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Von Tobias Kaiser - Korrespondent in Brüssel

Die EU hat ihre Grenzen für ukrainische Landwirte geöffnet. Seit dem Frühjahr können sie Getreide leichter in die EU und von dort weiter transportieren. Bei Bauern in Polen und Rumänien sorgt das für Frust. Ein Zurück scheint ausgeschlossen - die mögliche Lösung könnte teuer werden.

Nicht abgeerntete Felder, auf denen Maispflanzen vor sich hin rotteten, waren in den vergangenen Monaten das deutlichste Zeichen für die Probleme der Bauern in der rumänischen Grenzregion zur Ukraine. Die Landwirte klagen darüber, dass billiges Getreide aus der Ukraine ihnen ihr Geschäft kaputt mache. Das Überangebot sorge dafür, dass sie ihre eigenen Ernten nur noch unter Produktionskosten verkaufen könnten. Oder das Ernten eben gleich lassen.

Die Bauern sehen sich als Opfer einer gut gemeinten EU-Politik, die ihnen das Geschäft verdirbt. Die Marktverwerfungen sind eine Erinnerung daran, dass selbst gut gemeinte staatliche Maßnahmen nicht vorhersehbare teure Konsequenzen haben können.

In diesem Fall sind es die sogenannten Solidaritätskorridore: Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und der Blockade ukrainischer Häfen durch Russland, wollte die EU ukrainische Erzeuger beim Verkauf von Getreide ins Ausland unterstützen. Die russische Exportblockade drohte damals die Ukraine, einen der weltweit größten Agrarexporteure, vom Weltmarkt auszuschließen.

Im Mai vergangenen Jahres machte die EU es deshalb ukrainischen Landwirten leichter, ihre Ernten über die Nachbarländer Polen, Ungarn und Rumänien zu exportieren. Sie schuf dafür die sogenannten Solidaritätskorridore.

Dabei geht es vor allem um bürokratische Erleichterungen: Alle EU-Zölle für Agrarprodukte aus der Ukraine sind bis Mitte dieses Jahres ausgesetzt und die Mitgliedstaaten sind angehalten, Lieferungen aus der Ukraine so unbürokratisch und schnell wie möglich abzufertigen. Hinzu kommen Infrastrukturmaßnahmen wie zusätzliche Verladeeinrichtungen für Getreide oder zusätzliche Speicher in den Nachbarländern, um Getreide zwischenzulagern.

Eigentlich sollten die Erleichterungen dafür sorgen, dass die Ukraine ihr Getreide in Drittländer, vor allem in den Nahen Osten, verkaufen kann. Vor dem Krieg war es meist verschifft worden. Jetzt wird es über Straßen, Schienen und Flüsse transportiert, landet zu einem großen Teil in den Grenzregionen, wo es vorher nicht verkauft wurde, und verdirbt dort den Bauern das Geschäft. Rumänische Bauern warnten bereits im vergangenen Jahr vor Pleiten.

Was von der Politik zunächst als Anlaufschwierigkeiten der neuen Lieferwege abgetan wurde, hat sich in den vergangenen Monaten zum Dauerproblem entwickelt. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die betroffenen Regionen in Polen und Rumänien besonders arm sind und die Landwirtschaft dort ein wichtiger Wirtschaftszweig ist.

"Die Solidaritätskorridore waren und sind notwendig, um Getreide über Straße und Schiene aus der Ukraine zu bekommen", sagt Norbert Lins. Der CDU-Politiker ist Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments. "Wir sehen aber, dass die Korridore sich negativ auf die Landwirtschaft in den Grenzregionen auswirken."

Die betroffenen Landwirte klagen, sie würden aus dem Markt gedrängt: Das Getreide aus der Ukraine sei billiger als das vor Ort angebaute. Ukrainischer Weizen beispielsweise sei bis zu 20 Prozent günstiger als der in Polen angebauter. Für Mühlen und andere Großkunden ist es deshalb attraktiver, auf ukrainischen Weizen umzusteigen.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat zwar angekündigt, dass ukrainisches Getreide in Polen nicht verkauft werden darf. Das Verbot lässt sich aber offenbar leicht umgehen.

