Lebensmitteltransparenz - Kampf gegen eine Milliarden-Lobby
24.02.2013 Frankfurter Rundschau - Als Reaktion auf den Fleischskandal beraten die EU-Agrarminister über eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln. Im ersten Anlauf hat die Industrie das mit viel Lobbyarbeit zu verhindern gewusst. Nun muss sich Bundesministerin Aigner behaupten.
So etwas hatte es im Europaparlament noch nicht gegeben. Auf den Plätzen der Abgeordneten im Plenum lagen Flugblätter. Sie kamen nicht von der Parlamentsverwaltung, sondern von einer Gruppe namens „Alliance for Food Transparency“ - Allianz für Lebensmitteltransparenz. Hinter dem Bündnis verbargen sich aber keine Verbraucherschützer, sondern eine Tarnorganisation der Lebensmittelkonzerne.
Industrie schadet sich selbst
Sie wollte 2011 das Votum über die Lebensmittelampel beeinflussen, die mit den Farben Rot, Gelb, Grün auf den Verpackungen von Süßem, Käse und Wurst vor Ungesunde warnen sollte. Von einem „schmutzigen Trick“, sprach damals die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth Behrendt. Der Grünen-Politiker Martin Häusling sagt im Rückblick. „Die Industrie hat sich damit selbst geschadet. Im Skandal um umdeklariertes Pferdefleisch stellen die Firmen nun fest, dass sie angesichts der wirren Handelswege selbst nicht mehr nachvollziehen können, woher ihre Waren stammen.“
Christdemokraten und Liberale stoppten die Ampel nämlich damals im Parlament. Stattdessen soll künftig ein kleines Nährwertfeld auf der Rückseite der Verpackung kommen. Am Montag werden die EU-Agrarminister einen neuen Anlauf für eine strengere Lebensmittelkennzeichnung unternehmen. Notgedrungen. Der Pferdefleisch-Skandal zwingt zum Handeln.
Francois Hollande unterstützt den Plan
Erst tauchte im Januar in irisches Pferdefleisch als Rinderhack in britischen Burgern auf. Dann folgte im Februar falsch deklariertes Pferd in Lasagne, Ravioli und Bolognese-Sogu. Am Wochenende wurden erste Fälle in Italien bekannt. In Deutschland sind laut Bild am Sonntag bislang in 830 Tests in 67 Fällen Pferdefleisch in falsch etikettierten Fertigprodukten nachgewiesen worden, davon 27 in NRW, 13 in Hessen und 4 in Brandenburg.
Bei dem Krisentreffen in Brüssel will Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) gemeinsam mit ihrem französischen Kollegen Stéphane Le Foll den anderen EU-Staaten eine Herkunftskennung von Fleischprodukten vorschlagen. Auch Frankreichs Präsident Francois Hollande bekannte sich am Wochenende zu dem Vorhaben. Demnach sollen künftig bei Pizzen, Lasagne und Ravioli auf der Verpackung angegeben werden, welches Fleisch eingesetzt wurde und woher es stammt. Bisher gilt das nur für frisches Rindfleisch, bereits ab dem kommenden Jahr müssen auch bei Frischfleisch von Schwein, Schaf und Pferd angegeben werden, woher das Tier stammt.
„Aigner hat damals die Ampel abgelehnt, sie muss nun ihre eigenen Fehler korrigieren“, sagt der Grünen-Abgeordnete Häusling. Und Ruth Veale, Expertin für Lebensmittelsicherheit beim europäischen Verbraucherschutzverband Beuc klagt: „Es sind leider oft erst Skandale wie jetzt beim Pferdefleisch, die zu echten Fortschritten beim Verbraucherschutz führen.“ Doch Veale schwant Böses. „Die Industrie widersetzt sich Vorschlägen zum Thema Produktinformation oder Lebensmittelsicherheit gern mit dem Argument, dass das für die Firmen zu aufwendig wäre.“
Tarnorganisationen und zweifelhafte Studien
Europa kennt das schon. Die Anti-Lobbyorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) schätzt, dass der europäische Verband der Nahrungsmittelkonzerne CIAA rund eine Milliarde Euro investiert hat, um die Ampel zu verhindern. Mit Tarnorganisationen wie „Alliance for Food Transparency“, die sich als Bürgerinitiative geben, aber als süßes Gegengift knallharte Industrieinteressen vertreten. Oder auch mit zweifelhaften Studien zu angeblichen Verbraucherwünschen des European Food Information Council (Eufic). Die Forschungseinrichtung wurde unter anderem von Kraft, Nestlé, Südzucker und Unilever finanziert. „Monatelang wurden wir Europaabgeordneten von Nestlé & Co. belagert“, erinnert sich der Linken-Abgeordnete Thomas Händel. Seine holländische Parlamentskollegin Kartika Liotard hat gar mal nachgezählt. Sie kam auf 150 Lobbymails der Industrie - am Tag.
„Die Lebensmittelindustrie hat eine überaus mächtige Lobby“, so Händel. Der Abgeordnete gibt sich aber kämpferisch. „Wir werden die Forderungen von Verbraucher- und Tierschutzorganisationen im Parlament vertreten und nach Analogkäse, Gammelfleisch, Klebeschinken und BSE nun eine weitere Schlacht gegen die Frankensteinisierung menschlicher Nahrung führen.“ Händel: „Die Verbraucher haben das Recht zu wissen, woher ihre Lebensmittel stammen und unter welchen Bedingungen diese produziert werden.“