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Welt online - Nie haben sich Biolebensmittel so gut verkauft wie heute. So groß der Erfolg ist, so schlecht sind die Kontrollen. Nun will die EU ein neues Öko-Gesetz erlassen - zum Entsetzen der gesamten Branche.

Am Ende eines langen Tages steht Martin Häusling in seinem Feld und kämmt mit den Händen zufrieden durch den Roggen. Satte Ähren wogen um seine Brust, hinter ihm erstrecken sich sanft gewellte Hügel, die Sonne tränkt das nordhessische Idyll in orangegoldenes Licht.

Die Szene wirkt werbetauglich: regionale Landwirtschaft, bodenständig und traditionell. Mit garantiert schadstofffreiem und schonend angebautem Öko-Getreide. Geerntet vom glücklichen Bio-Bauern. Der Haken ist nur, dass Häuslings Roggen nun bedroht wird. Die Gefahr kommt vom Getreidefeld nebenan.

Mit ein paar Schritten überquert Häusling einen staubigen Feldweg, stellt sich in den Weizen des Nachbarn und schiebt die Halme auseinander. Wo bei ihm zwischen dem Roggen Kamille, Klatschmohn und Kornblumen blühen, wächst hier: nichts. Häuslings Nachbar baut das Getreide nach konventionellen Methoden an, das heißt auch: Er spritzt Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel. Bisher hatte Häusling damit kein Problem, jedenfalls kein wirtschaftliches.

Doch nun will die EU ein neues Gesetz. Es geht darum, was künftig noch bio ist. Wenn dieses Gesetz kommt, wie es die Kommission vorgeschlagen hat, dann wird es dramatische Folgen haben. Für Bauern wie Häusling, für Supermärkte, Drogerien, Tankstellen, für die Nahrungsmittelindustrie und auch für Menschen, die gerne mehr Geld für das Gefühl ausgeben, sich gut zu ernähren. Das Wort "bio" könnte schon bald für nichts weiter stehen als für eine schöne Illusion.

Bisher steht es für das Versprechen, mit dem Kauf eines Apfels, von Eiern oder einem Hähnchenfilet etwas Gutes zu tun. Sich selbst, der Umwelt, den Tieren auf der Weide. Dieses Versprechen ist immer mehr Geld wert. Von Jahr zu Jahr füllen die Waren mit dem EU-Bio-Siegel mehr Regale. Und das längst nicht mehr nur in Bio-Läden und Reformhäusern, sondern längst auch in Supermärkten. Discounter wie Aldi, Lidl oder Netto haben das lukrative Geschäft entdeckt, Tankstellen und Drogerien auch.

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr mehr Geld für Biolebensmittel ausgegeben als irgendwer sonst in Europa: 7,91 Milliarden Euro. Nie zuvor gab es hierzulande so viele Bio-Betriebe, nie haben die Händler mehr Umsätze gemacht, nie gab es so viel Anbaufläche für Bio-Produkte.

So besagen es die Zahlen des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Und nie zuvor gab es so viele Produkte, die "Bio" heißen. Mit "Biotrend", "Prima Bio" oder "BioBio" haben Supermärkte und Discounter eigene Öko-Marken eingeführt - die zwar alle unterschiedliche Namen und Logos tragen, aber letztlich ein und demselben Standard entsprechen: den Kriterien der EU-Öko-Verordnung.

Diese Kriterien will die EU jetzt radikal verändern. Sie hat eine Überarbeitung dessen vorgelegt, was künftig in der Bio-Landwirtschaft aller 28 EU-Staaten erlaubt sein soll. Manche der neuen Regeln sind derart streng, dass Öko-Bauern verzweifeln. Zum Beispiel die Einführung von Sondergrenzwerten nahe der Rückstandsfreiheit: Wenn der Wind auf Häuslings Feld nur winzigste Spuren vom Pestizid seines Nachbarn weht, dann wäre Häuslings Bio-Roggen nicht mehr bio.

Die Branche befürchtet daher, dass die EU-Novelle viele Öko-Landwirte zum Aufgeben zwingen wird. Und dann lägen in den Supermarktregalen künftig viel weniger Bio-Produkte - oder aber viel mehr Bio-Produkte, von denen man nicht weiß, was an ihnen bio ist.

Der Erfolg der Bio-Waren ist zu einem ernsten Problem geworden. Die Nachfrage ist groß, die Kontrollen sind aber nur dürftig. Masse statt Klasse. Weil die Verbraucher nicht auf ihr gutes Gewissen und die Händler nicht auf ihr gutes Geschäft verzichten wollen, werden Waren importiert, für deren Qualität keiner garantieren kann.

Dagegen kämpft Häusling seit Monaten. Er will ein gutes Gesetz, vor allem aber will er eine Antwort auf die entscheidende Frage: Wie ähnlich darf Bio-Landwirtschaft der konventionellen Landwirtschaft werden? Oder: Wie massenkompatibel kann bio sein, ohne dass es am Ende nichts weiter ist als ein Wort, mit dem Hersteller ihre Ware besser und teurer verkaufen können?