"Eigentlich sollte für den Transport ein Großteil auf die Bahn verladen werden, zum Beispiel zu den Ostsee-Häfen", sagt der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne), der im Agrarausschuss sitzt. "Leider klappt nach wie vor das Umladen nicht. Beim Ausbau der Eisenbahn hakt es, weshalb viel Getreide per Lkw transportiert wird und dann in den Nachbarstaaten landet. Dort verzerren diese Getreideeinfuhren die dortigen nationalen Märkte, vor allem in Rumänien."

Hinzu kommt, dass die Lieferungen, die in Polen oder Rumänien ankommen, offenbar nicht immer attraktiv für die traditionellen Kunden sind. Etwa beim Mais: Traditionell haben ukrainische Landwirte ihren Mais vor allem nach Italien, Spanien, Portugal und teilweise auch die Niederlande verkauft. Dort wird er verfüttert. Die Mengen, die jetzt mit Lkw und Zügen über die ukrainische Grenze kommen, sind aber offenbar zu klein für Großhändler, die zuvor ganze Schiffsladungen angekauft haben.

Die Bauern in den Grenzregionen leiden außerdem darunter, dass die zusätzlichen Getreidemengen, die aus der Ukraine kommen, ihre Transportkosten in die Höhe treiben. Lastwagen und Güterwaggons sind knapp. Die EU-Maßnahmen für die Solidaritätskorridore sehen zudem vor, dass Betreiber von Binnenhäfen und Eisenbahnen Getreidelieferungen aus der Ukraine bevorzugt behandeln sollen.

Bauern klagen zwar schon seit Monaten über Probleme, aber die Europäische Kommission, die Verwaltung der EU, konnte oder wollte das Problem lange nicht sehen. Noch Ende September sagte der zuständige Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski, dass die Lieferungen über die Korridore keine Auswirkungen auf die Bauern in den Grenzregionen hätten.

Die Haltung der Behörde hat sich inzwischen offenbar geändert. Am Rande der Grünen Woche in Berlin sagte Wojciechowski, dass die Getreidelieferungen die lokalen Märkte verzerrten. An den Erleichterungen für die ukrainischen Exporteure wolle die EU aber festhalten.

Die Korridore gelten in Brüssel als großer Erfolg. Zuletzt wurden über sie im Monat rund drei Millionen Tonnen Getreide transportiert. Sie haben offenbar auch dazu beigetragen, die Weltmarktpreise für Weizen zu senken: In den zwei Monaten nach dem Start der Korridore sackten die globalen Weizenpreise auf das Niveau von vor dem russischen Einmarsch ab.

Möglich wäre zwar, die Regeln teilweise zu ändern, etwa auf bestimmte landwirtschaftliche Produkte wieder Zölle zu erheben. Aber das politische Signal wäre heikel. Auch Bauernvertreter werden nicht müde zu betonen, dass ihre ukrainischen Kollegen unterstützen wollen und auch ihnen am Herzen liege, Mangelernährung in ärmeren Ländern zu verhindern.

Die wahrscheinlichste Lösung lautet deshalb: mehr Geld für die Betroffenen. Agrarkommissar Wojciechowski sagte in Berlin, dass unter Umständen Hilfen aus einem Krisenfonds fließen könnten. Dafür müssten allerdings alle EU-Länder zustimmen und das ist alles andere als sicher.

Deshalb forderte der Kommissar auch im gleichen Atemzug die betroffenen Länder auf, den Bauern finanziell zu helfen. Schon in der kommenden Woche gibt es zwei Gelegenheiten, eine Lösung zu finden: Am Montag treffen sich die EU-Landwirtschaftsminister in Brüssel und am 3. Februar die EU-Kommission und die ukrainische Regierung in Kiew. Dort dürften die Marktverwerfungen auch Thema sein.

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