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Frankfurter Rundschau -  Von Peter Riesbeck
Die EU-Agrarminister beraten über Milchkrise. Die Kommission schlägt ein Sofortprogramm vor. Währenddessen lassen Europas Landwirte in Brüssel ihrem Unmut freien Lauf.

Brüssel. Es knallte kräftig am Montag in Brüssel. Europas Landwirte haben ihren Unmut über die sinkenden Preise kundgetan. Erst mit Parolen wie „Der Milchmarkt brennt, die Politik pennt!“. Dann ging es kräftiger zur Sache, Eier flogen, Traktoren fuhren auf, um Absperrungen zu demolieren. Belgiens Polizei antwortete mit Wasserwerfern. Ein bisschen war es wie in den 1980ern.
Bauernproteste in Brüssel
Die belgischen Einsatzkräfte stehen vor einem Wohnwagen, der von den Demonstranten in Brand gesteckt wurde.
"Junge Farmer ohne Zukunft" steht auf dem Schild, das ein Bauer an seinem Traktor angebracht hat.
Gefällte Bäume werden von den Bauern in Brand gesetzt und vor den Absperrungen der Polizei deponiert.

Damals gehörten Bauernproteste zu Europa wie Weinsee und Butterberg. Europas Bauern könnten „nicht mit Gaucho-Löhnen produzieren“, sagte damals der legendäre bundesdeutsche Agrarminister Ignaz Kiechle (CSU). Europa ersann die Quote. Die Idee: Die EU garantiert einen Festpreis, der Landwirt hält sich an eine Obergrenze, etwa bei der Milcherzeugung. Das klappte leidlich. Wenn man davon absieht, dass die EU ihre Landwirte allein in diesem Jahr mit 56 Milliarden Euro stützt.

Seit dem 1. April ist die Quote für Milch Geschichte. Europas Bauern sollen für den asiatischen Markt produzieren. Doch nun fallen die Preise. Vor allem Farmer aus den USA und Ozeanien drängen auf den Weltmarkt. Dort aber gilt das erste Kiechle’sche Gesetz oder kurz: das Gaucho-Prinzip. „Wer für den Weltmarkt produzieren soll, muss sich den Mechanismen des Weltmarkts stellen“, so der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling.
Appell an Verbraucher

Häusling betreibt in Hessen selbst einen Biohof. Er kriegt von seiner Upländer Bauernmolkerei knapp 40 Cent pro Kilogramm Milch, damit kommt ein Landwirt knapp hin. Konventionelle Bauern müssen derzeit mit knapp 27 Cent pro Kilo Milch leben. Deutlich zu wenig.

„Bauern brauchen einen fairen Preis – 40 Cent pro Liter Milch“, stand deshalb auf den Plakaten mit denen Europas Landwirtschaftsminister zu ihrer Krisenrunde in Brüssel begrüßt wurden. Jyrki Katainen, Vizepräsident der EU-Kommission, wollte ein Sofortprogramm vorlegen. So sollen die EU-Beihilfen für die Bauern künftig schon im Herbst fließen (statt wie bisher im Dezember). Auch soll es Hilfen geben, um aus Rohmilch verstärkt länger haltbare Produkte wie Milchpulver zu schaffen. Das war es aber auch. Geld aus dem Fonds der sogenannten Superabgabe – ein Topf mit 900 Millionen Euro, der sich aus Strafzahlungen von Bauern speist, die mehr Milch lieferten als erlaubt – bleibt tabu. Auch sonst setzt die EU auf den Weltmarkt: „Die Quote bleibt abgeschafft“, bekräftigte ein Kommissionssprecher am Montag. Stattdessen will die EU bei der Vermarktung in Übersee helfen.

Die Milchbauern waren nicht allein in Brüssel. Auch Schweine- und Rinderzüchter gingen am Montag auf die Straße. Es ist bei der Milch wie beim Fleisch, die Preise auf dem Weltmarkt folgen einem einfachen Zyklus. Wenn der Preis hoch ist, folgt der Markt. Die Folge: Überproduktion und sinkende Preise.

Vor allem Frankreich wünschte Subventionen in Brüssel. Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) lehnte dies ab. Er sei „nicht dafür, einfach Geld wo reinzulegen“. Stattdessen appellierte er an Verbraucher auf Qualität und regionale Produkte zu setzen. Manche Molkereien, wie etwa Berchtesgadener Land, garantieren regionale Mindestpreise. Dafür sind Butter und Käse etwas teurer.

Auch Häusling kennt solche Beispiele. Französische Alpenbauern, die regional geschützten, feinen Rohmilchkäse herstellten. 70 Cent erhielten die pro Kilo Milch. Fabelpreise. Häuslings Fazit: „Statt Instrumente aus der Mottenkiste zu holen, brauchen wir eine Politik, die sich an der Nachfrage nach Qualitätsprodukten auf dem europäischen Markt orientiert und eine nachhaltige Produktion sicherstellt.“

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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