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In Deutschland werden Nutztieren jährlich 700 Tonnen Antibiotika verabreicht. Der massenhafte Einsatz begünstigt die Entstehung multiresistenter Keime. Die EU will den Antibiotika-Einsatz in der Tiermedizin einschränken. Tierärzte protestieren.

Ein traurig dreinblickender Hund, dazu die Überschrift "Mein Leben ist in Gefahr". Dieses Plakat hängt seit kurzem hundertfach in Tierarztpraxen und wird in den sozialen Medien geteilt. Viele Tierbesitzer sind verunsichert.

Es ist eine Protestaktion des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) gegen eine Resolution des EU-Umweltausschusses. Der fordert mehrheitlich, bestimmte Antibiotika in der Tiermedizin künftig zu verbieten und sie nur noch für die Behandlung von Menschen vorzuhalten. Mit dem Ziel, die Entstehung multiresistenter Keime zu reduzieren.

Die entstehen vermehrt, wenn Antibiotika zu häufig oder unsachgemäß verabreicht werden. Die Folge: Antibiotika werden auf Dauer unwirksam. Etwa über Hähnchenfleisch können resistente Keime in den menschlichen Körper eindringen.

"Tierschutzrelevante Szenarien" oder "Verzerrung der Realität"?

Trotzdem ist Tierarzt Siegfried Moder gegen die Einschränkung von Antibiotika in der Tiermedizin. Er hat die Plakataktion als Präsident des Bundesverbands praktizierender Tierärzte initiiert. Der Vorstoß beziehe sich nicht nur auf große Nutztierbestände, sondern auch auf die Einzelbehandlung von kranken Tieren. Er sagt, es könnte "tierschutzrelevante Szenarien" geben. Zum Beispiel bei der Behandlung eines Kaninchens, bei dem eine antibiotische Behandlung notwendig sei.

>> "Da müssen wir dem Tierbesitzer sagen: Tut uns sehr leid, wir können nicht behandeln, weil wir die Medikamente nicht mehr haben." <<

Doch die Argumentation der Tierärzte stößt immer mehr auf Kritik. Nicht alle Veterinäre teilen die Auffassung des Bundesverbands. Tierarzt Rupert Ebner spricht von einer "massiven Verzerrung der Realität" und forderte bpt-Präsident Siegfried Moder im BR-Interview sogar zum Rücktritt auf. Es stünden noch immer genügend andere Antibiotika in der Tiermedizin zur Verfügung - auch wenn die Resolution angenommen würde. Ist das Leben von Haustieren tatsächlich in Gefahr?


Ein Ziel, zwei Entwürfe

Ab 2022 gilt EU-weit die neue Tierarzneimittelverordnung (2019/06). Die sieht bereits im jetzigen Entwurf vor, bestimmte Antibiotika in der Tiermedizin einzuschränken. Oberstes Ziel ist, die Wirksamkeit von Antibiotika für die Zukunft sicherzustellen.

Verschiedene Behörden wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden beauftragt, solche Einschränkungen zu prüfen. Daraus resultierte schließlich ein Kompromiss.

Der allerdings ging dem Europaabgeordneten Martin Häusling (Bündnis 90/Die Grünen) nicht weit genug. Dem BR sagte er, die Kriterien im Kompromisspapier seien zu unscharf. Damit hätte es kaum Einschränkungen gegeben.

Der Umweltausschuss schlägt deshalb in der Resolution vor, die Einschränkungen genauer zu definieren und aufzulisten, welche Antibiotika nun erlaubt und welche künftig verboten sein sollen. Bei einer Sitzung im Juli fand dieser Vorstoß überraschend eine Mehrheit. Der von der EU-Kommission lange erarbeitete Vorschlag könnte damit gekippt werden.


Welche Antibiotika könnten bei Tieren nicht mehr eingesetzt werden?

Im Raum steht ein Anwendungsverbot für bestimmte Gruppen, sogenannte Reserve-Antibiotika. Nämlich solche, die laut WHO für den Menschen als von kritisch wichtiger Bedeutung und als höchste Priorität eingestuft wurden. Also Antibiotika, die nur dann noch vergeben werden, wenn gegen andere Antibiotika schon Resistenzen vorliegen und die daher wirkungslos geworden sind.

Konkret geht es um ein Anwendungsverbot von Makroliden, Polymyxinen, Fluorchinolonen und Cephalosporinen der vierten und dritten Generation. Die Krux: Letztere sind nicht nur für den Menschen, sondern auch für Tiere als "highly important", von großer Bedeutung eingestuft. Tierarzt Rupert Ebner betont, dass von EFSA und WHO der Mensch vor dem Tier priorisiert wurde und daher auch solche Antibiotika auf der potentiellen Verbotsliste stehen müssten.