Häusling kennt das EU-Bio-Recht wohl wie kaum ein Zweiter in Deutschland. Er ist nicht nur Bio-Landwirt, sondern auch Politiker, Grüner, Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit September vergangenen Jahres ist er der oberste amtliche Kritiker der geplanten Öko-Verordnung. Im Brüsseler Technokratensprech heißt das: Berichterstatter für den Parlamentsentwurf zur Reform der Öko-Verordnung. Das bedeutet, dass er federführend im Namen des EU-Parlaments einen Gegenvorschlag zur geplanten Öko-Verordnung entwirft. Er ist derjenige, der sie verhindern soll - jedenfalls in der Form, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat.

Häusling soll die vielen unterschiedlichen Positionen aller anderen Beteiligten sammeln, prüfen und eventuell berücksichtigen. Sie kommen zum Beispiel aus den Fraktionen im EU-Parlament, aus der Bundesregierung und aus den anderen Mitgliedsstaaten. Sie kommen außerdem von Wirtschafts-, Umwelt- und Lobbyverbänden, dem Deutschen Bauernverband etwa, dem Naturkostverband.

Oder dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der befürchtet: Chaos und Rechtsunsicherheit. Sein Präsident Felix Prinz zu Löwenstein sagt, es habe viele Jahre gedauert, bis die letzte Novelle in der Praxis angekommen sei. "Jetzt geht dieser mühsame Prozess komplett von vorne los." Das werfe die Branche zurück und verhindere Investitionen. Es ist keine Einzelmeinung, sondern das, was die Vertreter fast aller Gruppen sagen, deutscher und internationaler, so unterschiedlich ihre Interessen sein mögen.

Die erste europäische Bio-Verordnung stammt aus dem Jahr 1990. Darin ist detailliert festgelegt, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit ein Hersteller sein Produkt bio nennen darf. Im Jahr 2009 setzte die EU ein überarbeitetes Gesetz in Kraft. Nun, nach fünf Jahren, soll es wieder komplett reformiert werden. Weil der Markt viel schneller gewachsen ist als gedacht, weil die Gesetze deshalb schon wieder veraltet und außerdem zu kompliziert sind und vor allem deshalb, weil das Kontrollsystem nicht funktioniert und das Vertrauen der Bürger in die Bio-Branche darunter leidet. So zumindest begründet die EU-Kommission die geplanten Neuerungen.

Im Prinzip, sagen die Landwirte und Lobbyisten, habe die EU ja recht. Nur seien ihre Pläne ganz und gar ungeeignet, weil sie an den falschen Stellen ansetzten. Häuslings Aufgabe ist es nun, den größten gemeinsamen Nenner aller Lager herauszuarbeiten. Und damit im Grunde, so sagen manche, den ungeliebten EU-Entwurf wieder auf den Stand von 2009 "zurückzuschreiben".

Was ihn antreibt, lässt sich am besten in Bad Zwesten, Ortsteil Oberurff, herausfinden, einem Örtchen auf halber Strecke zwischen Marburg und Kassel. Hier draußen, am Rande eines Nationalparks, führt Häusling seinen Kellerwaldhof in zweiter Generation. Häusling, ein braun gebrannter und sehniger Mittfünfziger, empfängt in T-Shirt und eingestaubten Jeans. Der Hofherr führt vor dem Gespräch erst mal über sein Anwesen: in die Laufställe, an die Weide, zur Futterstation mit Kraftfutter aus eigenem Anbau und Fressplatz für jede Kuh. Es ist ihm wichtig, zu zeigen, was das bedeutet: Bio-Bauer zu sein.

Häusling ließ sich zum Agrartechniker ausbilden, 1987 übernahm er den Betrieb vom Vater, ein Jahr später stellte er den Hof auf Bio um - bevor es so etwas wie deutschland- oder EU-weite Öko-Regelungen gab. Sein Vater, sagt Häusling und grinst, sei ja nicht so begeistert gewesen: "Er meinte: 'Junge, das kannst du doch nicht machen, dann geht alles verloren!'" Häusling ließ sich nicht beirren, weder vom Vater noch von den Kollegen. "Zu Beginn hieß es immer, wenn die Ernte gut war: Der hat doch heimlich gespritzt. Und wenn sie nicht gut war: Siehste, das haste nun davon."

Mit der Erfahrung kam der Erfolg. Vor Kurzem hat Martin Häusling den Betrieb an seinen ältesten Sohn übergeben; er bespricht jeden Morgen mit ihm, was getan werden sollte, und packt am Wochenende mal mit an, wenn er aus Brüssel oder Straßburg zurückkommt. Mehr einmischen will er sich aber nicht, dazu fehlt ihm auch die Zeit.

