FAZ - Die Europäische Kommission will sicherstellen, dass auch „Bio“ drin ist, wo „Bio“ drauf steht. Deswegen sollen die Auflagen schärfer werden. Die Biolandwirte protestieren.
Von Hendrick Kafsack, Jan Grossarth, Henrike Roßbach
Kaum ein Wirtschaftssektor hat sich in den vergangenen zehn Jahren derart dynamisch entwickelt wie die Bio-Lebensmittelbranche. Seit 1999 hat sich der Weltmarkt für Biogemüse, -obst und -fleisch vervierfacht. Die von Biolandwirten in der EU bewirtschaftete Fläche hat sich verdoppelt. Der Umsatz ist allein in Deutschland von 2 Milliarden Euro auf zuletzt 7 Milliarden Euro gestiegen. Hand in Hand mit dem Bioboom geht eine zunehmende Zahl von Betrugsfällen und andere Fehlentwicklungen. Die aus der Gründerzeit der Biobewegung stammenden EU-Regeln passen schlicht nicht mehr zum heutigen Geschäft. Die Europäische Kommission fordert deshalb eine Neuausrichtung und stößt damit ausgerechnet unter den Biolandwirten auf heftigen Widerstand.
Zwei Dinge will die Kommission mit ihren noch internen Vorschlägen, die EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos wohl im März vorlegen wird, erreichen: Sie will Bioprodukte besser kontrollieren, nicht zuletzt Importe, und sicherstellen, dass Bioprodukte auch tatsächlich „Bio“ sind.
Gegen bessere Kontrollen hat zumindest in Deutschland auch niemand etwas einzuwenden. Heute gibt es hier 63 verschiedene „Importstandards“. Die zu vereinheitlichen, lehnt öffentlich niemand ab. Das gilt auch für die Kontrollen in der EU, die die Staaten innerhalb bisher sehr unterschiedlich handhaben, wie das deutsche Thünen-Institut in einer vor wenigen Tagen für die EU-Kommission fertiggestellten Studie festgestellt hat.
„Weniger Auswahl, weniger Ökoprodukte für die Verbraucher.“
Für Aufregung in der Ökobranche sorgen hingegen die Überlegungen, die Vorgaben für Bioprodukte zu verschärfen. Die Europäische Kommission will die Zahl der Ausnahmen – etwa für den Einsatz von konventionellem Futter, Saatgut, Jungtieren – stark reduzieren. Die Rahmenbedingungen für Biobauern hätten sich inzwischen derart verbessert, dass die EU von ihnen auch mehr verlangen dürfe, heißt es in der Kommission. Das stoße natürlich insbesondere bei den Geschäftsleuten unter den Biolandwirten auf Widerstand. „Echte“ Biobauern hätten damit aber keine Schwierigkeiten.
Wenn all das Realität würde, hätte der Verbraucher „weniger Auswahl, weniger Ökoprodukte, weniger Bioläden und die Sachen wären teurer“, sagt hingegen Jan Plagge, Präsident des Anbauverbands Bioland und Vorstand im Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Vor allem kleine Biobauern würden getroffen, kritisiert der Europaabgeordnete Martin Häusling (Grüne). Das Europaparlament, das den Plänen ebenso wie der EU-Ministerrat zustimmen muss, werde die Vorschläge so nicht passieren lassen.
Die Liste der Kritikpunkte ist lang. So bemängeln Verbände und Grüne, dass die Kommission die Anbindehaltung von Rindern verbieten will. In Bergregionen gebe es in den Dörfern aber oft nicht genug Platz für moderne Laufställe, in denen Kühe und Rinder sich frei bewegen können, sagt Plagge. Andererseits seien diese Tiere im Sommer ohnehin auf der Alm, und viele kleine Ökobauern hätten für den Rest des Jahres zumindest in einen Laufhof investiert, auf dem die Tiere tagsüber herumlaufen können. Nur nachts würden sie teilweise angebunden. Obwohl ein Nein zur Anbindehaltung dem Tierwohl dient – dem sich die Ökoverbände verschrieben haben – ist der Verband gegen eine Verschärfung der Spielregeln. Kleinen Betrieben würde der Zugang zum Ökolandbau versperrt, sagt Alexander Beck vom BÖLW. 50 Prozent der Biobetriebe im Alpenraum müssten schließen, schätzt Häusling.
Mit diesem Argument werben die Kommissionskritiker auch für andere Ausnahmen. Momentan dürfen beispielsweise ökologische Betriebe konventionelles Saatgut oder Jungtiere verwenden, so es kein entsprechendes Bioangebot gibt. „Bei Gemüse und Obst gibt es teilweise einfach keine ökologischen Saatgutvermehrer“, sagt Plagge. Häusling bemängelt, dass der Futteranteil vom eigenen Hof oder aus der Region steigen soll, auf mindestens 60 Prozent für Schweine und Geflügel. Das sei kaum einzuhalten. Tatsächlich würde es auf Inseln wie Zypern wahrscheinlich keine Bio-Tierhaltung mehr geben, würde das umgesetzt.
Biobauern fürchten Zunahme der Bürokratie
Auch strengere Grenzwerte für den Anteil gentechnisch veränderter Produkte oder von Pestiziden lehnt Häusling ab, weil es nicht sein könne, dass der Ökolandbau für Verunreinigungen durch nicht nachhaltig bewirtschaftete Nachbarfelder büßen müsse. Mehr Bürokratie fürchtet der BÖLW bei der Vergabe der offiziellen EU-Bio-Siegel, weil diese künftig für jedes Produkt einzeln beantragt werden müssen; bislang können einmal zertifizierte Biobetriebe sie selbständig verwenden. Positiv sieht die Ökobranche allenfalls, dass Bauern in einem Betrieb künftig nicht mehr parallel konventionell und ökologisch wirtschaften dürfen und kleine Landwirte nicht mehr so intensiv kontrolliert werden sollen.
Kritisch sei der Vorstoß der Kommission nicht zuletzt deshalb, da in Deutschland die Nachfrage nach Bioprodukten die heimische Produktion stark übersteige, argumentiert die Ökobranche. Der Rest muss importiert werden. „Das ist das größte Problem der Branche“, sagt BÖLW-Vorstand Beck. „Denn wenn es Ärger wegen der Authentizität von Bioprodukten gibt, dann fast immer bei Importen“, fügt er mit Blick auf die jüngsten Skandale von falsch deklarierten Bio-Lebensmitteln hinzu. Besonders fehleranfällig seien Importe aus Nicht-EU-Staaten. „Wenn nun Bauern aus der Bioproduktion herausgedrängt werden, müssen wir noch mehr importieren“, warnt Beck.
Tatsächlich haben die deutschen Bio-Lebensmittel in einer vom Thünen-Institut in ihrer Studie zitierten Stichprobe auf verbotene Pestizide gut abgeschnitten. Nur 2 Prozent fielen negativ auf. Allerdings lag auch bei Bio-Lebensmitteln aus Israel der Anteil nur bei 2,3 Prozent. Die meisten Unregelmäßigkeiten gab es bei Produkten aus Italien (9,6 Prozent der untersuchten Lebensmittel), Ägypten (9,1 Prozent) und Griechenland (8,9 Prozent). Die südlichen EU-Staaten schneiden auch nach Einschätzung der Kommission nicht besser ab als Nicht-EU-Staaten. Dort ist offenbar bis zu jedes zehnte als „Bio“ deklarierte Lebensmittel in Wahrheit kein solches.