Grüne Europagruppe Grüne EFA
 

Debatte mit Tiefgang zu umstrittenem Thema

"Agrarwende": Wege zu einer anderen  Landwirtschaft im Wildunger Weltladen diskutiert

 

Im Wildunger Weltladen diskutierten zwei biologisch und zwei konventionell wirtschaftende heimische Landwirte mit dem Publikum und dem Grünen-Europaabgeordneten und Bio-Bauern Martin Häusling. Thema: die „Agrarwende“.

Woher stammt die politische Forderung nach einer „Agrarwende“?milchkuehe auf einer weide zwischen mehlen und giflitz

Die rot-grüne Bundesregierung prägte den Begriff nach dem Auftreten des ersten BSE-Falles in Deutschland 2001. Der Anspruch dahinter: Landwirtschaft ökologischer zu betreiben.

Lässt sich „Agrarwende“ gleich setzen mit der Umstellung von konventionellem auf biologisches Arbeiten?

Nein, das würde den vielen Facetten des Themas nicht gerecht, zeigte die Debatte im Weltladen. Wenngleich viele Vorkämpfer für Bio-Landwirtschaft, wie Häusling, die Umstellung als zentrales Element einer Wende sehen.

Wofür steht der Begriff der „Agrarwende“ außerdem?

Sobald sich „Agrarwende“ auf das Zurückdrängen „grüner Gentechnik“ bezieht, unterstützen auch sehr viele konventionelle Bauern in Deutschland diese Forderungen . Vergleichbares gilt, wenn die „Agrarwende“ ein Stopp-Zeichen setzen soll gegen Industrialisierung und Konzentration in der Landwirtschaft auf wachsende Betriebsgrößen, mehr und mehr unter Beteiligung von Handelskonzernen. Die Altwildungerin Karin Barthel von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft/AbL“ wies darauf hin. In der AbL engagieren sich kleine Höfe im Familienbesitz, konventionelle wie biologische. Es gelte sie zu fördern und Grabenkämpfe zwischen beiden Wirtschaftsarten zu verhindern, mahnte Barthel. Der Weltladen steht schwerpunktmäßig dafür, im Zuge einer „Agrarwende“ gegen die existenzbedrohenden Nachteile der globalisierten Lebensmittelmärkte für die ärmeren Länder anzugehen.

Was für heimische Betriebe diskutierten mit?

Vier Familien-Vollerwerbshöfe. Alexandra Knöfel aus Anraff hält mit ihrem Mann 6000 Bio-Legehennen. Heinfried Emden und seine gesamte Familie produzieren in Oberwerbe ebenfalls auf biologischer Grundlage mit 80 Kühen 1300 Liter Milch täglich und halten inklusive Kälbern und Jungvieh 150 Tiere. Michael Ulrich aus Altwildungen wirtschaftet konventionell mit Schwerpunkt Milchproduktion. 120 Kühe geben 3000 Liter pro Tag. 110 Kälber und Jungtiere komplettieren den Bestand. Dirk Monstadt vom Gershäuser Hof bei Bergfreiheit hält konventionell 230 Zuchtsauen, die jeweils alle drei Wochen Ferkel zur Welt bringen. Nach elf Wochen werden diese ohne lange Transportwege in der Region geschlachtet.

Was motiviert die heimischen Landwirte?

“Landwirtschaft ist keine Arbeit, sondern Berufung. Jeder von uns möchte gute Lebensmittel erzeugen, ob biologisch oder konventionell“, sagte Alexandra Knöfel. „Täglich kann ich das Ergebnis meiner Arbeit sehen. Das erzeugt Zufriedenheit, die im Bürojob oft fehlt“, ergänzte Michael Ulrich, bekräftigt von Heinfried Emden. Dieser Draht zum eigenen Tun und die Arbeit mit der Natur lässt sie alle Arbeitszeiten von 12 und mehr Stunden am Tag sowie Urlaubsverzicht akzeptieren. „Es ist wichtig einen Beruf zu wählen, hinter dem man steht“, sagte Monstadt.

Was behindert und oder nervt sie gar im Gegenzug?

Überbordende Bürokratie. „Mit dem Ausfüllen von Anträgen auf EU-Gelder verdiene ich am meisten“, erklärte Ulrich. Fünf Kontrollen binnen acht Monaten habe er gerade hinter sich, bei denen Prüfer unangemeldet plötzlich volle Aufmerksamkeit beanspruchten: Berufsgenossenschaft, Veterinäramt, Qualitätsmanagement, Ohrmarken, Melkstand. „Die neue Düngeverordnung frisst Zeit und trifft nicht die, die sie treffen sollte“, ergänzte Heinfried Emden. Dirk Mon–stadt tröstet sich: „Anderen Berufen geht es ebenso, wenn ich etwa an Altenpflege denke.“ Alexandra Knöfel wünscht sich manchmal größeres Verständnis der Bevölkerung für die Landwirtschaft.

Was muss sich ändern und was tut sich bereits?

Martin Häusling verlangte unter anderem einen weitgehenden Verzicht auf Pestizide sowie in der Tierhaltung auf Medikamente. Er plädierte zudem dafür, die Förderung auf kleine und mittlere, familiengeführte Bauernhöfe zu beschränken. Große, industrielle Landwirtschaftsunternehmen sollten aus der EU-Agrarsubvention herausfallen. In diesem Punkt waren sich alle Beteiligten einig. Heinfried Emden regte an, die Tierhaltung strikt an die Fläche eines Hofes zu koppeln, damit die Einfuhr von Futtermitteln sinkt. Alle vier Höfe versorgen ihre Tiere fast komplett oder vollständig von eigenen Flächen. „Den Medikamenteneinsatz reduzieren wir durch Impfungen“, sagte Monstadt. Die konventionellen Landwirte versuchten möglichst wenig Pestizide einzusetzen. Klassische Methoden wie abwechslungsreiche Fruchtfolgen auf einer Fläche senkten die Anfälligkeit für Schädlinge. Häusling setzt auf mehr moderne, maschinelle Verfahren, um Unkraut zu ziehen und trotzdem die Arbeit in Grenzen zu halten. Manchmal könnten jedoch auch Pestizide dazu beitragen, Böden zu schonen, meinte Monstadt.

Wie groß sind die Erfolgsaussichten für die „Agrarwende(n)“?

Sie steigen, wenn der Verbraucher bereit ist, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, auch wenn es keine Patentlösung gebe, meint Häusling. Monstadt zeigte sich skeptisch, ob eine Umkehr gelingt: „Es ist schade, dass die Läden aus den Dörfern verschwunden sind, aber ich selbst habe dort auch nicht eingekauft.“ Es gebe so viele Programme mit guten Ansätzen, „aber die Leute bezahlen es nicht.“ Auto, Urlaub, Wohnen – alles sei wichtiger.

 

Siehe auch: Unseren Bericht zur Debatte im Weltladen Bad Wildungen

 

Waldecksche Landeszeitung vom 16. Juni 2018

Quelle (18.6.2018) https://www.wlz-online.de/waldeck/bad-wildungen/agrarwende-wege-zu-einer-anderen-landwirtschaft-im-wildunger-weltladen-diskutiert-9955200.html

Schlagwörter:

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

Pressemitteilungen