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Weniger Bürokratie, weiterhin Direktzahlungen und ein bisschen Rhetorik über Nachhaltigkeit - so plant die EU ihre Agrarreform

Autor: Christiane Grefe

Datum: 7. Juni 2018

 

Die absurdeste Rolle rückwärts legt Günther Oettinger hin

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Eine Überdosis Gift und Gülle auf den Äckern, das Verschwinden der Insekten und Vögel, das Leiden der Nutztiere in engen Ställen, die vielgesichtigen Folgen des Klimawandels: Europas Landwirtschaft muss umsteuern, damit sie die Ökosysteme erhält, statt sie zu zerstören. Wie gut Bauern bei dieser Herausforderung unterstützt werden, daran muss sich eines der ältesten Projekte der Europäischen Union messen lassen: die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP).

Es ist wieder so weit: Wie alle sieben Jahre wird gerade darüber entschieden, wofür die Subventionen der GAP ausgegeben werden. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Und mit 365 Milliarden Euro kann man eine Menge bewirken. Entsprechend bedeutsam ist der Entwurf, den der zuständige Kommissar letzte Woche für die Förderperiode ab 2021 auf den Tisch gelegt hat. Stellt Phil Hogan die Weichen für die notwendige ökologische Transformation?

Was große Bauernverbände freut, ist für Umweltschützer eine Enttäuschung: Seine Prioritäten hat der Ire Hogan erst einmal anders gesetzt. Einhellige Zustimmung bekommt er zwar dafür, dass er die teils absurde Brüsseler Bürokratie abspecken will. Der Vorschriftenwirrwarr raubt Landwirten tagtäglich den letzten Nerv. Umso heftiger umstritten ist sein zweites Ziel, das System der Direktzahlungen beizubehalten. Denn diese Einkommenshilfen lässt Europa zum größten Teil ohne Gegenleistungen mit der Gießkanne auf jeden Hektar regnen. Verkauft wird das als Stütze für kleinere Höfe, doch am meisten profitiert der, der viel Fläche besitzt. Hogans drittes Ziel, deshalb einen Teil der Zuwendungen nach unten umzuverteilen, ist so seicht geplant, dass man es leicht umgehen kann.

Und der Schutz der Natur, des Klimas, der Arten? Dafür legt sich der Kommissar zwar ebenfalls ins Zeug. Zumindest blüht in seinem Entwurf üppige Nachhaltigkeitsrhetorik. Doch viele seiner konkreten Vorschläge entpuppen sich als unklar oder rückschrittlich.

Beispielsweise will Hogan die erst bei der letzten Reform eingeführten Ökovorschriften bei den Direktzahlungen wieder abschaffen. Seither müssen Landwirte für immerhin ein Drittel ihrer Zuwendungen nachweisen, dass sie auf einem Teil ihrer Flächen Fruchtfolgen erweitern oder Hecken und Blühstreifen anlegen, damit sich Böden erholen, Pflanzen- und Tierarten wieder ausbreiten können. Dieses "Greening" wurde seinerzeit dank intensiver Lobbyarbeit der Bauernverbände von Ausnahmen durchlöchert und entfaltete deshalb so gut wie keine Wirkung. Wenn er schon an den Direktzahlungen festhält, müsste Phil Hogan das Greening reparieren - und eher ausweiten.

Stattdessen plant er Europas weitgehenden Rückzug aus der konfliktreichen ökologischen Wende und delegiert sie an die Mitgliedsstaaten. In Zukunft sollen sie ihre eigenen nationalen Strategiepläne für den Umwelt- und Klimaschutz in Brüssel genehmigen lassen. Diese Strategie ist zwiespältig. Einerseits könnte sie Europa in zwei Lager teilen: in Länder, die sich engagieren, und andere, die so gut wie gar nichts tun. Im europäischen Binnenmarkt, wo viele landwirtschaftliche Erzeuger miteinander im Preiskampf stehen, erwartet der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling deshalb eher eine umweltpolitische Abwärtsspirale als einen Wettbewerb darum, wer es am besten macht. Der als konservativ geltende deutsche Bauernverband etwa werde bestimmt "bei jedem grünen Vorschlag auf die Barrikaden gehen", prophezeit Häusling.

Andererseits kann man Hogans Dezentralisierungsidee auch positiv bewerten. Umweltregeln, die vor der Haustür gemacht werden, könnten regionale Besonderheiten besser berücksichtigen als der kleinste gemeinsame Brüsseler Nenner. Bürger könnten leichter darauf Einfluss nehmen, weil die Hauptstadt des eigenen Landes näher dran ist.

Die absurdeste Rolle rückwärts hat Günther Oettinger vor, Hogans Kollege im EU-Kabinett, der an dem Entwurf mitgearbeitet hat. Der Haushaltskommissar will ausgerechnet die Mittel in jenen Fördertöpfen kürzen, die Initiativen finanzieren, in denen Landwirte, Natur- und Klimaschützer gemeinsam modellhaft praktische Lösungen entwickeln. Von der Bretagne über die Insel Pellworm bis nach Siebenbürgen haben sie voneinander gelernt und ihre Regionen vor allem ökologisch, aber damit oft auch wirtschaftlich und sozial neu belebt. Die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft rechnet vor, dass diese erfolgreichen Ökoansätze ein Viertel der Mittel verlieren könnten. Stattdessen ist viel von "smarten" Technologien die Rede, die ihre Tauglichkeit für die Agrarwende erst beweisen müssen.

Die Kommissionsvorschläge werden nun vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten beraten. Dabei hat die Stimme Deutschlands als großes Agrarland besonderes Gewicht. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner verlautbarte erst mal diplomatisch, sie sehe "Licht und Schatten". Doch gerade beim Festhalten an den Direktzahlungen hat sie Phil Hogans Stoßrichtung größtenteils begrüßt. Umso pikanter ist, dass ihr eigener wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz ihr widerspricht. Seine 19 Mitglieder aus unterschiedlichen Disziplinen fordern in einer aktuellen Stellungnahme "die Überwindung der von weiten Teilen des landwirtschaftlichen Berufsstandes geforderten und von vielen politischen Entscheidungsträgern unterstützten einseitigen Fokussierung auf die Stützung landwirtschaftlicher Einkommen". Die Experten meinen: Die Direktzahlungen sollten abgebaut werden, in einem Zeitraum von zehn Jahren - Brüssel solle stattdessen konsequent nur noch honorieren, wenn Landwirte etwas für das Gemeinwohl und für die Entwicklung ländlicher Räume tun. Ähnlich argumentiert ein weiteres Beratungsgremium Klöckners, der Wissenschaftliche Beirat für Biodiversität und genetische Ressourcen. Er will den "rapiden Verlust an biologischer Vielfalt in den Agrarlandschaften" stoppen.

Das alles wünscht sich laut EU-Konsultationen und Umfragen neben den Fachleuten auch die Mehrheit der europäischen Bürger.

Quelle: https://www.zeit.de/2018/24/agrarreform-eu-landwirtschaft-nachhaltigkeit

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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