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ZEIT ONLINE wirtschaft - In der EU bahnt sich eine heikle Personalrochade an: Industrievertreter sollen die Lebensmittelbranche beaufsichtigen, warnt der grüne EU-Parlamentarier Martin Häusling. Ein Interview von Marlies Uken

ZEIT ONLINE: Herr Häusling, am Mittwoch wurden sieben neue Mitglieder für den Verwaltungsrat der europäischen Lebensmittelaufsicht EFSA nominiert – für Sie eine "unerträgliche Entscheidung". Warum?

Häusling: Wieder erhärtet sich der Verdacht, dass Lobbyinteressen die Arbeit der EFSA bestimmen und dass es keine industrieunabhängige Aufsicht gibt. Diese Nähe zur Industrie darf es nicht geben. Die Behörde trifft weitreichende und wirtschaftlich bedeutungsvolle Entscheidungen. Die Lebensmittelaufsicht muss industriefern sein.

 

ZEIT ONLINE: Wen haben Sie besonders im Visier?

Häusling: Nehmen Sie Jan Mousing vom Dänischen Forschungszentrum für Landwirtschaft. Er zieht erneut in den Verwaltungsrat ein – dabei ist er zugleich Chef dieser Privatfirma, welche die Interessen der dänischen Lebensmittelindustrie vertritt. Das bestätigt unser begründetes Misstrauen, dass ausgerechnet diejenigen, die sich vorher für eine Landwirtschaft ausgesprochen haben, die Gentechnik und Industrialisierung befürwortet, jetzt die Lebensmittelaufsicht kontrollieren sollen. Glücklicherweise zieht – entgegen der Pläne – Beate Kettlitz nicht ins Gremium ein. Sie ist Vertreterin von FoodDrinkEuropa, dem Verband der großen Lebensmittel- und Getränkehersteller.

ZEIT ONLINE: Welche Beispiele für Lobbyeinfluss haben Sie?

Häusling: Im Fall der Gentechnik nimmt die EFSA überhaupt keine kritische Position ein. Dabei gibt es durchaus kritische Stellungnahmen aus der Wissenschaft, etwa aktuell zum Genmais 1507. Die EFSA wiederholt aber monoton, es gebe keine wissenschaftlichen Belege. Unabhängige Wissenschaftler werden einfach abgebügelt.

ZEIT ONLINE: Wo ist das Problem, dass Personen mit Fachkenntnissen in den Verwaltungsrat einziehen? Das sehen die EU-Vorgaben ausdrücklich vor.

Häusling: Hier zieht einseitiger Sachverstand ein, der geprägt wird von Gruppen, die eigentlich kontrolliert werden sollen. Die EFSA ist ja nicht unbelastet. Es gab bereits viel Kritik am Drehtüreffekt. Zum Beispiel im Fall von Diána Bánáti, die zunächst für das International Life Sciences Institute (ILSI) arbeitete, das von der Gentechnik- und Chemieindustrie finanziert wird. Dann wurde sie Vorsitzende des EFSA-Verwaltungsrats, danach ging sie wieder direkt zurück zu ILSI. So etwas gefährdet die Glaubwürdigkeit der Aufsichtsbehörde und damit die Akzeptanz der Entscheidungen. Es muss klar sein, dass es wissenschaftlich unabhängige Entscheidungen gibt – ohne kommerzielle Verflechtungen.
Martin Häusling

ist agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und Biolandwirt.

ZEIT ONLINE: Warum ist die EFSA für Verbraucher so wichtig?

Häusling: Die EFSA wurde in der BSE-Krise Anfang der neunziger Jahre gegründet und soll für für mehr Lebensmittelsicherheit sorgen. Was wir hier in Europa machen, setzt weltweit Maßstäbe. Industrieinteressen stehen dem Verbraucherschutz gegenüber. Die EFSA reguliert etwa auch den Einsatz des Weichmachers Bisphenol A, der sich am Ende auch in Babytrinkflaschen findet.

ZEIT ONLINE: Warum haben Jahre der Kritik an der Unabhängigkeit der EFSA nichts geändert?

Häusling: Zum Teil sind das ganz praktische Gründe: Es gibt schlicht wenige wirklich von kommerziellen Interessen unabhängige Wissenschaftler. Aber man hat natürlich auch Angst vor Entscheidungen mit weitreichenden, wirtschaftlichen Folgen. Nehmen Sie das Verbot der Neonicotinoide: Die Chemieindustrie warnte vor Folgekosten von 15 Milliarden Euro. Glücklicherweise hat die EFSA trotzdem, nach langem Zögern, den Einsatz dieses Pflanzenschutzmittels, das auch zum Bienensterben beiträgt, verboten. Es besteht die Gefahr, dass nicht das Vorsorgeprinzip im Verbraucherschutz gilt. Lieber wird drei Mal geprüft und eine Entscheidung auf die lange Bank geschoben.

ZEIT ONLINE: Wie schafft man es, den Industrieeinfluss zu reduzieren?

Häusling: Ich appelliere an die Kollegen der konservativen und sozialdemokratischen Parteien im EU-Parlament, nicht nur Resolutionen zu mehr Unabhängigkeit der EFSA zu verabschieden. Dem müssen Taten folgen! Im vergangenen Jahr haben wir Grüne mit den Sozialdemokraten der EFSA die Haushaltsentlastung verweigert, weil sie eben nicht unabhängig war. Jetzt aber stimmen die Sozialdemokraten der Nominierung der Industrievertreter zu. Grundsätzlich gilt: Die Lobbyverflechtungen der EFSA müssen beendet werden. Man könnte etwa Industrievertretern eine Zwangspause von mindestens zwei Jahren auferlegen, bevor sie in den Verwaltungsrat einziehen können. Das aber schiebt die Kommission auf die lange Bank.


Aufgaben
Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA wurde 1992 gegründet. Die EU-Behörde soll die Sicherheit von Nahrungsmitteln- und Futtermitteln und Getränken in der EU überwachen. Sie erstellt zudem wissenschaftliche Analysen zur Tiergesundheit und zum Pflanzenschutz.

Kritik an der Unabhängigkeit
Seit Jahren schon kritisieren Nicht-Regierungsorganisationen die EFSA, weil führende Mitglieder zu industriefreundlich seien. Die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory  warnte etwa in einem Report im vergangenen Jahr, dass rund die Hälfte der mehr als 200 Wissenschaftler der EFSA direkte oder indirekte Verbindungen zu den Industrien unterhalten, die sie eigentlich kontrollieren sollten.

   Quelle ZEIT ONLINE
    Adresse: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-05/efsa-aufsicht-lobbyismus/komplettansicht

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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