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"Ein vergiftetes Angebot"
Der EU-Abgeordnete Martin Häusling über unsinnige Agrarsubventionen und Gentechnik

Frankfurter Rundschau vom 12.03.2010 - Interview von Stephan Börnecke

Wie soll Europa die Landwirtschaft fördern? Martin Häusling, EU-Abgeordneter der Grünen, will ökologische Kriterien zum Maßstab machen.
Im FR-Interview ruft er zum Widerstand gegen die Gentechnik auf. In der Debatte über die künftige Subventionierung der europäischen Landwirtschaft hat der Europaabgeordnete der Grünen, Martin Häusling, eine Abkehr vom bisherigen Finanzierungssystem und eine Ökologisierung der Agrarhilfen verlangt.

Häusling sagte der Frankfurter Rundschau, wer nur Mais anbaue oder seine Schweine mit Gen-Soja füttere, der habe aus seiner Sicht "keinen Anspruch mehr darauf, von der Gesellschaft Steuergeld zu bekommen". Stattdessen sollte ein Umweltstandard definiert werden, der sich an den Maßstäben des ökologischen Landbaus orientiert. Nur wer diesen Standard einhalte, solle künftig die volle Prämie erhalten.

Der Politiker ruft Umwelt- und Verbraucherorganisationen auf, sich in eine Debatte über die Kriterien für die Höhe der Agrarhilfen für Landwirte aktiv einzumischen. Die Frage, für welche Leistungen der Landwirt Geld erhält, müsse Teil einer breiten Debatte in der Gesellschaft sein.

Herr Häusling, in der EU beginnt in diesen Wochen die Debatte über die künftigen Subventionen für die europäischen Bauern. Glaubt man Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, sollen die Landwirte genauso viel Geld erhalten wie bisher. Ist das realistisch?

Häusling: Das ist unrealistisch. Die EU hat keine Erbhöfe zu verteilen. Wenn man etwas abbekommen will von dem Kuchen, sind gute Begründungen notwendig. Zu sagen, ich bin ein Bauer, also habe ich einen Anspruch auf Geld aus Brüssel, reicht nicht mehr aus.

Die EU will mehr Geld in Forschung, Bildung und den Umweltschutz stecken, der Kuchen aber wird nicht größer. Setzt jetzt ein Hauen und Stechen um die Milliarden ein?

Das Hauen und Stechen hat längst begonnen. Die schlechtesten Argumente hat dabei jener, der sagt, es muss so bleiben wie bisher. Die EU muss mehr Geld in die Bildung stecken, sich dem Klimaschutz stellen, und das wird Konsequenzen für die EU-Agrarfinanzierung haben.

Mit welchen Argumenten ließen sich denn heute noch Agrarhilfen begründen?

Wir wollen die Agrarpolitik neu definieren. Also: Was sind die gesellschaftlichen Leistungen, die die Landwirtschaft erbringt? Wie soll denn Landwirtschaft künftig aussehen und wofür ist die Gesellschaft künftig bereit zu zahlen? Will die Gesellschaft Prämien für Gentechnikanbau für BASF oder Gen-Mais in Spanien zahlen? Oder will sie eine Landwirtschaft, die tiergerecht arbeitet, die Böden und Wasser schützt und die Bauern in benachteiligten Regionen fördert? Diese Fragen müssen beantwortet werden.

Heute bekommt ein deutscher Bauer rund 350 Euro je Hektar, ohne dass daran besondere Leistungen geknüpft sind. Er muss gerade die Gesetze einhalten. Wer besser ist, bekommt einen kleinen Bonus. Reicht das in Zukunft?

Dieses Modell ist so nicht haltbar. Wir müssen einen Umweltstandard definieren, der sich an den Maßstäben des ökologischen Landbaus orientiert. Wer diesen Standard einhält, der bekommt die volle Prämie. Wer nur Mais anbaut oder seine Schweine mit Gen-Soja füttert, der hat aus meiner Sicht künftig keinen Anspruch mehr darauf, von der Gesellschaft Geld zu bekommen.

Konkret: Öko-Bauern bekommen Agrarhilfen von der EU, andere nicht?

Wir wollen, dass die Zahlungen an drei Kriterien geknüpft werden: An ökologische Kriterien, an die Zahl der Arbeitsplätze sowie an den Beitrag des Hofes zur Biodiversität. Der Öko-Betrieb ist dabei so was wie eine Messlatte. Ich bin nicht der Meinung, dass wir eine industrielle Landwirtschaft mit Intensivhähnchenmast und Maismonokulturen weiter fördern sollten. Das ist weder umwelt- noch klimafreundlich. So etwas kann der Steuerzahler nicht länger stützen.

Nochmal: Wer bekommt 100 Prozent, wer nur 50, wer geht leer aus?

