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Analyse von Hans-Jürgen Moritz
21 Januar 2023 -Focus Online
 
Eigentlich sollte 2023 die Wende in der EU-Agrapolitik bringen. Stattdessen beginnt das neue Jahr mit einer altbekannten Diskussion: Wie man noch mehr Geld in das für Laien undurchschaubare System pumpen könnte, das für seine Subventionen traditionell erhebliche Mittel aus dem EU-Haushalt beansprucht.

Janusz Wojciechowski ist auf einer Mission, ob in Brüssel oder Berlin. Was der polnische EU-Agrarkommissar schon im Europäischen Parlament als Botschaft hinterließ, brachte er nun auch bei der Eröffnung der Internationalen Grünen Woche unter: „Wir brauchen einen stärkeren Haushalt als jetzt, einen Haushalt, der die Tiefen unserer Herausforderungen reflektiert und der Höhe unserer Ambitionen gerecht wird.“

EU-Agrarkommissar: Bauern können nicht mehr für weniger liefern

Die Tiefen, das sind die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, für EU-Bauern vor allem höhere Energie-, Dünger- und Futtermittelkosten. Mit ihnen wird die anhaltende Preisexplosion bei Lebensmitteln begründet – im November mehr als 18 Prozent im EU-Durchschnitt, in Ungarn sogar schwindelerregende 49 Prozent. Die Höhen, das sind schärfere Anforderungen an Umwelt- und Artenschutz, wie sie die jetzt in Kraft getretene neueste Reform der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) mit sich bringt.

Zum Teil sind EU-Öko-Vorschriften wegen der besonderen Lage durch den Vernichtungsfeldzug des russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Folgen für die Agrarproduktion bereits zeitweilig außer Kraft gesetzt. Nun legt Wojciechowski nach: „Wir können nicht von den Landwirten verlangen, mehr für weniger zu geben.“ Sie machten sich keinesfalls die Taschen voll, sondern gäben nur höhere Erzeugerpreise an die Konsumenten weiter.

390 Milliarden Euro bis 2027 im Agrar-Fördertopf

Keiner habe die Belastungen durch den Krieg in der Ukraine voraussagen können, als „der aktuelle Haushalt unter großen Schmerzen das Licht der Welt erblickt hat“, betont Wojciechowski. Deshalb möchte der Kommissar „die Grundlagen schaffen für eine Stärkung der GAP und für eine Aufstockung des Haushalts der GAP“, wie er vor dem Europäischen Parlament ankündigte.

Verständnis dafür zeigt der Vorsitzende des Agrarausschusses des Parlaments, der CDU-Abgeordnete Norbert Lins, im FOCUS-online-Interview: „Ich glaube, dass es richtig ist, dass Kommissar Wojciechowski jetzt die Debatte um höhere Unterstützung für unsere Bauern aus dem EU-Haushalt eröffnet hat. Im Europäischen Rat wird darüber kein Jubel ausbrechen, aber es gibt auch klare Forderungen der Agrarminister, die man adressieren muss.“ Lins weist darauf hin, dass Inflationseffekte 85 Milliarden Euro von den 390 Milliarden auffressen würden, die im EU-Haushalt 2021 bis 2027 für die Landwirtschaft vorgesehen seien. „Darauf muss man reagieren.“

Deutsche Bauern mit ganz unterschiedlicher Ertragslage

In der EU sind Landwirte in unterschiedlichem Ausmaß von EU-Subventionen abhängig, die Spannbreite reicht laut Lins von 20 bis 70 Prozent des Einkommens. Auch innerhalb Deutschlands sei die Situation der Bauern sehr verschieden: „Mit Milch und Ackerbau sind derzeit höhere Preise zu erzielen. Die deutschen Obstbauern haben aber nur höhere Kosten, keine gestiegenen Erlöse. Und die Lage in der Schweinezucht ist besonders dramatisch.“

Der Agrar-Experte der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling, ergänzt: „Große Ackerbaubetriebe im Osten Deutschlands verdienen jetzt richtig gut, denn die Getreidepreise sind um 70 Prozent gestiegen.“ Relativ stabil halten sich nach dem Eindruck des grünen Fachmanns Bio-Bauern. Zwar schrumpften jetzt kräftige Gewinne zusammen, die die Corona-Krise ihnen beschert habe. „Jedoch hat die biologische Landwirtschaft auch Kostenvorteile. So ist sie nicht abhängig von Stickstoffdünger, dessen Preise heftig gestiegen sind."