Häusling will nicht einfach etwas verhindern. Er will etwas schaffen: eine neue EU-Öko-Agentur, die Bio-Waren aus aller Welt kontrolliert. Und er will die "Industrialisierung der Branche" aufhalten, den Trend zur Bio-Massenproduktion. Auch da läuft ja momentan einiges schief. Und das hat vor allem in Deutschland viel mit dem Erfolg von Bio-Lebensmitteln zu tun.

Die Geschäfte brummen, auch Häusling kann nicht klagen. Auf seinem Roggenfeld erntet er kaum weniger als sein Feldnachbar, der in herkömmlicher Landwirtschaft arbeitet. Mit Hafer und Weizen ist es ähnlich. Er ernte 70 bis 80 Prozent der Menge, die der Nachbar ernte, erziele aber meist den doppelten Verkaufspreis bei Getreide, rechnet Häusling vor. Viel wichtiger allerdings ist für ihn das Geschäft mit der Milch. Häusling hat den Betrieb ganz auf die Milchviehhaltung ausgerichtet. Ackerbau und Schweinehaltung laufen eher nebenbei.

Seine Herde umfasst rund 80 bunt gescheckte Tiere, die Usambara, Tortilla oder Urmel heißen und zu ihm trotten, wenn Häusling sie mit Namen ruft. Von den 400.000 Liter Milch, die sie pro Jahr geben, lässt er ein Viertel in der hofeigenen Käserei verarbeiten. Den Großteil verkauft er an eine Bio-Molkerei, von der auch Großhändler ihre Ware beziehen.

Die Milch vom Kellerwaldhof gibt es also nicht nur im Hofladen, sondern auch in Supermärkten. Das ist schön für Häusling. Für Bio-Milch zahlten die Molkereien im Juni rund 46 Cent pro Kilogramm - Milch wird grundsätzlich in Kilogramm abgerechnet. Konventionelle Milchbauern bekamen da gerade mal 29 Cent pro Kilo. Im Supermarktregal steht seine Milch jedoch nicht nur neben konventioneller Milch, sondern auch neben importierter Bio-Milch, meist aus Österreich oder Dänemark. Der Bio-Bedarf ist hierzulande derart groß, dass er mit deutschen Waren längst nicht mehr gedeckt werden kann.

Und das, obwohl selbst Politik und Wirtschaft den Öko-Trend für sich entdeckt haben. Das Bio-Handelsunternehmen Alnatura beispielsweise subventioniert Landwirte, die auf bio umstellen wollen, mit einer neuen "Bio-Bauern-Initiative", und das bayerische Landwirtschaftsministerium will die Ökoproduktion bis 2020 verdoppeln. Trotz aller Mühen stöhnen manche Händler über Lieferengpässe.

Die Verbraucher freut's: Noch nie war es so einfach, an eine derart große Auswahl erschwinglicher Bio-Lebensmittel zu kommen. Selbst den Fachhandel stört die Konkurrenz aus der Billigecke nicht. Denn bis jetzt gibt es für alle genug Geld zu verdienen. "Ich freue mich über jedes verkaufte Bio-Produkt", sagt etwa Michael Radau, Inhaber und Geschäftsführer von SuperBioMarkt aus Münster.

Mit 600 Mitarbeitern, 23 Filialen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie 51,2 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr zählt sein Unternehmen zu den führenden Bio-Handelsketten Deutschlands. Einen Großteil der Erlöse verdient seine Firma mit Ware, die sie aus dem Ausland importiert. Wie viel, das sei saisonal sehr schwankend, sagt Radau. Bei Obst und Gemüse etwa sei der Anteil heimischer Ware aktuell sehr hoch; im Winter werde das weniger. Eier und Milchprodukte wiederum stammen bei SuperBioMarkt komplett aus Deutschland.

Bio aus Deutschland, das ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Drittel der Bio-Milch im deutschen Handel, so rechneten die Grünen im Bundestag unlängst vor, kommt aus dem Ausland. Gleiches gilt für Äpfel, Tomaten oder Frühkartoffeln - alles Lebensmittel, die hierzulande zwar auch ökologisch angebaut werden, nur eben viel zu wenig für den großen Bedarf. Die biologisch bewirtschaftete Fläche in Deutschland mag stetig wachsen, dennoch nimmt sie bislang nur rund sechs Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche ein. Ein Großteil der Produkte muss also aus dem Ausland eingekauft werden. Und wenn ein Kunde Bio-Ware kauft, landet oftmals Importware aus Spanien, Ägypten oder Neuseeland im Einkaufswagen.

Spätestens hier wird der Begriff "bio" problematisch. Welche Qualität die Importware tatsächlich hat, lässt sich selten im Detail nachvollziehen. Das hat viel mit einem fehlerhaften Kontrollsystem zu tun, teilweise aber auch mit dem Bio-Siegel selbst.

Nach jetziger Definition bedeutet etwa das EU-Bio-Siegel auf Äpfeln, Möhren und Tomaten bloß eines: Sie sind schadstofffrei. Wie ökologisch korrekt dagegen zum Beispiel der CO2-Fußabdruck eines Bio-Apfels ist, der ein halbes Jahr in einem energiefressenden Kühlhaus gelagert wurde, fällt dabei nicht ins Gewicht.

