Grüne Europagruppe Grüne EFA

DSC 0240web1Wie schaffen wir die politische Trendwende für den Erhalt der Artenvielfalt – in der Naturschutz- und Agrarpolitik? Diese Kernfrage stand im Mittelpunkt unserer diesjährigen Auftakt-Tagung am 12. Januar 2016, wenige Tage vor Beginn der Grünen Woche in Berlin. Einen herzlichen Dank allen Referent*innen und Teilnehmer*innen für die gelungene Veranstaltung und engagierte Debatte!


Es ist paradox: Nahezu tagtäglich erreichen uns beunruhigende Meldungen über die dramatischen Verluste von Arten und Lebensräumen, maßgeblich verursacht durch menschliche Eingriffe. Trotz der existentiellen Bedrohung unserer eigenen Lebensgrundlagen werden selbstgesteckte Ziele vernachlässigt, vertagt und verschoben. Eine konsequente Politik bleibt aus.

Die zunehmend industrielle Ausrichtung der europäischen Landwirtschaft und der Agrarpolitik steht hierbei in besonderer Kritik. Der Naturschutz fordert eine Offensive und einen Richtungswechsel der Landwirtschaft, steht mit dem „Fitness-Check“ der EU-Richtlinien durch die EU-Kommission jedoch selbst unter Beschuss. Aber wer ist hier (un)fit und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die EU-Agrarpolitik? Und mit welchen Instrumenten und Mitteln kann das Ziel einer Wende für die Artenvielfalt bis 2020 doch noch gelingen?

Als agrarpolitischer Sprecher unserer Fraktion die Grünen/EFA und Mitglied des Umweltausschusses im Europäischen Parlament war und ist es mir ein wichtiges Anliegen, diese Debatte politisch, wissenschaftlich und gesellschaftlich voranzutreiben.

DSC 0207web„Die Bauern haben uns reich gemacht“, führte der schleswig-holsteinische Agrar- und Umweltminister und Eröffnungsreder Robert Habeck aus. Statt zwei Dritteln verblieben den Landwirten heute nur noch 6-7% vom Brotpreis. Hätten die Deutschen in den 60er Jahren noch rund 40% ihres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, beträgt der Anteil heute nicht mal 15 %. Den Preis dafür haben die Landwirte gezahlt – und die Umwelt. Die Naturschutzpolitik könne diese Folgen keinesfalls ausgleichen und ermögliche nur Insel-Lösungen. Die unglaubliche Verschwendung und damit mangelnde Wertschätzung immer billigerer Lebensmittel sei zugleich eine Missachtung landwirtschaftlicher Arbeit. Statt einer Frontstellung zwischen Landwirten und Verbrauchern brauche es umso mehr den gesellschaftlichen Dialog - nicht mit geballter Faust in der Tasche, sondern der ausgestreckten Hand, um aus dem verhängnisvollen Rad von „Wachse oder Weiche“ mit all seinen Folgen rauszukommen.
Auch führe auch kein Weg daran vorbei, dass externen Umweltkosten in Produktpreise einfließen müssen. Nur so sei der wachsende Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu begrenzen.
Als dritte Bedingung müsse die Förderpolitik der EU geändert werden. Die letzte Agrarreform konnte ihrem Anspruch von „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ nicht gerecht geworden und das Greening keine Effekte in der Fläche gebracht. Wenn man das Geld in der Landwirtschaft halten will, dass für den Umbau einer ressourcengerechten Lebensmittelerzeugung unbedingt erforderlich sei, müssen die Subventionen anders begründet werden, nach ihren Effekten statt pauschal bzw. nach Besitzverhältnissen.
Abschließend mahnte Robert Habeck, dass die Bürger nicht nur auf die Rolle von Konsumenten reduziert werden dürften und eine gesellschaftliche Debatte über faire Produkte und Erzeugung für politische Veränderungen unerlässlich sei.

160112 Artenerosion TitelIm Anschluss an die Eröffnungsrede stellte der Studienautor und Journalist Stephan Börnecke die in meinem Auftrag verfasste Studie „Die (un)heimliche Artenerosion: Eine agroindustrielle Landwirtschaft dezimiert unsere Lebensvielfalt“ vor. Eindringlich und in detailreichen Fakten beschrieb er den dramatischen Artenschwund in Europa und seine Ursachen.

DSC 0214webSusan Haffmans vom Pestizid-Aktionsnetzwerk (PAN) Germany e.V. ging im Anschluss auf die Risiken und Folgen von Pestiziden für die Biologische Vielfalt ein. Grundwasser wie Lebensräume würden durch den wachsenden Pestizid-Einsatz zunehmend belastet. Europaweit habe die Agrarlandschaft inzwischen die Hälfte ihrer heimischen Vögel verloren. Glyphosat-Präparate seien das Rückgrat des chemischen Pflanzenschutzes mit beispiellos hohen Effekten auf Biodiversitätsverluste. Ebenso beunruhigend sei der zunehmende Einsatz von Neonikotinoiden aufgrund ihrer systemischen Wirkung auf Ziel- und Nichtzielorganismen, deren Risikopotential erst nach Zulassung in ihrem Ausmaß erkannt worden sei. Fazit: Seit ca. 60 Jahren nehme die Belastung und Schädigung unserer Lebensgrundlagen beständig zu. Obwohl die daraus resultierenden Probleme von morgen schon heute da seien, werden dringend erforderliche gesetzliche Nachbesserungen verschleppt bzw. bestehende Regelungen mangelhaft kontrolliert oder umgesetzt.

