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Giessener Anzeiger - BRÜSSEL - Viele Verbraucherschutzrichtlinien kommen aus Brüssel. So steht die Entscheidung an, ob Glyphosat verboten wird, berichtet der Europaabgeordnete Martin Häusling (Grüne).

Herr Häusling, was hat Sie nach Brüssel verschlagen?
Ich bin gelernter Landwirt und habe schon immer über den eigenen Hof hinaus gedacht. Und Agrarpolitik wird nicht daheim auf dem Hof gemacht, sondern in Brüssel. Da bin ich jetzt seit 2009. Davor war ich im Hessischen Landtag.

Welche Hessen-Themen liegen Ihnen am Herzen?
Umwelt- und Naturschutz, da legt die EU den Rahmen fest und Hessen hat 17 Prozent Naturschutzflächen. Bei der Agrarpolitik, die 2020 reformiert wird, werden alle Entscheidungen in Brüssel getroffen. Das sind 40 Prozent des EU-Haushalts. Viele Fördermittel für ökologische Landwirtschaft werden in Hessen noch mal aufgestockt. Auch der Verbraucherschutz ist ein wichtiges Thema.

Wie konnte dann der Fipronil-Skandal passieren?

Weil in der Nahrungsmittelbranche die Hühnerhaltung fast vollständig industrialisiert ist. Das ist ein Milliardenmarkt, das sieht man auch an der Menge der Eier, die als Folge der Betrugsaufdeckung zerstört wurden. Da ist der Reiz, Gesetze zu brechen, um mehr Profit zu machen, ein Riesenproblem.

Wie will die EU verhindern, dass sich das wiederholt?

Wie nach jedem Skandal wird wieder an der Gesetzesschraube gedreht – wir brauchen eine bessere Kontrolle der nationalen Behörden und eine EU-weite Koordinierung von Brüssel aus, damit nationale Behörden nicht alleine entscheiden, was unbedenklich ist. Das Problem ist aber noch nicht gelöst, da Fipronil auch in einigen Fertigprodukten drin steckt.

Denken Sie, dass die Bevölkerung Lebensmittelskandale zu schnell vergisst?

Ja, das ist tatsächlich so. Aber es darf kein Gewöhnungseffekt eintreten.

Wird Glyphosat demnächst verboten?

Ende des Jahres wird über eine Zulassungsverlängerung entschieden und die Europäische Kommission hat bis jetzt keine Mehrheit dafür. Glyphosat ist gesundheitsschädlich. Glyphosat ist in fast allen Lebensmitteln nachweisbar – und so auch bei uns Verbrauchern. Die aktuelle Diskussion zeigt, wie abhängig die industrielle Landwirtschaft von Pestiziden ist. Wir brauchen eine grundsätzliche Diskussion über die Zulassung von Pestiziden, nicht nur bei Glyphosat.

Was wäre die Alternative zu Glyphosat?

Komplett darauf verzichten. Die ökologischen Landwirte schaffen das ja auch. Die kommerzielle Landwirtschaft und der Bauernverband geben zu, dass es nicht wirklich gebraucht wird, es ist halt billig. Es spart dem Bauern 100 Euro pro Hektar. Wenn da ein Brötchen bei der Umstellung 0,2 Cent teurer würde, würde das kein Verbraucher spüren. Der Getreideanteil in den Brötchen ist verschwindend gering.

Wo muss sich in Brüssel noch was tun?

Es wird behauptet, die EU stünde für zuviel Bürokratie, Musterbeispiel: das Verbot der Glühbirne. Gegen das Verbot wurde damals Sturm gelaufen, aber heute sehen doch alle, dass es vernünftig und richtig war, und wir jede Menge Energie sparen. Wenn jemand einen vernünftigen Verbraucher- und Umweltschutz mit Brüssel in Verbindung bringen würde, wäre das schön.

Und jetzt fiel auch noch die Zuckerquote …

Ja, deren Abschaffung halte ich für falsch. Es ist nicht gesundheitsfördernd, günstigen Zucker aus aller Herren Länder zu bekommen. Da hat sich die Ernährungsindustrie und Geiz-ist-geil-Mentalität gegen uns durchgesetzt. Die Süßwarenhändler standen Schlange, damit das abgeschafft wird. Dabei sind die 35 Kilo Zucker, die wir jedes Jahr zu uns nehmen, schon doppelt so viel, wie gesund wäre. Jetzt können es noch mehr werden.

Das Interview führte Sonja Ingerl