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SZ vom 19.11.2018 - Giftiger Streit: Brüssel rechtfertigt die Milliardenhilfen für Bauern mit deren Einsatz für die Umwelt. Doch interne Papiere zeigen: Europas Plänen für mehr Ökologie droht ein herber Rückschlag

Quelle: Süddeutsche Zeitung /

Autor: VON MARKUS BALSER UND SILVIA LIEBRICH

 

Berlin/München - Spätestens im vergangenen Sommer ist deutlich geworden, wie sehr der Klimawandel die Landwirtschaft belastet. Hitze und Trockenheit haben europaweit massive Ernteausfälle verursacht. Die Erzeuger müssen sich an die veränderten Bedingungen anpassen, auch zum Schutz von Artenvielfalt und Gewässern. Große Erwartungen sind deshalb an die nächste Agrarreform der Europäischen Union 2020 geknüpft. Doch wer auf tief greifende Reformen hofft, dürfte enttäuscht werden. Das zeigt ein nicht veröffentlichtes Papier des EU-Rats, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Was die Ratspräsidentschaft darin zur Agrarreform vorschlägt, würde für den Klima- und Umweltschutz in Europa einen herben Rückschlag bedeuten. Denn anders als geplant würden wohl nicht mehr, sondern deutlich weniger Mittel für nachhaltige Produktion zur Verfügung stehen. Und auch der Einfluss kritischer Umweltbehörden und -verbände auf die Agrarpolitik könnte schrumpfen.

Die Pläne gelten politisch als brisant. Während die Kommission eigentlich die „effektive Einbindung“ dieser Stellen durchsetzen will, wollen die EU-Länder diesen Passus streichen und es bei nicht näher definierten „Partnerschaften“ belassen. Ausgehebelt werden soll zudem ein wichtiges Kontrollgremium mit Vertretern aus Behörden, Institutionen und Umweltverbänden. Der sogenannte Begleitausschuss wird bisher im Vorfeld wichtiger Beschlüsse, etwa bei der Zulassung von Pestiziden wie Glyphosat, eingebunden. Künftig soll er erst gehört werden, wenn die wichtigsten Entscheidungen bereits getroffen sind. Statt eines „angemessenen“ Schutzes von Feuchtgebieten und Mooren ist nur noch ein „Mindestmaß“ geplant - laut Experten ein weiterer Schlag für Klimaschutz und Artenvielfalt.

Um wie viel es gerade in der Agrarpolitik geht, macht ein Blick auf die Summen klar. Die gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP, steht für fast 40 Prozent des EU-Budgets und damit für den größten Haushaltsposten. Insgesamt geht es um 365 Milliarden Euro. Alle sieben Jahre wird neu verhandelt, wie das Geld über den Kontinent verteilt wird. Jetzt ist es wieder so weit. Die Verhandlungen über den Zeitraum von 2020 bis 2027 gehen in die heiße Phase. An diesem Montag treffen sich die Agrarminister der EU, um möglichst viel Einfluss auf die Pläne der EU zu nehmen.

Besonders umstritten: Die Mittel für freiwillige Leistungen, zu denen unter anderem Umweltschutzmaßnahmen zählen - bisher ein Viertel der Subventionen - werden wohl deutlich schrumpfen. Pläne der Kommission, den grünen Subventionstopf dafür wenigstens von Aufgaben zu befreien, die mit Umweltschutz nichts zu tun haben, lehnen die EU-Mitglieder dem neuen Papier zufolge jedoch ab. Damit aber gilt als so gut wie sicher, dass künftig nicht mehr, sondern weniger Geld für Umwelt- und Klimaschutz zur Verfügung steht.

