Kartellamt hat Bedenken gegen Transparenz am Milchmarkt
BONN/BERLIN. Dem Bundeskartellamt ist die Transparenz am deutschen Milchmarkt ein Dorn im Auge. In einem vergangene Woche veröffentlichten Bericht kritisiert die Bonner Behörde, dass die Preisfindung derzeit nicht in einem funktionsfähigen Wettbewerbs- und Verhandlungsumfeld erfolge. Die bestehende hohe Markttransparenz schränkt nach Auffassung des Kartellamtes den Wettbewerb der Molkereien um die Rohmilch ein. Ebenfalls wettbewerbsdämpfend wirkten sich die derzeit überwiegend praktizierten Preisbildungsmechanismen aus, so die Orientierung an einem Durchschnittswert umliegender Molkereien. Ob diese Dinge gar durch Bußgeldverfahren verfolgt werden sollten, hat das Kartellamt noch nicht entschieden. „Selbst wenn diese Praktiken kartellrechtlich nicht zu beanstanden sein sollten, sollten die Marktteilnehmer sorgfältig überdenken, wem sie nutzen“, schreibt das Kartellamt und denkt dabei insbesondere an Marktdaten zu Milchliefermenge und Auszahlungspreisen. Diese nutzten erkennbar nur den Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) und damit der Marktstufe, die ohnehin über eine sehr günstige Verhandlungsposition gegenüber ihren Lieferanten verfüge. Veränderungen befürworten die Wettbewerbshüter im Verhältnis von Milcherzeugern zu Genossenschaften. Kürzere Vertragslaufzeiten und ein Preisfindungsmechanismus, der Erlöse nicht nachträglich bestimmt und sich nicht an den Auszahlungspreisen unmittelbar um die Rohmilch konkurrierender Molkereien orientiert, könnten nach Einschätzung des Kartellamtes Anreize für höhere Milchauszahlungspreise bieten.
Preissenkungen an Verbraucher weitergegeben
Konkrete Hinweise auf einen Missbrauch von Marktmacht durch die Unternehmen des LEH hat das Kartellamt andererseits laut eigenen Angaben nicht. Diese Erkenntnis stützt sich auf stichprobenhaft untersuchte Produktgruppen der weißen und gelben Linie. „Zumindest gibt es keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Unternehmen des LEH die in Verhandlungen erzielten Preisvorteile nicht an die Verbraucher weitergeben“, heißt es in dem Papier. Die Kartellwächter wollen dies durch eine Analyse von Preisentwicklungen bei einzelnen Markenprodukten und Handelsmarken erkannt haben. Allerdings erleichterten dem LEH die Preisfindung bei Milchbasisprodukten und die ohnehin sehr hohe Markttransparenz über Preise und Mengen, seine Verhandlungsposition gegenüber den Molkereien durchzusetzen. Über den Bericht will das Kartellamt nun mit Marktteilnehmern diskutieren, die zu dem Papier in einem ersten Schritt bis zum 1. März Stellung beziehen können. Anschließend ist eine Anhörung geplant. Die Skepsis des Kartellamtes gegenüber der Transparenz am Markt stellt nicht nur Gepflogenheiten der Branche, sondern ein Stück weit auch gesetzliche Vorschriften in Frage. Schließlich gibt es in Deutschland und der Europäischen Union Meldevorschriften zur Weiterleitung von Marktdaten. Auch hat das Bundeslandwirtschaftsministerium im Zuge einer Ausschreibung erst kürzlich einen Großauftrag für die Agrarmarktinformations GmbH (AMI) zur Bereitstellung von Daten für mehr Markttransparenz und -analysen bewilligt.
Ermunterung für regionale Erzeugergemeinschaften
Das Verhältnis der Milcherzeuger zu den Molkereien ist laut dem Bericht durch ein Machtungleichgewicht zugunsten der Verarbeiter gekennzeichnet. Der Gesetzgeber habe zwar beispielsweise über die kartellrechtliche Freistellung regionaler Erzeugergemeinschaften verschiedene Möglichkeiten für die Milchviehhalter geschaffen, dem ein Gegengewicht entgegenzusetzen; dies werde von den Erzeugern bislang jedoch nur in sehr geringem Umfang und daher ohne erkennbare Marktwirkung genutzt. Bisher sei es, vielleicht mit Ausnahme der Bayern-MeG, keiner Milcherzeugergemeinschaft gelungen, so große Mengen an Rohmilch zu bündeln, dass hierdurch eine spürbare Marktwirkung erzielt werde. Die Bayern-MeG vereinigt laut dem Bericht derzeit rund 9 000 Milcherzeuger mit einer jährlichen Milchmenge von rund 1,4 Mio t Milch. Die Bonner Wettbewerbshüter weisen darauf hin, dass alle landwirtschaftlichen Erzeugerbetriebe die Ausnahmen für den Agrarsektor im Kartellrecht für sich in Anspruch nehmen können. Sie müssten dafür auch nicht förmlich als Erzeugergemeinschaften anerkannt sein. Die Freistellung von §1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelte aber nur für solche Vereinbarungen, die keine Preisbindung enthalten und den Wettbewerb nicht ausschließen.
