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EU-Umweltminister einigen sich auf neue Zulassungsregeln / Umweltschützer befürchten einen Dammbruch

Frankfurter Rundschau - Von Thorsten Knuf
EU-Staaten sollen in Zukunft leichter den Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen auf heimischen Äckern untersagen können. Auch wenn eine Sorte auf europäischer Ebene prinzipiell zugelassen wird, sollen die Länder nationale Verbote aussprechen dürfen. Darauf haben sich die EU-Umweltminister nach jahrelangem Streit am Donnerstag geeinigt. Außer Belgien und Luxemburg stimmten alle Mitgliedstaaten der Regelung zu. Die deutsche Ministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach von einer klaren und eindeutigen Regelung, "die es uns ermöglicht, gentechnisch veränderte Organismen in unseren Ländern nicht zuzulassen".
Laut dem Beschluss soll ein Staat künftig während und nach der Zulassung einer gentechnisch veränderten Pflanze ein Anbauverbot verhängen können. Zunächst kann es über die EU-Kommission das Gentech-Unternehmen auffordern, das betreffende Land vom Zulassungs-Antrag auszunehmen. Geht die Firma darauf nicht ein, kann der Staat von sich aus ein Verbot ankündigen. Mögliche Gründe sind etwa umwelt- oder agrarpolitische Ziele oder die Sorge um die öffentliche Ordnung und das öffentliche Interesse. Den Unternehmen ist es freigestellt, dagegen zu klagen.
Ist eine Pflanze bereits zugelassen, sollen Mitgliedstaaten nachträglich ebenfalls einen nationalen Bann aussprechen können. Dafür müssten aber Gründe angeführt werden, die während des Verfahrens noch nicht bekannt waren. Auch hier kann es um Ziele der Umwelt- oder Agrarpolitik oder um die öffentliche Ordnung gehen. Bislang mussten die EU-Staaten stets neue wissenschaftliche Erkenntnisse präsentieren, wenn sie ein nationales Anbauverbot verhängen wollten. Das stellte sich in der Praxis als schwierig dar.
Die Zulassung gentechnisch manipulierter Pflanzen ist in der EU ein kompliziertes und langwieriges Unterfangen, an dem neben der Lebensmittelbehörde EFSA auch die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten beteiligt sind. Letztere trauen sich aber häufig nicht, die politische Verantwortung zu übernehmen. Dies wurde zuletzt im vergangenen Februar deutlich, als der EU-Ministerrat über die Anbau-Genehmigung der Maissorte 1507 von DuPont und Dow Chemical zu befinden hatte. Zwar sprach sich eine große Mehrheit der Mitgliedsstaaten gegen die Zulassung aus. Weil sich Deutschland der Stimme enthielt, kam aber keine qualifizierte Mehrheit zustande. Nun liegt der Ball wieder bei der EU-Kommission, die das Produkt wohl freigeben und den Ärger der Gentechnik-Gegner auf sich ziehen wird. Der Mais 1507 ist resistent gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel und Mottenlarven.
Die einzelnen Mitgliedstaaten wollen sich angesichts hitziger Debatten über genveränderte Nahrungs- und Futtermittel nun mehr Autonomie verschaffen. Der Luxemburger Beschluss vom Donnerstag ist aber erst eine Etappe auf dem Weg dorthin. Bevor das geltende EU-Recht geändert werden kann, muss noch eine Einigung mit dem Europäischen Parlament herbeigeführt werden. Der zuständige EU-Kommissar Tonio Borg hofft, dass dies noch bis zum Jahresende geschieht.
Die Umweltminister lobten sich am Donnerstag selbst für ihren Schritt. Jeder Staat könne selbst entscheiden, ob er auf seinem Territorium oder Teilen davon den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zulassen werde, sagte die französische Ressortchefin Ségolène Royal. Österreichs Vertreter Andrä Rupprechter sprach von einen "Fortschritt für die Selbstbestimmung eines jeden Mitgliedsstaats". Ministerin Hendricks sagte, sie halte die beschlossenen Verbotsgründe für juristisch wasserfest.
Umweltschützer können die Begeisterung allerdings nicht teilen: Nach Einschätzung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist der Beschluss "eine Einbahnstraße in Richtung Gentechnik". Um Anbauverbote zu erlassen, müssten sich die Staaten entweder auf einen Kuhhandel mit Konzernen einlassen oder erheblichen Aufwand betreiben, um ein Anbauverbot zu rechtfertigen. Wahrscheinlich werde sich die Zahl der Zulassungsverfahren sogar drastisch erhöhen, weil EU-Kommission und Unternehmen nicht mehr auf den geballten Widerstand der Mitgliedsstaaten treffen.
Der grüne Agrar-Experte Martin Häusling kritisierte, dass sich diejenigen Mitgliedstaaten, die keinen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zulassen wollen, in Zukunft nicht nur gegenüber der Brüsseler Behörde, sondern auch gegenüber den Konzernen zu erklären haben. Auch sei nicht geklärt, wie der Handel mit solchen Pflanzen zwischen den Mitgliedstaaten künftig kontrolliert werden kann. Seite 11

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Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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