Grüne Europagruppe Grüne EFA

FR 22.06.2010
Von Stephan Börnecke

Amflora, die im März überraschend von EU-Verbraucherschutzkommissar John Dalli zugelassene Gen-Kartoffel, hat es schwerer sich in Europa durchzusetzen als von seinen Erfindern im BASF-Konzern erwartet. Nachdem Österreich der gelben Erdfrucht bereits Ende April die rote Karte gezeigt hatte, zog nun Luxemburg nach und untersagte wie das Alpenland den Anbau der Hightech-Knolle. Auch Ungarn, das trotz seiner Rolle im jüngsten Saatgutskandal einen restriktiven Kurs in der Gentechnik fährt, prüft ein Verbot der Kartoffel.


Die Verbote seien beim Konzern als ein "politisches Signal" gewertet worden, sagte eine Sprecherin von BASF Plant Science zur FR. Luxemburg allerdings sei kein potenzielles Anbauland: Dort gebe es keine Stärkeindustrie, in der Amflora verarbeitet werden kann. Anders in Tschechien, wo die Ernte derzeit auf 150 Hektar für eine erste Produktion von Industriestärke in einem Tochterunternehmen des schwedischen Stärkeverarbeiter Lyckeby reift.

Amflora dient aber auch als Beispiel für die schleppende Zulassungspraxis von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU. Zwölf Jahre hatte es gedauert, bis nach der Zulassung des umstrittenen, in Deutschland und anderen Ländern verbotenen Gen-Mais Mon 810 wieder eine Gen-Saat die Erlaubnis zum Anbau bekam.

Mitgliedsstaaten blockieren sich

Auch bei der Zulassung von Gen-Produkten, die hierzulande zwar nicht angebaut, aber zu Lebensmitteln verarbeitet oder verfüttert werden können, blockieren sich die Mitgliedstaaten, denn gebraucht wird eine qualifizierte Zustimmung von knapp 75 Prozent. Die kam bisher kaum zustande, und dann entschied die gentechnikfreundlich eingestellte EU-Kommission – wenn sie es vor dem Hintergrund des Hickhacks überhaupt tat.

Schon vor seiner Wiederwahl hatte deshalb EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso mit einem zweischneidigen Vorschlag überrascht: Den Ländern soll freie Hand bei den Koexistenzregeln der drei Anbauarten gentechnisch verändert, konventionell und ökologisch zugestanden werden – kilometerweite Abstandsvorschriften sollen möglich werden, sogar das Verbot der Gentechnik. Kommt es so, dann sind Abstände, wie sie das bulgarische Parlament beschloss, ohne Widerstand der EU-Kommission realisierbar: In Bulgarien sollen rund um Naturschutzgebiete 30 Kilometer, rund um Bienenfarmen 10 Kilometer und um Bio-Höfe sieben Kilometer große Radien frei bleiben von Gen-Saaten. Das kommt einem Verbot für die Gentechnik gleich.

Doch im Gegenzug will die Kommission die Genehmigungspraxis für neue Gen-Pflanzen beschleunigen, will die Blockadehaltung der Mitgliedsstaaten aushebeln, und zwar mit dem Ziel, den Weg für einen großflächigen Anbau von Gen-Saaten in Europa freizumachen. Mindestens 15 Pflanzen sind in der Pipeline.

Hier Ablehnung, da Erlaubnis

Folge wird ein europäischer Flickenteppich sein: Länder wie Spanien, die Niederlande und Tschechien setzen auf Gentechnik im großen Stil, während Österreich, Italien oder Ungarn sie ablehnen. Kritiker wie Heike Moldenhauer vom BUND befüchten, dass die Ausbreitung der Gentechnik letztlich sogar das Reinheitsgebot für Saatgut kippt und sich auch in Ländern, in denen die Gentechnik tabu ist, die modifizierten Pflanzen klammheimlich ausbreiten. Ähnlich der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling: "Das wird die schleichende Vergiftung fördern." Zudem stelle Europa die Regeln eines gemeinsamen Marktes in Frage.

Unterdessen wird vor dem Bundesverfassungsgericht heute eine vom Land Sachsen-Anhalt angestrengte Klage gegen zentrale Regeln des deutschen Gentechnikgesetzes verhandelt: Im Kern geht es um die Haftung bei der Verunreinigung herkömmlicher Pflanzen und um das Standortregister mit seinen genauen Angaben über die Gen-Felder. Das Register der Anbau- und Freisetzungsflächen verletze das Grundrecht auf "informationelle Selbstbestimmung", die Berufsfreiheit und den Eigentumsschutz, behauptet das Land. Die Veröffentlichung der Daten begünstige zudem politisch motivierte Feldzerstörungen.


Erscheinungsdatum 22.06.2010

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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