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Die Gifte der modernen Landwirtschaft setzen ihren fleißigsten Helfern, den Bienen, zu. Nun könnten sie verboten werden.

Autor: Stephan Boernecke     Stand: 19.03.2018

Das Votum der Europäischen Lebensmittelbehörde Efsa ist eindeutig: Von den Insektiziden Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam geht eine unkalkulierbare Gefahr für Honigbienen, Wildbienen und andere Insekten aus. Und damit für Lebewesen, die, wenn Landwirte diese Gifte verwenden, gar nicht das Ziel sind. Die sogenannten Neonikotinoide, diese Ansicht vertreten inzwischen viele Wissenschaftler, sind ein Hochrisikofaktor für die Ökologie. Kommt nun das endgültige Verbot für mindestens drei dieser Wirkstoffe?

Am Donnerstag stehen die Neonikotinoide auf der Tagesordnung des Standing Committee der EU-Mitgliedstaaten. Möglicherweise fällt denn bereits eine Entscheidung. Frankreich hat diese längst vorweggenommen: Dort gilt ein vollständiger Ausstieg aus der Nutzung von Neonikotinoiden im Pflanzenschutz, und zwar von 2020 an. Selbst Länder, die bisher kein Problem mit dem Bienenkiller hatten, schwenken um: Michael Gove, der britische Umweltminister, schrieb in einem Beitrag für den „Guardian“ im November, es wäre ökologisch „unverantwortlich“, sie nicht zu verbieten.

Tatsächlich ist die Anwendung der drei Wirkstoffe bereits seit 2013 in der EU limitiert. Vor allem das Verbot der Raps-Beize, mit der das Saatkorn vor den Unbilden der Natur geschützt wird, ärgert Landwirte und Industrie. Weshalb die Konzerne Bayer und Syngenta vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Seit 2016 ist zudem die Beize auch bei Winterweizen und Wintergerste untersagt. Doch nach der Blüte dürfen die Gifte immer noch verwendet werden. Das Verbot gilt zudem nicht für alle Insektizide dieser systemisch, also über alle Pflanzenteile wirkenden Nervengifte. Zum Teil, so die Expertin der Umweltorganisation BUND, Corinna Hölzel, werden sie durch andere, wenn auch weniger gefährliche Wirkstoffe dieser Gruppe ersetzt. Sie müssen deshalb, so Hölzel, „als ähnlich besorgniserregend betrachtet werden“.

So sehen das auch die Grünen-Parlamentarier Martin Häusling und Harald Ebner: „Auch neuere Wirkstoffe wie Cyantraniliprol, Flupyradifuron und Sulfoxaflor verfügen über den gleichen Wirkmechanismus.“ Auch sie stellten ein Risiko dar und sollten aus dem Verkehr gezogen werden, meinen die Landwirtschaftsexperten der Grünen.

In Deutschland wurden laut BUND 2015 – also nach dem Teilverbot – immer noch 200 Tonnen Neonikotinoide verkauft, darunter auch im Baumarkt, wenn Gartenbesitzer Blattläuse, Buchsbaumzünsler oder Wanzen bekämpfen wollen. Für die USA haben Wissenschaftler der George Washington Universität in einem im Februar erschienenen Review die Lage so skizziert: Dort werden heute 90 Prozent des Mais- und die Hälfte des Soja-Saatgutes mit dem Nervengift – prophylaktisch – behandelt. 1800 Tonnen waren das 2015, verteilt auf eine Fläche von 55 bis 80 Millionen Hektar. Den Wert der solcherart behandelten Lebensmittel beziffert die Studie auf 1,12 Milliarden Euro.

Es geht also um viel Geld: Statt die Kritik ernst zu nehmen, kontert die Agrarindustrie denn auch mit den Millionenkosten, die Neonikotinoidverbote nach sich ziehen. Auf 900 Millionen Euro pro Jahr beziffert sie den Umsatzverlust, der den EU-Raps-Erzeugern pro Jahr entsteht, weil sie das Saatgut nicht mehr beizen dürfen. Etwa, weil die Erntemenge mangels Pflanzenschutz um vier Prozent schwindet.

