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„Carbon Farming – Allheilmittel auf dem Weg zur Klimaneutralität oder Greenwashing?“: Mit dieser Veranstaltung am Mittwoch, 23. Februar 2022 haben Expert*innen eine wertvolle Diskussion über ein wichtiges, aber nicht unumstrittenes Thema in der Klimadebatte angestoßen, findet Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umweltausschuss:


Die Podiumsteilnehmer einer ersten Runde waren sich einig: Auf ackerbaulich bewirtschafteten mineralischen Böden machen vor allem vielfältige Fruchtfolgen, Agroforst und Permakultur Sinn, um Humus aufzubauen. Die Stabilität von Kohlenstoff im Boden sei zwar interessant für langfristigen Humusaufbau, sollte aber nicht im Fokus stehen, denn es gehe um lebendige Prozesse und um lebendiges Bodenleben und dieses sei auch auf abbaufähige Substrate im Humus angewiesen. Man dürfe Böden nicht als Kohlenstofflagerstätten benutzen.

In dieser ersten Podiumsrunde mit Franz Rösl, IG Gesunder Boden, Dr. Anita Idel, Veterinärin, Mediatorin und Grünlandexpertin, Prof. Hans Joosten, Landschaftsökologe und Moorforscher und Patrick Worms, Agroforstexperte, World Agroforestry Centre, wurde deutlich, dass reine Kohlenstoffeinlagerung im Boden nicht gleichbedeutend ist mit Humusaufbau.
Grünland sei bisher ein völlig unterschätzter Kohlenstoffspeicher. Es sei das größte Pflanzenbiom auf der Erde und es bewachse die größte Fläche.
In der Tat speicherten Graslandökosysteme weltweit mehr Kohlenstoff als Wald und Grünlandschutz bringe daher in der Bilanz für den Klimaschutz deutlich mehr als Humusaufbau mit ackerbaulichen Maßnahmen. Auch im Vergleich zum Moorschutz sei die Klimarelevanz des Humusaufbaus im Ackerbau nur sehr gering. Wobei es beim Moorschutz mittelfristig vor allem darauf ankomme, gar nicht erst Kohlenstoff entweichen zu lassen, statt ihn neu zu speichern.
Was nicht heißen solle, dass Humusaufbau im Ackerbau nicht sinnvoll und vor allem notwendig sei, aber er trage weit mehr zur Resilienz der Ackerbausysteme und damit zur Klimaanpassung bei als zum Klimaschutz. Es sei wichtig, diese Effekte klar auseinander zu halten, sonst streue man den Landwirten Sand in die Augen.

Besonders der Ansatz Pflanzenkohle im Boden zu verbuddeln sei nicht zielführend, sondern eine überflüssige Hochtechnologie mit weitaus weniger positiven Wirkungen als z.B. durch den Einsatz von Qualitätskompost oder den Humusaufbau über Wurzelexsudate, die hier mit Abstand am effizientesten seien. Zudem müsste, um 1 Prozent des Treibhausgas-Reduktionsziels für Deutschland für das Jahr 2030 mit Pflanzenkohle zu erreichen, die gesamte verfügbare Reststoff-Biomasse Deutschlands zu Pflanzenkohle verarbeitet werden – ein unrealistisches Szenario.
Martin Häusling zieht das Fazit: „Statt uns nur auf die Klimaschutzfunktion mit technischen Lösungen zu konzentrieren, brauchen wir komplexere und klimaresilientere Systeme. Mehr Vielfalt statt Monokulturen; mehr Landschaftsgestaltung statt monotone Ertragsflächen - dafür müssen wir aber unseren nur auf die Flächenproduktivität fokussierten Blickwinkel ändern.“

Auf dem zweiten Podium machte Dr. Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, klar, es ginge bei echtem Klimaschutz erstmal darum, Emissionen zu reduzieren. Mit konsequentem Humusaufbau könne man vor allem, abgesehen vom klimaschonenden Effekt, die Bodenfruchtbarkeit steigern. Das sei der Schlüssel für eine nachhaltige Landwirtschaft.
Ein Greenwashing beispielsweise durch eine doppelte Anrechnung der Kohlenstoffbindung in der GAP und bei Zertifikaten dürfe es nicht geben.
Ob Zertifikate die dringend notwendige Lösung für die Emissionsvermeidung bringen, müsste ehrlich geprüft werden, so Christian Holzleitner, Referatsleiter DG CLIMA der EU-Kommission. Das Potential sei vorhanden, aber es seien noch einige offene Fragen zu klären, wie zur Effizienz der einzelnen Maßnahmen, zu den Möglichkeiten der Messung und der angemessenen Vergütung. Die Kommission beabsichtige solche Initiativen technisch und juristisch umsetzbar zu gestalten.

Dr. Rolf Sommer, Fachbereichsleiter Landwirtschaft und Landnutzungswandel beim WWF, verwies auf das Positionspapier, das der WWF zusammen mit vielen anderen Umwelt-NGOs, Wissenschaftlern und Initiativen erarbeitet hat und das sich sehr kritisch zum Zertifikate-Handel äußert. Ein Ablasshandel dürfe so nicht entstehen und Humusaufbau bringe für Ökosystemleistungen eben mehr als eine reine C-Speicherung. Es mache keinen Sinn, die Senken an andere Sektoren zu verkaufen. Besonders wies Sommer auf den Faktor Fairness hin: Landwirte, die schon lange in Bodenfruchtbarkeit investiert hätten, würden durch jetzt eingeführte Zertifikate benachteiligt.

Wir müssen jedes Potenzial der landwirtschaftlichen Böden zum Humusaufbau nutzen und bei dieser Aufgabe die Bäuerinnen und Bauern dringend unterstützen, denn sie seien es, die unsere Böden gut bewirtschaften, so Steffen Pingen, Fachbereichsleiter Umwelt und ländlicher Raum beim Deutschen Bauernverband.
CO2 Zertifikate seien interessant, wenn man damit Geld für nachhaltiges Wirtschaften auf die Höfe bringen könne. Für den Bauernverband stehe die Ernährungssicherung ganz im Vordergrund und um diese zu sichern, müsse man ein breites Spektrum an Maßnahmen prüfen und nicht einige per se ausschließen.

„Insgesamt ein spannender Auftakt zu einer Diskussion, die fortgeführt werden soll“, so fasste Martin Häusling als Gastgeber die Veranstaltung zusammen.

 

Zum Weiterlesen und -schauen:

Aufzeichnung der Veranstaltung „Carbon Farming – Allheilmittel auf dem Weg zur Klimaneutralität oder Greenwashing?“ vom 23.02.2022

Positionspapier zu CO2-Zertifikaten und Kohlenstoffspeicherung in Böden von Martin Häusling

Studie „Greenwashing & viel Technik! Vermeintlich nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft“ von Dr. Andrea Beste, Büro für Bodenschutz und Ökologische Agrarkultur, im Auftrag von Martin Häusling

Interview: Klimaschutz mit Carbon Farming - eine gute Idee?

Klimakiller Kuh – warum Muhen auf der Weide nicht das Problem ist, hr mex Video mit Anita Idel

Patrick Worms zu den Potentialen der Agroforstwirtschaft (youtube)

TAZ-Interview mit Prof Joosten zum Moorschutz

Positionspapier der IG Gesunder Boden zu CO2 Zertifikaten.

Positionspapier des WWF und vieler anderer NGOs, Wissenschaftler und Initiativen zu CO2 Zertifikaten.
Carbon Farming Strategie der EU Kommission (Download des Handbook auch auf Deutsch möglich)

PM Deutscher Bauernverband zu Carbon Farming

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Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

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