Die EU berücksichtigt außerdem nicht, dass viele deutsche Bauern meist noch einem Bio-Verband wie Demeter oder Bioland angehören und ihre Betriebe entsprechend nach Regeln führen, die deutlich strenger als die EU-weiten Mindeststandards ausfallen. Das bedeutet zum Beispiel: Fruchtfolgen müssen eingehalten, Boden, Wasser und Luft möglichst schonend behandelt werden. In Spanien dagegen werden die Öko-Tomaten mit immensem Wasserverbrauch und unter kilometerlangen Plastikplanen gezüchtet. Ohne Pestizide und Herbizide, aber dafür mit massiven Eingriffen in Landschaft und Umwelt. Verbände wie der BUND empfehlen deshalb, lieber gleich nach Produkten zu greifen, die auch das Siegel eines Anbauverbandes tragen - weil das EU-Logo allein keine ökologische Qualität garantiert.

Denn vorm Supermarktregal sind alle Bio-Produkte gleich. Auch die Importe aus Ländern außerhalb der EU, deren Kontrolle mit jedem Kilometer, den sie zurückgelegt haben, schwieriger wird. Und deren Anteil mit der Öko-Verordnung, wie sie die EU-Kommission einführen möchte, womöglich noch höher würde.

So befürchtet die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), in der sich Naturkosthersteller und Großunternehmen wie Ritter Sport, Bionade und Hipp zusammengeschlossen haben, schon eine "Verknappung" der in Europa erzeugten Bio-Lebensmittel. Denn vor allem kleinere Landwirte und Unternehmen würden durch unsinnige Auflagen in ihrer Existenz gefährdet. "Würde dieser Vorschlag so umgesetzt", so steht es in einer AöL-Pressemitteilung, "gäbe es weniger Bio-Bauern und Bio-Verarbeiter - und in den Regalen lägen weniger Bio-Produkte."

Und dann gibt es immer wieder Fälle, in denen das Bio-Siegel auf Gemüse oder Eiern auftaucht, obwohl diese ganz konventionell produziert wurden: klassischer Etikettenschwindel.

"Je mehr die Branche wächst, desto höher ist ihre Anfälligkeit für nicht saubere Arbeit", sagt Häusling. "Deshalb ist es so wichtig, die Kontrolle zu verbessern. Und da gibt es zugegebenermaßen manchmal Lücken." Häuslings Lieblingsbeispiel dafür sind belastete Sonnenblumenkerne aus der Ukraine. Er hat diese Geschichte oft erzählt, doch auch jetzt klingt es, als könne er es noch immer nicht fassen.

Die vermeintlichen Bio-Sonnenblumenkerne, so erzählt er, wurden 2014 aus der Ukraine nach Rotterdam importiert und dort in Bio-Hühnerfutter gemischt. Die holländische Behörde stellte darin Schadstoffe fest. Doch sie fand in der EU-Öko-Verordnung keinen passenden Grenzwert dazu. In den Bio-Eiern der Hühner, die die Kerne gefressen hatten, waren aber keine Schadstoffe nachweisbar. Ungefährlich also, befanden die Holländer und beließen es dabei - ohne ihre Informationen an andere betroffene Länder weiterzugeben. Das sieht das EU-Gesetz auch nicht vor.

Das Futter gelangte nach Niedersachsen, und die deutschen Behörden schlugen sofort Alarm: Grenzwert hin oder her - das gesamte Mischfutter musste vom Markt genommen werden, und Bio-Betriebe durften keine Eier mehr liefern. "Das hat dazu geführt, dass innerhalb einer Woche zehn Prozent der deutschen Bio-Eier-Produktion stillgelegt wurden", sagt Häusling.

Damit die Nachfrage in Deutschland bedient werden konnte, haben die Holländer dann Bio-Eier exportiert. Und zwar Eier von Hühnern, die das belastete Futter gefressen hatten. "Ein Treppenwitz", sagt Häusling. Für ihn ist der Fall ein Beispiel dafür, wie aus einem gut gemeinten Gesetz ziemlich großer Unsinn werden kann.

Ein Gesetz, das in jedem Mitgliedsland anders ausgelegt wird, dazu Landwirte mit ein bisschen krimineller Energie, die ihre Erzeugnisse einfach als Bio-Ware exportieren: Viel mehr braucht es derzeit nicht, um die EU-Kontrollen zu umgehen.

Häusling sitzt auf der Kante seiner Wohnzimmercouch, verschränkte Arme, Oberkörper weit vorgebeugt. Der Landwirt und der Politiker, das ist bei ihm immer eins gewesen. Erst engagierte er sich in einer Bürgerrechtsbewegung, als im Nachbardorf ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte; mit Parteigründung trat er den Grünen in Hessen bei, ein Überzeugter der ersten Stunde.