Der Aufschwung der seit Mitte der 90er Jahre auf dem Markt befindlichen Stoffklasse spiegelt sich im Honig wider: Heute weisen 75 Prozent aller Honigproben weltweit Reste von mindestens einem Neonikotinoid auf.

Neonikotinoide blockieren Lernfähigkeit der Hummel

Die ökologischen Folgen sind derweil unübersehbar und werden sich, weil diese Gifte lange im Boden überdauern, aufaddieren: Dass Bienen Orientierungsprobleme bekommen, ihre Heimat nicht mehr finden, darüber wird seit langem berichtet. Weniger bekannt ist, dass unter Thiamethoxam-Einfluss stehende Hummeln nicht mehr in der Lage sind, nötige Techniken bei der Pollenbeschaffung zu erlernen. Hummeln leben von Pollen. Um ihn zu ergattern, muss die Hummel die Blüte schütteln. Hummeln, denen schottische Wissenschaftler das Neonikotinoid verabreicht hatten, waren aber nicht in der Lage, diese Technik zu verbessern, die Lernfähigkeit war blockiert.

Weniger Pollen bedeutet weniger Nachwuchs, bedeutet weniger Bestäuber auch für die Landwirtschaft, deren Pflanzen zu drei Vierteln auf Insekten als Bestäuber angewiesen sind. Wissenschaftler bringen auch den dramatischen Rückgang von Schmetterlingen, wie er seit den späten 90er Jahren in Kalifornien beobachtet wird, mit Neonikotinoiden in Verbindung. Die Formel lautet: Weniger Individuen, kleinere Körper, weniger erzeugte Generationen pro Jahr sowie eine geringere Robustheit, um Stressfaktoren zu widerstehen.

Das passiert auch der Dunklen Erdhummel. Wird dieser Hummelart das Insektizid verabreicht, legt ein Viertel der Königinnen keine Eier. Eine Reduktion in dieser Größenordnung, so Wissenschaftler aus der kanadischen Provinz Ontario, „erhöht die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens von Wildpopulationen“. Oder wie es Jeremy Kerr von Uni Ottawa ausdrückt: Die Mittel würden zum „Reproduktionsroulette für Bienen“.

Holländische Wissenschaftler fanden heraus: Liegt der Neonikotinoid-Gehalt im Bachwasser über einem bestimmten Niveau, nimmt die Zahl der insektenfressenden Vögel ab. Kein Wunder: Viele Insekten entwickeln sich im Wasser. Die Uni Sussex wiederum stellte fest, dass die Stoffe keineswegs nur über die Pflanze wirken. Die Pflanze nimmt aus der Saatbeize nur fünf Prozent des Mittels auf, die restlichen 95 Prozent gehen in den Boden. Da Neonikotinoide wasserlöslich sind, wandern sie durchs Erdreich und tauchen manchmal dort wieder auf, wo sie nicht hingehören: zum Beispiel im Blühstreifen einer Ackerkultur, der eigentlich der Biodiversität dienen soll.

Damit nicht genug: Inzwischen weiß die Wissenschaft, dass Vögel nicht nur indirekt durch den Nahrungsausfall betroffen sind, sondern auch direkt: Kanadische Wissenschaftler haben im Herbst Erkenntnisse veröffentlicht, wonach die in Mexiko überwinternde Dachsammer, hat sie vergiftetes Korn gefressen, den Weg ins nördliche Brutrevier nicht mehr findet. Der Effekt hält zwar nur zwei Wochen an, kann sich aber, da die Ammer mit erheblicher Verspätung im Brutrevier ankommt, fatal auf die Reproduktion auswirken.

Für Grünen-Politiker Häusling ist die Sache deshalb klar: „Es ist wie bei DDT und Lindan: Erst verspricht die Industrie ein neues Wundermittel, und 20 Jahre später stellt sich ein horrender Schaden an der Natur heraus. Wir müssen weg von der Chemie in der Landwirtschaft, anders geht es nicht.“

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