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tagesspiegel GastbeitragTAGESSPIEGEL vom 22. Juli 2020

Warum es notwendig ist, beim Umbau des Agrarsystems auf Bio zu setzen, statt weiter zu glauben, man könne die Natur technisch bezwingen.

Ein Gastbeitrag Martin Häusling.

Mit der Vorstellung des European Green Deal scheint die Debatte um Gentechnik in der Landwirtschaft neu entbrannt. Einig ist man sich schon mal in der traurigen Erkenntnis: Dieses Agrarsystem wirtschaftet auf Kosten der Natur. Und das gilt es zu ändern.

Folgerichtig sind Strategien wie Farm-to-Fork auf den Schutz von Biodiversität ausgelegt. Für einen Systemwechsel braucht es aber mehr als bio-technische Pflaster, die wirtschaftlich vielleicht spannend klingen, in der Natur aber mehr Risiko als Segen sind.

Gerade erleben wir eine erfolgreiche Phase im ökologischen Landbau. Hier wird auf ein Nachahmen und Unterstützen in der Natur erprobter Mechanismen gesetzt. Das müssen wir fördern, um die Aufgaben bei Klima, Natur und Artenvielfalt erfolgreich zu meistern. Und nicht genetische Experimente in der freien Wildbahn aussetzen.

Nicht erst seit dem Vorstoß des Green Deal wird von einem angeblichen Ungleichgewicht zwischen Vorsorge und Innovation gesprochen. Oftmals wird behauptet, die politische Regulierung sei zu sehr auf Risikovermeidung ausgelegt und damit innovationshemmend. Dabei ist das Vorsorgeprinzip ein Hauptanker der europäischen Gesetze.

Der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor denkbaren und vermeidbaren Belastungen ist eine große Innovation, um die uns viele beneiden, denn es dient der Risikovorsorge aller Bürgerinnen und Bürger. Aus meiner Sicht wäre es fatal, das Vorsorgeprinzip als „innovationshemmendes Ärgernis“ zurückzusetzen.

Auch das Argument, neue Gentechnik sei gar keine Gentechnik, hat der Europäischen Gerichtshof 2018 sehr klar beurteilt. Die Verfahren fallen zu Recht unter die Gentechnikgesetzgebung.

Dennoch bejubelt die Agrarindustrie regelmäßig die neuerlichen Vorstöße für die Freigabe gentechnischer Verfahren. Dabei fällt unter den Tisch, dass es kaum ökologische Erfolge mit genetisch modifizierten Pflanzen gibt. Im Gegenteil: Die Folgen sind meist mehr Chemie und mehr mineralische Dünger auf dem Acker. Was vielleicht der Agrarindustrie gut gefällt, den Ökosystemen aber massiv schadet. Die versprochenen Wirkungen wie Trockenresistenz sind auf den riesigen Feldern Nord- und Südamerikas bislang nirgends zu sehen.

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Der Traum von der Steuerbarkeit biologischer Systeme scheint jedoch noch lange nicht ausgeträumt. Düngersack, Pestizidspritze und Glyphosat-resistentes Saatgut machen den industriellen Ackerbau vielleicht einfacher, aber eindeutig nicht „effizienter“. Die Auswirkungen auf die Ökosysteme zeigen seit Jahren, dass wir die biologischen Grundlagen unserer Ernährung zerstören.

Die Alternative zeigt der ökologische Landbau, wo das Nachahmen bzw. Unterstützen natürlicher Prozesse zu naturverträglicheren Lösungen führt.

Gentechnik ist kein Fortschritt

Das Suchen und ökologische Einpassen schon vorhandener Arten, die wir seit Jahrzehnten in europäischen Samenbanken bewahren, die an wechselnde Klimate angepasst und robust gegen Schädlinge sind, bietet ein riesiges Potenzial, das in die Züchtung wesentlich mehr miteinbezogen werden sollte. Der Natur können Wirkungsmuster „abgeguckt“ und genutzt werden, die ihre Testphase in der Evolution schon zigmal durchlaufen und positiv bestanden haben. Sowohl bei der Risikobewertung als auch bei der Aufwand-Nutzen-Analyse ist dies viel effizienter.

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Nicht zuletzt steht der Erfolg auch im Interesse der Verbraucher*innen, wie eine wachsende Branche zeigt. Viele Menschen wollen eine ökologischere, klima- und tierfreundlichere Nahrungsmittelpolitik.

 

Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/gentechnik-ist-keine-loesung-agrarwirtschaft-muss-naturnah-sein-wenn-sie-kein-risiko-sein-soll/26028194.html

Autor: Martin Häsling (Gastbeitrag) vom 22. Juli 2020

 

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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