Absage an Marktabschottung
Nachdem das Kartellamt dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) im Falle eines erneuten Streikaufrufs mit einem Bußgeldverfahren gedroht hatte, äußern sich die Wettbewerbshüter in ihrem neuen Bericht erwartungsgemäß kritisch zu Bestrebungen, Milchpreissteigerungen politisch durchzusetzen. Praktisch alle gegenwärtig diskutierten Maßnahmen zur flächendeckenden Erhöhung der Milchauszahlungspreise seien mit deutschem und europäischem Kartellrecht nicht vereinbar. Sie funktionierten nur dann, wenn der deutsche Markt ein in sich geschlossenes System wäre, das gegen Einflüsse des Weltmarktes und der europäischen Nachbarmärkte abgeschottet werden könnte. Wie jedoch gerade die Beispiele aus Frankreich, Spanien und der Schweiz zeigten, sei dies aufgrund der internationalen Verzahnung der Milchmärkte nicht erfolgversprechend. Angesichts der hohen Exportquote deutscher Molkereien wäre eine derartige Lösung wohl auch wirtschaftlich nicht wünschenswert, meint das Kartellamt.
Kartellrechtlich kritische Grenze
Im Bereich der Fusionskontrolle wird der Strukturwandel im Bereich der Milchproduktion und der Herstellung von Molkereierzeugnissen laut dem Bericht dann eine Rolle spielen, wenn durch Zusammenschlüsse der Molkereien auf dem Markt für Rohmilchbeschaffung marktbeherrschende Stellungen zum Nachteil der Milcherzeuger entstehen. Hier werde es eine kartellrechtlich kritische Grenze geben, die eine unbegrenzte Konzentration durch externes Wachstum nicht zulassen werde. Der immer wieder erhobene Vorwurf, die Beschlussabteilung des Kartellamtes verhindere den Strukturwandel und behindere Kooperationen auf der Ebene der Molkereien, ist aus Sicht der Wettbewerbshüter falsch und ungerechtfertigt. Die Bonner Behörde erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Zusammenlegung der Vertriebsaktivitäten von Humana und Nordmilch in der Nordcontor im vergangenen Jahr ohne Bedingungen oder Auflagen freigegeben worden war.
Milchbauern als Leidtragende
Für den Deutschen Bauernverband (DBV) sind die Ausführungen des Kartellamtes zur angeblich zu hohen Markttransparenz nicht nachvollziehbar. Konsequenz wäre, dass mit erhöhter Intransparenz der Erzeugerpreis für die Milchbauern verbessert werden könnte. Diesem Gedanken folge zum Beispiel die Europäische Union nicht, die gerade eine High-Level-Gruppe eingerichtet habe, um eine bessere Markttransparenz für die Milcherzeuger sicherzustellen. Nicht überraschend ist für den DBV die strikte Ablehnung bundesweiter Preis- und Mengenabsprachen durch stufenübergreifende Kartelle. Hier gelte es, die Alternativen des Marktstrukturgesetzes wie Erzeugergemeinschaften und deren Zusammenschlüsse konsequent zu nutzen. Positiv beurteilt der Bauernverband, dass sich das Kartellamt erstmals intensiv mit der gesamten Produktionskette bei der Milch, vom landwirtschaftlichen Erzeuger über die Molkereien bis zum LEH auseinandersetze. Nunmehr werde auch durch das Kartellamt belegt, dass der LEH in seinen Geschäftsbeziehungen zu den Molkereien strategisch erheblich im Vorteil sei und dass die Molkereien nur sehr eingeschränkt über Alternativen für den Absatz ihrer Produkte verfügten. Allerdings weise das Kartellamt auch darauf hin, dass die konzentrierten LEH-Unternehmen die Preisvorteile dieser Marktkonstellation an die Verbraucher weitergeben. Das Kartellamt sage allerdings nicht, dass die Leidtragenden dieser Situation die Milchbauern seien.
Überraschung bei den Grünen
Als überraschend bezeichneten die Grünen-Europaabgeordneten Rebecca H a r m s und Martin H ä u s l i n g die Ergebnisse der Wettbewerbshüter. Während das Kartellamt Milcherzeugergemeinschaften den Rücken stärke, erteile es der Forderung der Milchbauern nach einem fairen Mindestmilchpreis eine Absage. Erneut würden die Exportinteressen der Milchindustrie über faire Milchpreise gestellt, erklärten Harms und Häusling. Die Empfehlungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Bauernverbandes, auf immer größere Molkereien zu setzen, treibe die Milchpreise nur immer weiter in den Keller und schwäche die Position der Milchbauern zusätzlich. Als Ohrfeige für die Bundesregierung wertete der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich O s t e n d o r f f , den Bericht. Besonders das enge Korsett, in das gerade die genossenschaftlichen Molkereien die Milchbauern zwängten, werde vom Kartellamt erstaunlich offen kritisiert. Für die Bauern bedeuten die zweijährigen Kündigungsfristen bei ihren Verträgen laut Ostendorff, dass sie den Molkereien ausgeliefert seien und keine Möglichkeit hätten, auf die Preispolitik einer Molkerei in angemessenen Zeiträumen zu reagieren. AgE (18.01.2010)