1999 kandidierte er für die Bürgermeisterwahl, holte sofort 20 Prozent der Stimmen. Später saß er sechs Jahre lang im hessischen Landtag, 2009 ging er nach Brüssel und wurde Agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA. "Die entscheidenden Weichen für die Agrarpolitik", sagt Häusling, "werden halt auf EU-Ebene gestellt, nicht in Wiesbaden."

Und das versucht er jetzt, das ist sein Auftrag. Erstens kennt er alle Vorschriften und Verordnungen aus der Praxis - nicht nur vom Papier. Das verschafft ihm Gehör. Zweitens kann er gut reden und veranschaulichen. Zu nahezu jedem Paragrafen, den er in der Vorlage der EU-Kommission kritisiert, hat er ein Beispiel zur Hand. Sei es das "mare del plastico", unter dem die spanischen Tomaten gezüchtet werden oder die "Apfelbaumwüste" in Südtirol, wo die Bio-Bauern wegen des intensiven Obstbaus auf engstem Raum die geplanten Sondergrenzwerte für Pestizidbelastung besonders fürchten. Das macht seinen Kompromiss für alle Beteiligten greifbar - und lässt die technokratischen Vorschläge der Kommission teilweise noch realitätsfremder erscheinen.

Wie überzeugend Häusling sein kann, zeigte sich Ende Juni an einem verregneten Dienstag in Berlin. Dort hatte das Informationsbüro des Europäischen Parlaments zum "Dialog mit dem Berichterstatter" geladen, um Lobbyverbände und andere Interessensgruppen über seinen Kompromissvorschlag diskutieren zu lassen.

Zwei Dutzend Vertreter waren gekommen, sie füllten den Konferenzraum mit Blick aufs Hotel "Adlon" bis auf den letzten Platz. Häusling, nun in Hemd und Jackett, nahm am Kopfende Platz, machte ein Witzchen über das Wetter, dann redete er drauflos. Kritisierte, erläuterte, fasste zusammen. Vor allem aber legte er immer wieder den Finger auf die Schwachstellen, die sich die EU-Kommission seiner Meinung nach in ihrer Vorlage erlaubt hat.

Die Sondergrenzwerte etwa, die in der Realität kaum ein Bio-Bauer einhalten könne, "außer wir bauen nur noch in sibirischen Reinluftgebieten an". Die Klausel, wonach ab 2021 EU-weit nur noch Öko-Saatgut verwendet werden soll, obwohl die osteuropäischen Staaten in Sachen Bio-Landwirtschaft noch um 20 Jahre hinterherhinken - und diese Saatgutversorgung gar nicht leisten könnten.

Oder das Vorhaben, die jährlichen Kontrollen von Bio-Betrieben abzuschaffen, dafür aber mehr Risikokontrollen durchzuführen. Und zwar auch dort, wo nur abgepackte Bio-Lebensmittel verkauft werden. "Also von mir aus muss eine Tankstelle nicht öko-zertifiziert werden, nur weil sie Bio-Milch verkauft", sagte Häusling und erntete den nächsten Lacher. "Aber die jährlichen Kontrollen der Erzeuger sind wesentlicher Bestandteil des Verbrauchervertrauens. Die muss es einfach weiterhin geben."

Die Diskussionsrunde hatte viel von einer Feuerprobe. Mit Häusling am Kopfende saßen die Referatsleiterin für Ökologischen Landbau im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie der Geschäftsführende Vorstand der AöL. Im Publikum: Vertreter von Interessengruppen wie dem Deutschen Bauernverband und Fachjournalisten.

Eine ganze Riege möglicher Kritiker aus Politik, Wirtschaft, Medien und Lobbyverbänden also. Doch an diesem Nachmittag erntete Häusling nur eines: Wohlwollen. Der Vertreter des Bauernverbands bedankte sich; die Referatsleiterin lobte, es sei gelungen, fast alle deutschen Kernanliegen im Kompromissvorschlag zu verankern. Vor allem aber gebe es "von Herrn Häusling interessante und innovative Ansätze".

Der innovativste Ansatz ist die "EU-Öko-Agentur". Sie soll seine Lösung für fehlende Kontrolle und mangelnden Datenaustausch sein. Damit sich solche Fälle wie die ukrainischen Sonnenblumenkerne nicht wiederholen, will Häusling ein zentrales Meldesystem schaffen. Eine unabhängige Instanz, die transparent macht, woher welche Ware importiert und wohin sie weiterverkauft wurde. Sie soll Verstöße wie Schadstoffbelastungen registrieren, entscheiden, wie damit umgegangen wird, und wenn nötig alle 28 Mitgliedsstaaten warnen.

Die Öko-Agentur ist aus Häuslings Sicht auch deshalb so nötig, weil das Problem mit den Bio-Kontrollstellen nicht an den Grenzen der EU endet. Gerade bei den sogenannten Drittland-Importen, zum Beispiel von Südfrüchten oder Kaffee, funktioniert die Überwachung in Häuslings Worten "suboptimal". Auch weil es derzeit mehr als 60 verschiedene Importstandards gibt.