Warum sollen Antibiotika in der Tiermedizin eingeschränkt werden?

In der EU sterben jedes Jahr im Schnitt 33.000 Menschen an Infektionen, bei denen multiresistente Keime im Spiel sind. Gegen Infektionen mit multiresistenten Keimen gibt es keine wirksamen Antibiotika. Humanmediziner schlagen deswegen Alarm und warnen vor einer "schleichenden Pandemie".

Laut einer aktuellen Greenpeace-Studie gelangen antibiotikaresistente Keime von Ställen in die Umwelt. Nämlich dann, wenn mit solchen Keimen belastete Gülle ausgebracht wird, so Greenpeace. In 30 von 33 Abwasserproben aus Schlachthöfen habe man multiresistente Keime nachweisen können, heißt es außerdem.


Entstehen multiresistente Keime in der Tierhaltung?

Laut Bundesverband praktizierender Tierärzte stammen fünf Prozent der multiresistenten Keime aus der Tierhaltung. Insgesamt habe man die Antibiotikavergabe in den vergangenen zehn Jahren bereits halbiert. Insbesondere in der Geflügelmast allerdings gab es keinen merklichen Rückgang.

Laut Robert Koch-Institut ist die Datenlage aktuell allerdings diffuser – es komme auf die Region an. In deutschen Regionen mit vielen Mastbetrieben liegt der Anteil der tierisch-assoziierten, resistenten Keime bei etwa 10 Prozent. Der größte Anteil allerdings stamme aus Krankenhäusern (sogenannte Krankenhauskeime).


Umwelthilfe: Plakataktion eine "Desinformationskampagne"

Während Tierhalter mehr und mehr besorgt um ihre Haustiere sind, kritisierte die Deutsche Umwelthilfe zuletzt die Plakataktion des Tierärzteverbands als Desinformationskampagne. Die Beschränkungen müssten auf große Tierbestände in der Landwirtschaft abzielen. Reinhild Benning, Agrarexpertin der Deutschen Umwelthilfe meint, es sei beschämend, wie versucht werde, Tierfreunden Angst zu machen und zu behaupten, ihre Katzen oder Hunde würden gefährdet. Das sei nicht der Fall.

Vielmehr werde die Kampagne missbraucht, um enge Kontakte der Veterinärmedizin zur Agrarbranche zu verschleiern, so Benning weiter. Würden "Hund und Hamster in der EU-Regel weiter in einen Topf geworfen mit Lebensmittel-Tieren, dürfen weiter tonnenweise Antibiotika im Trog der Massentierhaltung landen".

Einige Tierarztpraxen nähmen bis zu 78 Prozent ihres Umsatzes durch den Verkauf von Antibiotika ein. Anders als in der Humanmedizin werden Medikamente von Tieren von den Ärzten selbst verkauft.


Geht es um Haustiere oder Nutztiere?

Auch Martin Häusling von den Grünen, der im EU-Ausschuss die Resolution eingebracht hat, beschuldigte Siegfried Moder und den Tierärzteverband der falschen Tatsachenbehauptung. Er betonte im Gespräch mit dem BR, Einzelbehandlungen von Haustieren sollten weiterhin möglich bleiben. Auch er will lediglich Antibiotika-Einschränkungen für große Bestände in der Nutztierhaltung erreichen, wie zum Beispiel in der Putenmast.  Werden hier einzelne kranke Tiere entdeckt, wird oft der gesamte Bestand behandelt. Auch wenn der Großteil der Tiere noch gesund ist.  


Vorhaben könnte am Gesetz scheitern

Tatsächlich bietet aber die Tierarzneimittelverordnung, die den Einsatz von Antibiotika bei Tieren regelt, bis jetzt keine Möglichkeit, zwischen Massenvergabe an ganze Bestände und Einzelbehandlungen von kranken Tieren zu unterscheiden. 

Dazu müsste der Gesetzestext für die Tierarzneimittelverordnung angepasst werden. Dass die EU-Kommission das noch rechtzeitig in die Wege leitet, ist laut Europarechtlern jedoch unwahrscheinlich. Der neue Gesetzentwurf müsste dann wieder zurück an die Mitgliedsstaaten gegeben werden. Juristisch ist das zwar problemlos möglich, aber es könnte zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die europäische Tierarzneimittelverordnung soll bereits nächstes Jahr in Kraft treten.

Ob es also tatsächlich deutliche Einschränkungen beim Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin geben wird, hängt zunächst davon ab, ob das EU-Parlament Mitte September sich tatsächlich hinter das Votum des Umweltausschusses stellt. Und falls ja, wird die EU-Kommission entscheiden müssen, ob sie in Zukunft zwischen kranken Einzeltieren und Behandlung von großen Tierbeständen unterscheiden will.