Das genau wird die spannende Diskussion, die wir jetzt führen müssen: Wie legen wir die gesellschaftlichen Kriterien fest, die zu den gestaffelten Prämien führen? Diese Debatte dürfen nicht allein die Agrarexperten führen. An ihr müssen sich Umwelt-, Natur- und Tierschutzorganisationen, vor allem aber Verbraucherverbände, auch Entwicklungshilfeexperten und Regionalentwickler beteiligen. Die Frage für welche Leistungen der Landwirt in Zukunft Geld erhält, muss Teil einer breiten Debatte in der Gesellschaft sein. Ich als Abgeordneter kann nicht alleine sagen, das ist der Superbetrieb und der bekommt deshalb die volle Prämie und ein anderer viel weniger. Es gibt heute schon eine breite Übereinstimmung, dass ein Berghof, der auch für den Tourismus wichtig ist, Förderung aus Brüssel bekommen sollte. Jedoch nicht die Agrarindustrie, die uns eine Agrarsteppe beschert. Ich muss keine Wüstenbildung mit Steuergeld fördern.

Diese Debatte fehlt derzeit, soll sie Erfolg haben, muss sie aber rasch kommen, denn die EU-Kommission wird spätestens in einem Jahr ihre Pflöcke eingerammt haben.

Das wird nicht innerhalb eines Jahres geschehen. Denn selbst unter Agrarlobbyisten wird unterschätzt, dass im Gegensatz zu bisher künftig die EU-Abgeordneten die entscheidende Rolle spielen. Es müssen nicht nur Agrarpolitiker überzeugt werden, sondern 736 Abgeordnete. Das wird dafür sorgen, dass die Debatte offener ablaufen wird. Künftig verhandeln nicht mehr 27 Agrarminister und warten darauf, wer als erster einschläft. Sondern wer sich einmischen will, der sollte die Adresse seines Europaabgeordneten kennen.

Ein erster Demokratietest ging daneben. Die EU-Kommission hat die Genkartoffel ohne Parlamentsbeteiligung zugelassen.

Es kann nicht sein, dass die Kommission über die Gentechnik in Europa allein entscheidet. Auch die Zulassungskriterien müssen dringend überdacht werden, zumal die Europäische Lebensmittelagentur EFSA alles andere als neutral arbeitet. Da muss das Parlament Zähne zeigen. Es darf nicht sein, dass die Kommission die Gentechnik als „Fortschrittstechnologie“ durchzupauken versucht. Da muss es breiten Widerstand der Bauern und Verbraucher geben.


Kommissionspräsident Manuel Barroso hat vorgeschlagen, die Entscheidung über den Anbau einmal in der EU zugelassener Gen-Pflanzen den Mitgliedstaaten zu überlassen. Ein vernünftiger Schritt?

Ich würde es befürworten, wenn die Gentechnikfreiheit in Europa offizielles Ziel der EU-Agrarpolitik wäre.

Danach sieht es derzeit nicht aus.

Da bin ich mir nicht so sicher. Schauen wir auf die Zahlen, dann war die Gentechnik in den letzten Jahren in Europa eher auf dem Rückzug, ....

...weil der Verbraucher sie nicht will.

Richtig. 70 Prozent der Verbraucher wollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel. Das muss endlich auch die EU-Kommission begreifen. Ich halte den Vorschlag von Barroso für ein vergiftetes Angebot. Wenn wir in der EU anfangen, in 27 Mitgliedsstaaten unterschiedliche Kriterien für den Gen-Anbau zu entwickeln, richten wir ein Chaos an. Das führt zu einer schleichenden Kontaminierung, wenn in einem Land Gen-Pflanzen wachsen und in einem anderen nicht. Die wesentliche Erkenntnis der letzten Jahre lautet doch, dass ein Nebenher von Gentechnik-Landwirtschaft auf der einen Seite sowie konventioneller und ökologischer Landwirtschaft auf der anderen Seite im kleinräumigen Europa nicht funktioniert.

Würde die EU nicht auch ihr Ziel, eine gemeinsame Agrarpolitik zu betreiben, unterlaufen?

Ja, das passt überhaupt nicht. Gentechnik kann man nicht heute zulassen und morgen nach einem Regierungswechsel wieder vom Acker pfeifen. Das muss von der EU zentral geregelt und entschieden werden. Es droht noch eine andere Gefahr: Die EU-Standards bei der Zulassung der Gen-Saaten könnten sinken. Möglich wäre, dass die EU-Kommission zu allem, was von der Gentechnik-Industrie kommt, dann ja sagen wird. Schließlich könnten die Nationalstaaten das ja wieder verhindern. Das dürfte rasch dazu führen, dass in Ländern wie Spanien oder den Niederlanden der Gentechnik Tür und Tor geöffnet wird.

Interview: Stephan Börnecke

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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