Die EU-Kommission hat dieses Problem und etliche andere Probleme erkannt. Sie glaubt auch, sie habe eine Lösung parat. Nur ist diese Lösung, genau wie die geplante Vorschrift für Häuslings Roggenfeld, allenfalls auf dem Papier praktikabel. So jedenfalls sehen es die vielen Kritiker.

Denn nach dem Willen der EU-Kommission sollen die Lieferländer künftig am besten gleich die EU-Standards für Bio-Landwirtschaft übernehmen. Die neuen Schadstoffgrenzwerte und Ökosaatgut-Verordnungen würden dann beispielsweise auch für den Kakaobauern in Burkina Faso gelten. Ein Vorschlag, über den Häusling nur den Kopf schütteln kann. "Bei allem Verständnis für den Schutz der EU-Verbraucher, aber die Landwirte in Westafrika können jetzt nicht von einem Tag auf den anderen die Regeln einhalten, mit denen wir in der EU seit 30 Jahren gearbeitet haben."

Häusling will stattdessen für bestimmte Regionen Anbauregeln definieren. Die sollen der Maßstab für Kontrollen sein. Und deren Kontrolle soll die "Öko-Agentur" für alle EU-Staaten transparent machen. Gerade bei der Umsetzung aber, das weiß auch Häusling, könnte es schwierig werden. Die Agentur braucht Geld und Personal, damit sie effektiv arbeiten kann. "Nicht neue Regeln, sondern eine konsequente Umsetzung schafft Sicherheit", sagt etwa BÖLW-Präsident Löwenstein.

In diesem Herbst steht für Häusling ein wichtiger Termin an, der sogenannte Trilog. Dabei kommen Vertreter der EU-Kommission, des Agrarrats und des EU-Parlaments zusammen und verhandeln über die finale Version der Öko-Neuverordnung - und damit auch über seinen Vorschlag. Der Agrarrat, bestehend aus allen 28 EU-Agrarministern, hat bereits einen eigenen Vorschlag vorgelegt; in vielem stimmt er mit Häuslings Plänen überein. Dennoch schätzen Beobachter, dass es noch bis weit ins Jahr 2016 hinein dauern wird, bis eine Entscheidung fällt. Doch selbst wenn sich alle Lager auf eine Öko-Agentur einigen würden, könnte das Vorhaben schnell scheitern: an den Bio-Landwirten, die jetzt schon über die rigiden Kontrollen und den Papierkram stöhnen.

Ja, klar, sagt Martin Häusling zu Hause in seinem Wohnzimmer. "Noch 'ne Behörde, und dann auch noch aus Brüssel - das wirkt für viele erst mal abschreckend." Dabei könnte die Agentur auch in München sitzen und "Clearing-Stelle" heißen, wenn es nach ihm ginge. Eine unabhängige Instanz, die die Arbeit der Kommission begleitet, aber keinem Bereich verpflichtet ist. An die 50 Fachleute, die in einem Büro sitzen und die Bio-Branche mit Sachverstand und Erfahrung durch Krisen wie den Grenzfall mit den Sonnenblumenkernen navigieren. So stellt er sich das vor.

Jochen Neuendorff von der Gesellschaft für Ressourcenschutz (GfRS) dagegen hält diese Agentur für überflüssig. "Herr Häusling gibt sich alle erdenkliche Mühe, und seine EU-Öko-Agentur war sicher gut gemeint", sagt er. "Aber letztlich ist sie so unnötig wie ein Kropf." Neuendorff ist GfRS-Geschäftsführer und damit der Chef einer von 18 Öko-Kontrollstellen in Deutschland, "so eine Art TÜV oder DEKRA", wie er sagt.

Nur sind seine Kontrolleure nicht für Fahrzeuge, sondern für 3000 der insgesamt rund 39.000 deutschen Öko-Betriebe und Unternehmen zuständig. Nach festgelegten Standards prüfen sie etwa große Handelsketten wie Edeka, Rewe und Metro, die Öko-Waren verkaufen. Oder sie fahren raus aufs Land zu Bio-Bauern und nehmen jedes Jahr aufs Neue deren Höfe unter die Lupe. Die GfRS prüft und zertifiziert Öko-Produkte seit 1989, sie ist damit eine der ältesten Kontrollstellen des Landes.

Jochen Neuendorff kann entsprechend viel Erfahrung vorweisen; er arbeitet seit rund 20 Jahren in diesem Beruf. Der gelernte Agraringenieur verwaltet nicht nur, er prüft auch selbst. "Entscheidend ist nicht, was auf dem Papier stattfindet, sondern auf dem Acker", sagt er. "Ich befürchte, dass in dieser Agentur viele Leute vortrefflich Bürokratie betreiben werden, ohne dass was Sinnvolles dabei rauskommt." Die meisten Betrugsfälle, mit denen es seine Leute zu tun bekämen, seien von langer Hand und sorgfältig geplant: "So was kriegen Sie nicht über Formalien aufgedeckt."