Grüne und linke Kritik: Handel hat bei Preisen zugelangt und draufgelegt

Häusling macht im Gespräch mit FOCUS online über die Preisentwicklung in Deutschland außerdem darauf aufmerksam, „dass auch sehr viel im Handel hängengeblieben ist. Lebensmitteldiscounter haben den Preis von Bio-Milch zum Beispiel um 50 Cent heraufgesetzt, ohne dass dafür ein Grund erkennbar wäre oder die Erzeuger davon etwas hätten. Die allgemeine Erfahrung, dass alles teurer wird, wird ausgenutzt, um richtig zuzulangen und noch mal einen draufzulegen.“

Nach Angaben des Europaabgeordneten und Co-Vorsitzenden der deutschen Linken, Martin Schirdewan, haben im vorigen Jahr 95 Lebensmittel- und Energiekonzerne weltweit ihre Gewinne mehr als verdoppelt. Schirdewan fordert von der Bundesregierung Subventionen für die Verbraucher: null Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel und eine Preisbremse für ausgewählte Produkte in einem „Anti-Inflationskorb“: Nudeln, Obst, Mehl, Brot, Gemüse, Milch, Eier, Butter und Öl.

SPD-Expertin warnt vor Gefälligkeitsreden vor applaudierende Bauern

25 Milliarden Euro netto überwies die Bundesregierung nach inoffiziellen Berechnungen der Deutschen Presseagentur (dpa) im vergangenen Jahr als nationalen Beitrag zum EU-Haushalt nach Brüssel. Dieses Jahr wird das Gesamtbudget rund 186 Milliarden Euro umfassen, von 2021 bis 2027 insgesamt 1,074 Billionen. Die darin vorgesehenen Agrarmittel machen nach Kommissionsangaben derzeit 0,4 Prozent der gesamten europäischen Wirtschaftsleistung aus.

Ob sie immer zielgerichtet eingesetzt werden, bezweifelt die Landwirtschaftsexpertin der SPD im Europäischen Parlament, Maria Noichl. Sie sagte FOCUS online: „Nach immer mehr frischem Geld zu schreien, macht sich prima in Reden vor applaudierenden Landwirten, bringt uns aber nicht weiter. In der EU-Agrarpolitik ist schon sehr viel Geld unterwegs. Es ist aber sehr die Frage, ob es immer an den richtigen Stellen ankommt und auch wirklich die Wirkung entfaltet, die man sich erhofft.“ PDF-Kasten - Zuhause Stromfresser finden - so gelingt´s

Nach der Reform ist vor der Reform

Noichl plädiert für punktgenauere Förderung wirklich Bedürftiger, die sie auch in der neuen GAP nicht hinreichend gewährleistet sieht. Deshalb fordert sie: „Wir müssen jetzt schon an die nächste Reform denken.“ Die nächste EU-Kommission solle dafür nach ihrem Amtsantritt zügig Pläne vorlegen. Wieder mal die große Gießkanne über allen auszugießen, wäre „nicht fair gegenüber unseren Verbrauchern“.

Auch der Grüne Häusling warnt: „Wir dürfen da jetzt nicht den großen Topf aufmachen. Das wäre im Europäischen Rat erstens nicht durchsetzbar und würde zweitens auch andere Branchen ermutigen, wegen zusätzlicher Subventionen vorstellig zu werden.“ Der CDU-Agrarpolitiker Lins glaubt nach eigenen Worten, „dass den Verbrauchern vor allem geholfen ist, indem wir unsere Produktion aufrechterhalten. Denn die Preissteigerungen sind aufgrund von Knappheit auf den Märkten entstanden.“     

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