Grüne Europagruppe Grüne EFA

Frankfurter Rundschau
 Die EU-Kommission bewegt sich. Sie stoppt im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) die Gespräche über die Klagemöglichkeit von Konzernen gegen Umwelt- oder Gesundheitsregeln, damit endlich Kritiker zu Wort kommen können. Doch das ist nur ein kleiner Schritt. Es drängt sich mehr und mehr die Frage auf: Brauchen wir das Freihandelsabkommen EU/USA um jeden Preis? Sollte nicht mindestens der Verbraucher- und Agrarsektor völlig herausgenommen werden?

 Ein Blick zurück: Was haben ähnliche Freihandelsabkommen den beteiligten Partnern gebracht? Zum Beispiel Nafta, das Abkommen zwischen Kanada, den USA und Mexiko: Zwar hat sich der Handel zwischen den drei Ländern verdreifacht, aber das Economic Policy Institute in Washington schätzt die Zahl der verlorengegangenen Jobs allein in den USA auf 700 000. In Mexiko hat eine riesige Zahl an Kleinbauern aufgrund der billigen Maisimporte aufgegeben und drängt auf den Arbeitsmarkt. Gewerkschaften beklagen auf allen Seiten wachsende Einkommensunterschiede, weil Löhne an das jeweils niedrigere Niveau angeglichen werden. Von einem Schiedsgericht verklagt, musste Kanada sein Importverbot für ein mit einem giftigen Zusatzstoff belastetes US-Benzin aufheben und dennoch Millionen Entschädigung für entgangene Gewinne an den US-Konzern zahlen. Der Hintergrund waren die sogenannten Investorenschutzklauseln.

 In den USA ist jeder Stoff erlaubt, dessen Schädlichkeit nicht bewiesen ist. Also gibt es ein Verbot erst nach der Schädigung des Verbrauchers. In der EU reicht ein Verdacht auf Schädlichkeit, um ein Verbot zu rechtfertigen. Die Vorstellung, dass die Beseitigung der sogenannten nicht tarifären Handelshemmnisse uns Hormonsteaks, Chlorhühnchen und Gentechnik auf dem Teller bescheren könnte, ist nicht nur unappetitlich. Das Prinzip des „vorsorgenden Verbraucherschutzes“ ist eine große Errungenschaft Europas, für das NGOs und Verbraucherschützer lange gekämpft haben. Wir werden es nicht auf einem Freihandelsaltar für ein paar mehr verkaufte Autos opfern.
Es könnte aber noch schlimmer kommen, nämlich so weit, dass die Handelsinteressen von US-Konzernen darüber entscheiden, welche Umwelt- oder Sozialgesetze wir uns in Europa in Zukunft noch „leisten“ können. Dies wäre eine Bankrotterklärung der Demokratie. Man denke das mal zu Ende: Monsanto verklagt Deutschland auf Milliarden Euro Schadensersatz, weil Agrarminister Friedrich auf Basis des Vorsorgeprinzips Monsantos meistverkauftes Herbizid, Round-Up, verbietet. Aktuell ist das politisch noch keine wirklich realistische Vorstellung, aber mit einer Investorenschutzklausel quasi unmöglich.

 Beide Seiten haben zum Ziel, entsprechende Klauseln in das Handelsabkommen aufzunehmen. Im Fall von TTIP gibt es dafür keinerlei nachvollziehbare Rechtfertigung. Die staatlichen Rechtssysteme der USA und der EU sind definitiv dazu in der Lage, Handelsstreitigkeiten beizulegen. Nur hat dann ein staatlicher Gerichtshof das letzte Wort und das macht es für Konzerne schwieriger, missliebige „Handelshemmnisse“ aus dem Weg zu räumen.

 Was wir brauchen, sind regionale Wertschöpfungsansätze und die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Gerade diese profitieren jedoch nicht von industrialisierten Produktionssystemen und Handelsliberalisierung – im Gegenteil. In einer Studie des europäischen Gewerkschaftsverbands für Ernährung, Landwirtschaft, Tourismus und Handel (Effat) heißt es, dass bei Umsetzung innovativer Ansätze allein der ökologische Landbau europaweit ein Potenzial von 400 000 Arbeitsplätzen bieten könne, während Reststoffnutzung und Energieerzeugung auf ein Potenzial von etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätzen kämen. Die Effat hat sich daher auch gegen das TTIP ausgesprochen. Es gibt durchaus Alternativen.

 Auch wenn wir nicht immer begeistert sind von dem, was aus Brüssel kommt, die europäische Politik ist – im weltweiten Vergleich – eine der transparentesten. Die allermeisten Sitzungen sind öffentlich und in alle Sprachen übersetzt. Bei Verordnungsvorschlägen werden über lange Zeit öffentliche Konsultationen durchgeführt und Zielgruppen sowie Betroffene angehört. Das Europäische Parlament bestimmt seit dem Lissabon-Vertrag alle EU-Beschlüsse gleichberechtigt mit. Dieses Niveau an Transparenz und demokratischer Mitsprache wird bei den Verhandlungen zum TTIP nun kräftig mit Füßen getreten.

 Im Vorfeld der Verhandlungen wurden kaum Gespräche mit Bürgervertretern geführt, dafür aber Hunderte mit Konzernen. Den Text des Verhandlungsmandats hat die EU-Kommission nur stark gekürzt veröffentlicht, obwohl in den USA der Gesamttext ins Netz gestellt wurde. Die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament dürfen ein einziges Mal abstimmen: Am Ende. Mit Ja oder Nein.

 Eine Anhörung der Fachausschüsse zu den jeweiligen Verhandlungsinhalten ist nicht vorgesehen. In der letzten Sitzung im Dezember blieb die Kommission uns Parlamentariern die Antworten auf viele kritische Fragen schuldig. Die schriftliche Antwort der Kommission auf die Petitionskampagne und die Kritik von Campact enthält viel Nebel und verstärkt eher Befürchtungen, als sie zu zerstreuen. Dieser Geheimdeal verträgt sich nicht mit einem demokratischen Europa und muss daher abgelehnt werden!

Martin Häusling ist agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament und Milchbauer in Nordhessen. Er hat eine Autorenstudie zu TTIP initiiert. Sie ist online abrufbar unter www.martin-haeusling.eu.

Schlagwörter:

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

Pressemitteilungen