Am meisten aber stört ihn, dass der Öko-Agentur eine bunte Vielfalt an Aufgaben übertragen werden soll. Tatsächlich wirkt die lange Liste an manchen Stellen fast beliebig. "Wenn man Verbesserungen erreichen will, muss man genau überlegen, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist", sagt Neuendorff. "Das fehlt mir bei Herrn Häuslings Vorschlag komplett."

Der Kontrolleur erklärt es an den Sonnenblumenkernen, Häuslings Lieblingsbeispiel: Anstatt nur die Krisenkoordination fürs nächste Mal zu optimieren, wäre es viel wichtiger, dafür zu sorgen, dass Pseudo-Bio-Ware die Ukraine künftig gar nicht erst verlässt. Und das geht nach Neuendorffs Ansicht nur mit einer systematischen und dichten Kontrolle der Produzenten im Drittland - und einer gezielten Überwachung von deren Kontrollstellen: "Aber dazu wird es nie kommen." Stattdessen, so befürchtet er, könnte nun der "bürokratische Moloch" einer Öko-Agentur die deutschen Bauern vollends demotivieren - und die gesamte Bio-Branche einen Kollateralschaden erleiden.

Häusling ist da optimistischer. Was ihm hingegen ernstlich Sorgen bereitet, ist die "Konventionalisierung". Die Bio-Produktion im großen Stil, sozusagen, das Dilemma seiner Branche. Zwar haben Öko-Lebensmittel auch im Jahr 2015 nur einen Marktanteil von rund sechs Prozent - Verbraucherorganisationen wie Foodwatch sprechen deshalb von einer "Nische".

Aber diese Nische ist so groß, dass die Branche riskiert, zum Opfer ihres Erfolges zu werden. Das Geschäft läuft gut für die Produzenten, Händler und Lobbyisten. Zu gut, um öffentlich über grundsätzliche Bedenken zu sprechen. Und das trotz allen Schwierigkeiten mit dubioser Importwarte, knallharten Grossisten und restriktiven EU-Regelungen.

Bio, sagt Martin Häusling, sei für ihn vor allem immer Alternative zur konventionellen Landwirtschaft gewesen. Und deren größtes Ziel ist: Ertragssteigerung. Öko-Bauern, so könnte man sagen, entscheiden sich bewusst gegen diesen Leistungsdrang, weil sie eine Form von Landwirtschaft wollen, die ohne Antibiotika auskommt, ohne Pestizide, Überdüngung und chemisch-synthetisch behandeltes Saatgut. Aber natürlich wollen die Bio-Bauern auch Geld verdienen. Also müssen sie für ihre Produkte mehr Geld verlangen, weil sich die Bio-Landwirtschaft sonst nicht für sie rechnet.

Häuslings Käserei ist ein gutes Beispiel dafür, wie kosten- und zeitintensiv Bio-Produktion sein kann. In seinem Hofladen liegen fast 20 Haussorten in der Kühlvitrine: Bergkäse, Schnittkäse, Frischkäse, mit Knoblauch-Brennnessel, Bärlauch oder Salbei. Die Käserin führt mit Stolz durch ihre Arbeitsstätte, einen umgebauten Schweinestall. In der Kühlkammer nebenan lagert die Produktion der letzten Tage und Wochen. Weil der Bio-Käse im Gegensatz zum herkömmlichen nicht mit Chemie imprägniert werden darf, um den Schimmelprozess zu unterbrechen, werden die großen runden Laibe gewendet und mit Salzwasser abgebürstet. Drei Monate lang, jeden Tag.

Auf dem Kellerwaldhof rechnet sich der Aufwand, weil die Kunden den Käse direkt im Hofladen kaufen. Wer einmal in der Käserei stand oder die Kühe auf der Weide sah, bezahlt gerne ein paar Euro mehr. Und hat auch Verständnis, wenn der Camembert schon wieder aus ist. Sobald Bio-Produkte aber im Supermarkt stünden, sagt Martin Häusling, funktioniere das nicht mehr.

Dort muss immer alles vorrätig sein und günstig. Dass ein konventionelles Hähnchen etwa vier Euro, ein Bio-Hähnchen aber das Vierfache koste, sei kaum vermittelbar. "Mache ich deshalb bio billiger? Oder versuche ich lieber die Kundschaft zu überzeugen, dass das konventionelle Hähnchen Folgen hat, die uns irgendwann superteuer zu stehen kommen?"

Er meint die Folgen der Intensivtierhaltung, die bereits belegt sind: die Nitratbelastung des Grundwassers etwa. In Frankreich, so rechnet BÖLW-Präsident Löwenstein vor, kostet es die Wasserwerke laut einer Untersuchung jährlich 1,5 Milliarden Euro, das Trinkwasser zumindest auf Grenzwertniveau zu reinigen: "Diese Kosten müssten eigentlich auf den Preis für herkömmliche Lebensmittel aufgeschlagen werden." Stattdessen werden sie über die Wasserrechnung jedes einzelnen Haushalts beglichen - und damit auch von Bio-Käufern.

