsel wieder vom Acker pfeifen. Das muss von der EU zentral geregelt und entschieden werden. Es droht noch eine andere Gefahr: Die EU-Standards bei der Zulassung der Gen-Saaten könnten sinken. Möglich wäre, dass die EU-Kommission zu allem, was von der Gentechnik-Industrie kommt, dann ja sagen wird. Schließlich könnten die Nationalstaaten das ja wieder verhindern. Das dürfte rasch dazu führen, dass in Ländern wie Spanien oder den Niederlanden der Gentechnik Tür und Tor geöffnet wird.
Interview: Stephan Börnecke