Denn an den umstrittenen Direktzahlungen - drei Viertel der Gesamtsubventionen - soll sich nach dem Willen des EU-Rats nach 2020 nichts ändern. Diese Hilfsleistungen stehen schon länger in der Kritik, weil sie sich allein an der Größe von Agrarflächen bemessen und kaum an Umweltauflagen geknüpft sind. Doch die Hoffnungen, dass die EU-Mitglieder über den Rat einen Systemwechsel fordern, erfüllen sich nicht. Der nun bekannt gewordene Reformvorschlag bleibt so deutlich hinter dem der Kommission zurück, der bereits vom Europäischen Rechnungshof gerügt wurde. Dieser entspreche nicht den Zielen der EU für eine grünere und leistungsorientiertere Förderung der Landwirtschaft, erklärte die Luxemburger Behörde vor gut einer Woche. „Das von der EU-Kommission angepeilte Ziel, 40 Prozent der Direktzahlungen für Umweltmaßnahmen und eine grünere GAP einzusetzen, erscheint völlig unrealistisch.“

Auch im EU-Parlament wächst der Ärger. Künftig sollen dennoch trotz aller Zweifel 40 Prozent dieser Direktzahlungen als Klimaschutzmaßnahmen angerechnet werden. Martin Häusling, Agrarexperte der Grünen im EU-Parlament, hat dafür kein Verständnis. Es gebe keine Belege dafür, dass damit ein echter Beitrag zum Klimaschutz geleistet werde. „Gleichzeitig werden die Mittel für konkreten Umwelt- und Klimaschutz um 25 Prozent gekürzt, das ist ein deutlicher Rückschritt“, sagt er.

Die Pläne stehen auch im Widerspruch zu den Zielen der Bundesregierung, die versprochen hat, die Landwirtschaft umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten. Die Stimme Deutschlands hat bei der anstehenden Agrarreform Gewicht. Doch die Regierung unternimmt aus Sicht von Umweltverbänden wie dem Nabu zu wenig, um eine Rückwärtsrolle in der EU-Agrarpolitik zu verhindern. „Während ihre europäischen Ministerkollegen den schmutzigen Job machen, die Umweltstandards der Agrarpolitik zu verwässern, schweigt Julia Klöckner“, wirft Nabu-Experte Konstantin Kreiser der Bundeslandwirtschaftsministerin vor. Die CDU-Politikerin breche damit den Koalitionsvertrag und mache sich mitschuldig an einer Verlängerung und Beschleunigung des Insektensterbens.

Klöckners Ministerium weist das zwar zurück, kritisiert den Vorschlag des Rats aber nur verhalten. Die vorgeschlagenen Mittelkürzungen im Umweltbereich stünden nicht im Einklang mit den ambitionierten Zielen der EU im Agrarbereich. „Wir bekennen uns zu einer besseren Förderung der Umweltdienstleistungen in der GAP“, erklärt das Ministerium. Die müsse aber für Landwirte leistbar und umsetzbar sein. Die Agrarpolitik verfolge neben dem Umweltschutz auch die Ziele Einkommensstabilisierung, Wettbewerbsfähigkeit, Tierwohl und den Erhalt ländlicher Räume.

In Deutschland ist die Landwirtschaft laut Umweltbundesamt für gut sieben Prozent der schädlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie leistet aber auch einen Beitrag, um sie zu reduzieren. Böden können, wenn sie entsprechend bewirtschaftet werden, schädliches CO&sub2; speichern. Methangase aus Ställen belasten dagegen die Bilanz. Nun wächst der Zeitdruck, gegenzusteuern. Denn bis 2030 will die EU das Volumen der schädlichen Emissionen insgesamt um 40 Prozent senken. In Deutschland soll der CO&sub2;-Anteil der Landwirtschaft bis 2030 nach Plänen der Bundesregierung um 31 bis 34 Prozent sinken. Wie dies ohne ein deutliches Umsteuern bei den Agrarsubventionen gelingen kann, ist offen.

Die Verbände der Agrarwirtschaft wollen in jedem Fall am bisherigen System, vor allem aber an den Direktzahlungen festhalten. „Wer diese unmittelbar einkommenswirksame Maßnahme unseren Landwirten nimmt, gefährdet die heimische Landwirtschaft und eröffnet einen ungebremsten Strukturwandel“, meint Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Diese Zahlungen machten bis zu 50 Prozent des Einkommens eines landwirtschaftlichen Betriebes aus.

An diesem Mittwoch will das EU-Parlament seine Pläne für eine Agrarreform präsentieren. Der Streit über die Agrarreform könnte zum Thema bei der anstehenden Europa-Wahl im Mai 2019 werden.
In der EU-Agrarpolitik geht es um enorme Summen. Alle sieben Jahre wird verhandelt, wie das Geld verteilt wird. Jetzt ist es wieder so weit.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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