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Steigende Preise für Lebensmittel, aber auch für Dünger, ausfallende Getreidelieferungen aus Russland und der Ukraine: Diese Folgen des Ukraine-Kriegs treffen die Menschheit in einer Zeit, in der Hunger seit Jahren wieder zunimmt und Dürren etwa in Ostafrika oder Spanien die Lage zusätzlich verschärfen. Gibt es schnelle Lösungen?

Eine von Martin Häusling, Mitglied im Agrar- und Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, moderierte Expertenrunde war sich am Mittwoch einig: Vor allem ein Umlenken der bisherigen Produktion von Agro-Sprit in die Erzeugung von Lebensmitteln könnte eine rasch wirksame Stellschraube zur Entschärfung der Krise sein. Andere Veränderungen wie eine Reduzierung der Fütterung von Getreide an Schweine, Rinder und Hühner wirkten eher langfristig, seien aber vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung und der Bekämpfung des Klimawandels unabdingbar. Häusling plädierte zugleich für eine deutliche finanzielle Unterstützung des World Food Programms der UN.

Martin Häusling verlangte ein Ende der Diskussion um eine Aufweichung des Green Deals sowie der Farm-to-Fork-Strategie. Die von Bauernfunktionären geforderte Intensivierung gehe nicht nur zulasten von Natur, Umwelt und Gesundheit. Sie führe schon deshalb in die Irre, weil die konventionellen Landwirtschaftsmethoden riesige, inzwischen kaum noch bezahlbare Energiemengen verschlingen würden. Es gelte vielmehr, die Abhängigkeit Europas von Stickstoffdünger aus Russland und Weißrussland zu beenden. Stattdessen müsse endlich in der EU ein Eiweiß-Plan etabliert werden: Leguminosen zur Stickstoffversorgung sollten selbstverständlicher Teil der Fruchtfolge sein.

Dr. Christine Chemnitz, Agrarexpertin der Böll-Stiftung in Berlin, zeigte sich überrascht, wie schnell in der Debatte um fehlendes Getreide am Weltmarkt ein Umsteuern in der Landwirtschaft auf die Erfordernisse des Klimawandels als „Luxusdebatte“ bezeichnet wurde. Dies unterschlage, dass der Umbau der Landwirtschaft auch mit und nach dem Krieg zwingend nötig sei, denn „die Klimakrise bleibt bestehen“. Der Hunger der Welt könne auch nicht dadurch bekämpft werden, wenn in der Europäischen Union im Zuge der Agrarreform verankerte Flächenstilllegung von Agrarflächen um zwei Prozent weniger ausfalle. Diese Diskussion führe in die falsche Richtung. Der Hunger von zehn Prozent der Menschen sei ein strukturelles Problem: Armut, kein Zugang zu Land, fehlende Beratung, keine resilienten Ernährungssysteme, das seien die Gründe, nicht aber, ob in Europa Flächen wegen des erforderlichen Biodiversitätsschutzes brach lägen.

Dr. Ophelia Nick, parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschafts-ministerium, wehrte sich gegen die Unterstellung, dass man aufgrund der aktuellen Lage Tierbestände rasch reduzieren wolle, um mehr Getreide für die direkte menschliche Ernährung zu erhalten. Richtig sei, dass man Tiere in der Kreislaufwirtschaft brauche. Klar allerdings sei auch, dass die Menge reduziert werden müsse. Gemeinsam mit den Bauern müssten Wege gesucht werden, um die Erzeugung flächengebundener zu gestalten.

Akut wirksam, so etwa Professor Sebastian Lakner von der Uni Rostock, könne es hingegen sein, die Biokraftstofferzeugung umzulenken. Das könne durchschlagenden Erfolg haben, zumal es um beträchtliche Größenordnungen gehe. Neun Prozent der weltweiten Pflanzenerzeugung wanderten in die Produktion von Agrosprit und Biogas. „Das ist eine Stellschraube“, sagte Lakner. Die Umsteuerung im Tiersektor hingegen benötige Jahre, um spürbar zu werden.

Hannes Lorenzen von der europäischen Plattform ARC 2020 (die Organisation mit fast 160 Mitgliedsverbänden streitet für eine agrar-ökologischen Umgestaltung der EU-Agrarpolitik) sieht ebenfalls in der Korrektur der verfehlten Agrar-Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte einen Schlüssel. Sein Beispiel: die USA. Dort wandern zwar „nur“ 42 Prozent des Getreides in den Futtertrog (Deutschland: knapp 70 Prozent), dafür aber werden aus 48 Prozent der Cerealien Treibstoffe hergestellt. „Das muss man in Frage stellen“, sagte Lorenzen und sieht in diesen ungeheuren Mengen ein bedeutsames Potenzial zur Gegensteuerung.

Auf dieses Potenzial (in Deutschland werden fast 18 Prozent der Ackerfürchte zu Energie) setzt auch Europaabgeordneter Martin Häusling, der zudem auf jene 57 Prozent des Getreides verwies, die hierzulande verfüttert werden. „Das muss sich ändern“ und müsse genauso beendet werden wie die nach wie vor bestehende Lebensmittelverschwendung.  Über alle Stufen der Erzeugung „werfen wir 30 Prozent weg“. Das müsse so schnell wie möglich gestoppt werden. 

YouTube-Link zur Aufzeichnung der Online-Veranstaltung vom 09.03.22

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Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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