DSC 0216webIn seinem anschließenden Vortrag ging Konstantin Kreiser vom NABU e.V. auf den Fitness-Check der EU-Naturschutzrichtlinien und die agrarpolitischen Erfordernisse für die Erreichung der europäischen Biodiversitätsziele ein.
Die Naturschutzpolitik sei nicht gescheitert. Vielmehr offenbare die Debatte rund um den Fitness-Check, wie wichtig den EU-Bürger der Naturschutz und politische Verbesserungen seien, die nicht in durch geänderte Richtlinien, sondern eine verbesserte Umsetzung der bestehenden Richtlinien in den Mitgliedsstaaten zu erreichen sei. Auch könne das 2020-Ziel nicht ohne Änderungen in anderen Politikbereichen erreicht werden. Die Landwirtschaft sei das am meisten genannte Problem für den Erhalt von Arten und Lebensräumen. Politische Änderungen, auch in der europäischen Subventionspolitik, seien daher unerlässlich und stellten die Frage nach einem Fitness-Check für die EU-Agrarpolitik.


DSC 0220webNorbert Röder vom Thünen-Institut Braunschweig oblag es in seinem Vortrag zu benennen, mit welchen Instrumenten und Mitteln Biodiversitäts- und Umweltziele in Europas Landwirtschaft erreicht und durchgesetzt werden können. In seinem Vortrag beschrieb er den Zusammenhang von Nutzungsintensität und Biodiversitätswirkung und die bestehenden (messbare) Einflussmöglichkeiten. Den Instrumenten, z.B. des Ordnungsrechts, des Vertragsnaturschutzes sowie der Beratung und Zertifizierung attestierte er eine begrenzte Wirkung, da prioritäre Ziele und Anreize fehlten. Maßnahmen seien nicht abgestimmt, würden teils konkurrieren, blieben freiwillig und wären gesetzlich und finanziell nicht langfristig gesichert. Als Wissenschaftler empfahl er mehr Kohärenz von nationaler und europäischer Politik in Rechtsgrundlagen, Maßnahmen und Finanzierung, aber auch der Datenerfassung.

Mit einer Theatereinlage von Fräulein Brehms Tierleben (Barbara Geiger) über das wilde Leben der Bienen war Spannung und Entspannung zugleich vor der folgenden Diskussionsrunde garantiert.

DSC 0240web Besonderer Gast der Diskussionsrunde war die Präsidentin des Umweltbundesamtes Maria Krautzberger, die mit den drei Referenten und mir der Kernfrage nach einer Trendwende für den Erhalt der Artenvielfalt in der Naturschutz- und Agrarpolitik zu schaffen sei.
Das Verhältnis von Verbrauchern und Landwirten wurde dabei ebenso diskutiert wie die Rolle des Bauernverbandes, der, solange er sein propagiertes Modell von „Wachse oder Weiche“ nicht in Frage stelle, in dieser Frage, aber auch als Interessenvertreter der Landwirte ein schwieriger Partner sein. Vielmehr müsse sich die Rolle der Landwirtschaft wandeln: als Wiederhersteller der Biodiversität betrachten und gesellschaftlich geachtet und honoriert. Das erfordere ein Umdenken beider Seiten.

Intensiv diskutiert wurde übe die bereits am Vormittag angesprochenen durch die intensive Landwirtschaft verursachten Probleme für Natur und Umwelt und den politischen Handlungsbedarf. Nicht zuletzt zeige die Situation in Deutschland, wie schwierig die Durchsetzung von Verbesserungen bzw. Instrumenten seien, insbesondere bei verschiedenen Ressort- und Ministerialzuständigkeiten. Allzu gern würde vor dieser Ausgangslage auf das Handeln Europas verwiesen und dabei außen vor gelassen, dass gerade Deutschland in den Verhandlungen der GAP-Reform 2013 für weitreichende Verwässerungen und durch zahlreiche Ausnahmen für äußerst komplizierte Regelungen, z.B. beim Greening, gesorgt habe. Festzustellen sei, dass von einer Vorreiterrolle Deutschlands innerhalb Europas nicht die Rede sein könne und von anderen Mitgliedsstaaten eingenommen werden würde. Einig waren sich alle Diskutanten, dass die Midterm- und nächste Agrarreform hier entscheidende Reformen erbringen müsse, wenn das europäische und deutsche Biodiversitäts-Ziel einer Trendwende in der Artenvielfalt bis 2020 noch Bestand haben soll.

Einen herzlichen Dank an dieser Stelle unserer wunderbaren Moderatorin, der Autorin und Journalistin Hanna Gersman, die uns mit Bravour und Frische durch diesen Tag geleitet hat.

Präsentationen:

- Konstantin Kreiser, Nabu: Wer ist hier fit? Schlussfolgerungen aus dem "Fitness-Check" der EU-Naturschutzrichtlinien für die Agrarpolitik

- Norbert Röder, Thünen Institut: Verbindliche Vielfalt – Wege zur Erreichung von Biodiversitäts- und Umweltzielen in Europas Agrarlandschaften

- Dipl. Ing. agr. Susan Haffmans, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.: Glyphosat, Neonikotinoide und Co: Risiken und Folgen von Pestiziden für die Biologische Vielfalt

Programm vom 12.01.2016

 

 

Studie zum Verlust an Biodiversität durch Intensivlandwirtschaft
Börnecke, S. (2016): Wir sind dann mal weg: die (un-) heimliche Artenerosion in Europas Agrarlandschaften.
http://www.martin-haeusling.eu/images/Biodiversitaet_web_end.pdf

 

Studie zum Verlust an Biodiversität durch Intensivlandwirtschaft
Börnecke, S. (2016): Wir sind dann mal weg: die (un-) heimliche Artenerosion in Europas Agrarlandschaften.
3. aktualisierte Auflage
http://www.martin-haeusling.eu/images/Biodiversität_NEUAUFLAGE2018_RZ_web.pdf

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