Doch die konventionelle Viehzucht birgt noch mehr Risiken: erhöhte Seuchengefahr etwa oder Antibiotikaresistenzen. Nicht nur bei Nutztieren, sondern auch bei den Landwirten, die diese Medikamente tagtäglich einsetzen - und bei denen sie deshalb im Krankheitsfall nicht mehr wirken. In Krankenhäusern gelten diese Bauern inzwischen als Risikopatienten.

Es ist der Moment, in dem sich Häusling in Rage reden kann. Über konventionelle Lebensmittel, die so "scheißbillig" seien. Über die "Wahnsinnsmacht" der Einkäufer und Händler, die erst als Großabnehmer bei einem Bio-Betrieb einsteigen und den Öko-Landwirt dann schrittweise zu immer niedrigeren Preisen zwingen - "sonst kaufen sie die Bio-Möhren eben in China".

Und über die fehlende Chancengleichheit für Bio-Produkte in Deutschland. "Wenn ich den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika verbiete, dann kann ich keine 30.000, sondern nur noch 3000 Hähnchen in einem Stall halten", sagt Häusling. "Dann wird das Bio-Huhn nicht billiger, sondern das konventionelle teurer. Und dann haben wir fast Waffengleichheit."

Nur: Wer garantiert, dass nicht auch so mancher Bio-Bauer dem Produktionsrausch verfällt, weil die Nachfrage stimmt - und dafür die Grauzonen ausnutzt, die ihm das Gesetz lässt? Nach geltendem Recht liegt die Obergrenze für Bio-Hühner bei 3000 Tieren - aber nur pro Stalleinheit. Das heißt: Auch ein Bio-Bauer kann 30.000 Hühner halten, indem er zehn Ställe nebeneinander baut.

Häusling versucht deshalb, in seinem Kompromissvorschlag zur EU-Ökoverordnung für Schweine und Legehennen eine Gesamtobergrenze pro Betrieb einzuführen. Das soll bewirken, dass ein Landwirt maximal vier Ställe nebeneinander bauen darf - um so die Kontrolle zu erleichtern und das Krankheitsrisiko zu senken. Die Frage bleibt allerdings, ob selbst 3000 Hühner in einem Stall noch als Bio-Haltung gelten sollten. Und ob das Konzept bio nicht per definitionem eine gewisse Größenordnung nicht überschreiten kann - weil es sonst eben nicht mehr bio ist?

Fragt man die großen Akteure der Branche, wollen sie von solch einer Beschränkung nichts wissen. Bio und Masse, für sie passt das ganz problemlos zusammen.

"Wir brauchen 100 Prozent bio", sagt BÖLW-Chef Löwenstein, der zuletzt auch ein Buch darüber verfasst hat, wie bio die Welt ernähren kann. "Bio ist kein Projekt für die Nische, bio ist die Alternative." Er klingt wie Häusling, nur in radikal.

"Die Frage ist nicht, ob bio massenkompatibel ist oder werden soll, sondern wie man möglichst vielen Menschen die Sinnhaftigkeit von ökologischen Lebensmitteln deutlich machen kann", sagt auch Michael Radau, der Geschäftsführer von SuperBioMarkt. Möglichst viel billige Bio-Ware sei sicherlich nicht der richtige Weg, aber deutlich mehr Umsatz sei durchaus noch möglich.

Wenn man Martin Häusling fragt, ob es realistisch ist, dass die Branche immer mehr Bio-Waren erzeugt, ohne ihre Grundsätze zu verraten, wird er zum ersten Mal an diesem langen Nachmittag unkonkret. "Also ich sag mal, wenn der ökologische Landbau eine Perspektive hat, ihm weiterhin politische Unterstützung gewährt wird und ihm Verbraucher zu Seite stehen, warum nicht?"

Die Sache ist nur, dass der ökologische Landbau dazu auch eine vernünftige Vermarktung braucht. Zwei Drittel des Geschäfts werden über große Lebensmittelketten abgewickelt, Bio-Supermarktketten liegen weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz, und jeder Hofladen hat eine natürliche Begrenzung. "Wenn ich bio für jeden erreichbar machen will, muss ich auch die Strukturen dafür haben", sagt Häusling, es klingt ein bisschen resigniert. Die Großhändler und Discounter dieser Republik sind gewiss keine Öko-Wohltäter. Aber ohne sie geht es eben nicht.

So ist der Streit ums neue EU-Öko-Gesetz eine Parabel auf die Lage der Bio-Branche. Hier wie dort geht es darum, die Balance zu halten: zwischen Etikettenschwindel und Reglementierungswut, Versuchungen und Überzeugungen. Je mehr Leute bio kaufen, desto besser ist die Alternative zur konventionellen Landwirtschaft. Und desto mehr sind die eigenen Prinzipien in Gefahr.

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