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Süddeutsche Zeitung - Geht es nach der Lebensmittelaufsicht, darf das umstrittene Ackergift in Europa weiter eingesetzt werden

VON SILVIA LIEBRICH UND ANDREAS RUMMEL
München – Das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat darf wohl weiter eingesetzt werden. Das geht aus der Einschätzung hervor, die die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) am Donnerstag vorgelegt hat. Es sei unwahrscheinlich, dass von Glyphosat ein krebserregendes Risiko für Menschen ausgehe, heißt es in dem Urteil. Ein grundsätzliche Einstufung als kanzerogen sei deshalb nicht erforderlich. Auch eine Schädigung von DNA, also des Erbguts, sei unwahrscheinlich. Diese Beurteilung steht im klaren Gegensatz zur Einschätzung der internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC). Diese hatte Glyphosat im März als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ eingestuft.

  Seitdem wird heftig über die Risiken des Stoffs gestritten, den viele Landwirte für unverzichtbar halten. Glyphosat ist so etwas wie der Treibstoff der modernen Landwirtschaft. Weltweit ist es das am häufigsten eingesetzte Pestizid. Auch in Deutschland wird es auf 40 Prozent der Flächen ausgebracht. Hobbygärtner, Bahnbetreiber und öffentliche Verwaltungen setzen Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat ebenfalls ein. Eines der bekanntesten ist Roundup. Hersteller, allen voran der US-Agrar- und Gentechnikkonzern Monsanto, setzten damit Milliardenbeträge um.   Die Efsa schloss sich mit ihrem Urteil im Wesentlichen der Einschätzung des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) an, das im Auftrag der EU die Risiken von Glyphosat neu bewertet hat. Die deutsche Behörde hält den Stoff weitgehend für unbedenklich. Sie war deshalb zuletzt heftig in die Kritik geraten. Recherchen von Süddeutscher Zeitung und MDR hatten zuletzt gezeigt, dass die Behörde wichtige Hinweise in Tierversuchen, etwa auf Krebsrisiken in Mäusestudien, zunächst übersehen hatte – und sie anschließend als nicht relevant einstufte. Auch viele epidemiologische Studien, die Risiken zeigten und von der IARC -Gruppe als relevant eingestuft worden waren, hat das BfR verworfen.

  Die Wertung von Studien ist strittig. Wäre die europäische Behörde dem Urteil der Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation gefolgt, dürfte Glyphosat in der EU nicht mehr als Pestizid zugelassen werden. Denn Stoffe, bei denen eine grundsätzliche krebserregende Wirkung festgestellt wurde, dürfen nur dann als Pestizid zugelassen werden, wenn die Möglichkeit, dass Menschen mit dem Stoff in Kontakt kommen, so gering ist, dass sie vernachlässigt werden kann – was im Falle von Glyphosat umstritten ist. Denn der Wirkstoff lässt sich nicht nur im Urin von Menschen nachweisen, sondern auch in zahlreichen Lebensmitteln. Langzeitstudien über mögliche Folgen fehlen allerdings bislang. Die Efsa schlägt deshalb vor, Blutproben von Menschen auf Glyphosat-Rückstände hin zu untersuchen.

  Grundsätzlich sehen Efsa-Experten solche Rückstände nicht als kritisch an, solange keine Gesundheitsschäden belegbar seien. Geht es nach der EU-Behörde, könnte der Grenzwert für die tägliche regelmäßige Aufnahme von Glyphosat sogar noch erhöht werden – von derzeit 0,3 auf 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Zugleich soll ein neuer Grenzwert, etwa in Form einer Höchstdosis für eine einzelne Mahlzeit, eingeführt werden. Damit werde „die künftige Bewertung potenzieller Risiken durch Glyphosat“ verschärft, erklärt José Tarazona, Leiter des Referats für Pestizide der Efsa. Bislang gibt es nur einen allgemeinen Grenzwert für die tägliche regelmäßige Aufnahme.

  Der Vorschlag, diese Obergrenze zu erhöhen, stößt bei Kritikern auf Unverständnis. Hubert Weiger, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz, wertet dies als „Beleg für die Ignoranz der Behörde gegenüber den Gesundheitsrisiken des Wirkstoffes“.

  Kritik am Efsa-Urteil kommt auch von den Grünen. Sie sehen darin einen klaren Verstoß gegen das in der EU gültige Vorsorgeprinzip, das Verbraucher vor Risiken schützen soll. Der Europaparlamentarier Martin Häusling fordert, dass es keine Wiederzulassung ohne Klärung aller offenen Fragen geben dürfe. Bis dahin muss nach Ansicht des Grünen-Politikers die Anwendung ausgesetzt werden. Greenpeace moniert, dass sich der Report der europäischen Behörde vor allem auf unveröffentlichte Studien stütze, die meist von den Herstellern selbst stammten. Dies werfe die Frage nach der wissenschaftlichen Unabhängigkeit der Efsa auf, heißt es bei Greenpeace.

  Die Industrie lobte das Efsa-Urteil. Richard Garnett, Vorsitzender der europäischen Glyphosat Task Force, hält das Ergebnis für einen entscheidender Schritt im Rahmen des Wiederzulassungsprozesses von Glyphosat in der EU. Es bestätige erneut die früheren Bewertungen von Glyphosat. „Diese haben einheitlich ergeben, dass die Anwendung von Glyphosat kein Risiko für den Menschen, Tiere und die Umwelt darstellt“, so Garrett.

  Viele Bundesbürger vertrauen darauf nicht. Laut einer aktuellen Umfrage fordern 73 Prozent der Deutschen ein Verbot von Glyphosat. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen TNS-Emnid-Umfrage im Auftrag der Bürgerinitiative Campact. Vier von zehn Befragten machen sich demnach wegen Pestizidrückständen in der Nahrung Sorgen um ihre Gesundheit.

Süddeutsche Zeitung GmbH

Dokument SDDZ000020151113ebbd0003

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