Grüne Europagruppe Grüne EFA

Tagesspiegel - von Christopher Ziedler und Dagmar Dehmer

Das Europaparlament erlaubt nationale Blockaden beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) will die Regelung schnell in nationales Recht umsetzen. Ob das Anbauverbot die Freihandelsverhandlungen mit den USA übersteht, ist allerdings offen.
Jedes Land in der Europäischen Union kann künftig selbst entscheiden, ob es den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlaubt. Am Ende einer jahrelangen Auseinandersetzungen hat das  Europaparlament  am Dienstag mit 480 Ja- und 159 Nein-Stimmen neue Regeln zum Anbau genveränderter Organismen in der Europäischen Union verabschiedet. Sie treten bis  spätestens April in Kraft.  Der deutsche Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hat eine schnelle Umsetzung in deutsches Recht angekündigt.

Nur eine Gentech-Pflanzensorte wurde europaweit zum kommerziellen Anbau zugelassen: Mon810 des US-Konzerns Monsanto. In fünf EU-Staaten wird der umstrittene Mais angebaut, neun Staaten, darunter  Deutschland, zogen daraufhin eine Schutzklausel, die  zeitlich begrenzt gilt und von Monsanto  vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten wurde. „Mit der jetzigen Rechtslage haben die Mitgliedstaaten eigentlich überhaupt keine Möglichkeit, den Anbau von Genpflanzen zu verbieten“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese in der Debatte.

Aufgelöst wurde die rund vierjährige Blockade nach einer politischen Blamage im vergangenen Februar: Nachdem die EU-Lebensmittelbehörde Efsa in Parma keine wissenschaftlichen Bedenken gegen die Genmaissorte Pioneer 1507 geltend gemacht hatte, war die EU-Kommission gerichtlich  gezwungen worden, den Mitgliedstaaten die Zulassung vorzuschlagen. Das hätten sie nur  mit einer Dreiviertelmehrheit  verhindern können. Am Ende reichten dafür die Stimmen von 19 von 28 Mitgliedstaaten nicht. Es fehlte unter anderem die Stimme der Bundesregierung. Obwohl einer Umfrage des Bundesamtes für Naturschutz zufolge 84 Prozent der Bürger hierzulande den Anbau gentechnisch veränderter Organismen ablehnen.
Der Widerstand der Bevölkerung reicht als Begründung

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, nationale Anbauverbote auszusprechen. Regierungen können die Hersteller bitten, ein Land schon im Zulassungsantrag auszunehmen, müssen das aber nicht tun. Hier setzte sich das Europaparlament in den Verhandlungen gegenüber  Plänen des Ministerrats durch, da es krumme Geschäfte im Vorfeld oder zu starken Lobbyeinfluss befürchtet hatte. Die Regierungen können  direkt Anbauverbote aussprechen – und zwar  nicht nur, wenn sie neue Forschungserkenntnisse aus dem Hut zaubern können. Es reichen schon „sozio-ökonomische Gründe“ oder ein Verweis auf die „öffentliche Ordnung“ – eine etwas umständliche Umschreibung für den Widerstand in der Bevölkerung.

„Damit steht auch in Deutschland einer gentechnikfreien Landwirtschaft europarechtlich nichts mehr im Weg“, sagte die SPD-Abgeordnete Susanne Melior nach der Abstimmung, wo es doch aus dem Bundestag wie den Bundesländern bereits Druck auf die Bundesregierung gibt, entsprechend zu handeln. Sie gab aber zu, dass ihr ein europaweites Anbauverbot „viel lieber gewesen“ wäre. Denn nun drohe „ein Flickenteppich in Europa“.

Damit sich  entlang grüner Grenzen keine naturbelassenen mit gentechnisch veränderten Pflanzen kreuzen, müssen alle Mitgliedstaaten Mindestabstände zu Gensorten definieren, wie es sie in Deutschland bereits gibt: 150 Meter zu einem Feld mit konventioneller Landwirtschaft, 300 Meter zu Ökolandbauflächen. Um eine Vermischung zu verhindern, darf nach einer Bepflanzung etwa mit Genmais im Folgejahr kein „normaler“ Mais angepflanzt werden – nur zwischen Kartoffeln oder  Rüben  würde man nämlich sehen, wenn noch vorhandene Genmais-Samen aufgehen. Die belgische Liberale Fréderique Ries, die Verhandlungsführerin des Parlaments, wertete diese Einschränkung  als Erfolg. Selbst Befürwortern aber ist klar, dass eine Vermengung in einem gemeinsamen Markt mit länderübergreifenden Transportwegen und Kunden nicht vollständig verhindert werden kann – ein EU-weites Verbot war jedoch nicht durchsetzbar.

Der Grüne Martin Häusling bezeichnete das  Gesetz als „trojanisches Pferd“, weil es seiner Ansicht nach zu mehr Zulassungen  führen wird. „Die Mitgliedstaaten werden zustimmen im Glauben, dass sie es ja daheim verbieten können,  der Druck auf die EU-Kommission wird nachlassen.“ Er forderte für die von der Kommission bereits angekündigte Reform des Zulassungsverfahrens eine Verschärfung „auf Basis unabhängiger Gutachten“.

In Brüssel liegen bereits mehrere Anträge der Industrie zum kommerziellen Anbau weiterer Genpflanzen vor. Der bereits verbreitete Anbau zu Forschungszwecken unterliegt ebenso anderen Regeln wie der Import von Landwirtschaftsprodukten. Derzeit sind rund 60 Arten von Mais, Sojabohnen oder Baumwolle zum Import zugelassen – was beim Verkauf  gekennzeichnet werden muss. Allerdings muss nicht gekennzeichnet werden, wenn Kühe, Schweine oder Hühner mit gentechnisch veränderten Futtermitteln groß gezogen werden.  Christian Schmidt  hat allerdings im Koalitionsvertrag den Auftrag bekommen, dafür eine Lösung zu finden. Bei der Umsetzung der EU-Regelung für Anbauverbote dürfte das noch nicht spruchreif sein.
Ob das Anbauverbot TTIP überlebt?

Bei den Verhandlungen mit den USA über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP und mit Kanada (Ceta) spielt die Kennzeichnungsdebatte eine wichtige Rolle. Bisher gibt es in den USA und in Kanada keine Kennzeichnung von Gentech-Lebensmitteln. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner sagt: „Die europäischen Regelungen  werden  explizit und ausschließlich als Handelshemmnisse thematisiert. Damit stellen Ceta und TTIP die Weichen eindeutig in Richtung mehr Gentechnik – allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz.“ In einem aktuellen Gutachten im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion schreibt der Gentechnik-Experte Christoph Then, dass die Handelsabkommen die Tür für Schiedsgerichtsverfahren vor der Welthandelsorganisation (WTO) im Streit um die grüne Gentechnik öffnen würden. Auch gegen die gerade beschlossenen nationalen Anbauverbote könnten Gentech-Konzerne dann klagen – und würden vermutlich Recht bekommen. Denn vor der WTO gelten „sozio-ökonomische Gründe“ oder der Widerstand der Bevölkerung nicht als Begründung für ein Anbauverbot. Dort können lediglich gesundheitliche Risiken geltend gemacht werden. Doch das in der EU geltende Vorsorgeprinzip, das im Zweifel den Verbraucherschutz höher bewertet, gilt weder in den USA noch in Kanada. Then schreibt: „In den USA werden (vereinfacht gesprochen) gentechnisch veränderte Pflanzen bis zum Beweis des Gegenteils als sicher angesehen.“

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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