Grüne Europagruppe Grüne EFA

Ökolandbau und ländliche Räume

10.03.2016

GRÜNE ZUKUNFTSWERKSTATT - Europäische Umweltpolitik wieder zum Motor einer gestärkten EU entwickeln (Bericht)

160305 Zukunftskonferenz2„Mut zu Veränderungen – Ja zu Europa“ – unter diesem Motto debattierten am 4. März 2016 Grüne aus siebzehn Ländern Europas mit zahlreichen Gästen über Europas Zukunft.
Im Forum „Better (De)Regulation?“ der Gemeinschaftskonferenz der grünen Bundestags- und Europaparlamentsfraktion ging es um Risiken, aber auch die Chancen der EU-Agenda einer besseren Rechtssetzung für die europäische Umwelt- und Agrarpolitik.

25.10.2015

WELT online - So wird "Bio" zur schönen Illusion

Welt online - Nie haben sich Biolebensmittel so gut verkauft wie heute. So groß der Erfolg ist, so schlecht sind die Kontrollen. Nun will die EU ein neues Öko-Gesetz erlassen - zum Entsetzen der gesamten Branche.

Am Ende eines langen Tages steht Martin Häusling in seinem Feld und kämmt mit den Händen zufrieden durch den Roggen. Satte Ähren wogen um seine Brust, hinter ihm erstrecken sich sanft gewellte Hügel, die Sonne tränkt das nordhessische Idyll in orangegoldenes Licht.

Die Szene wirkt werbetauglich: regionale Landwirtschaft, bodenständig und traditionell. Mit garantiert schadstofffreiem und schonend angebautem Öko-Getreide. Geerntet vom glücklichen Bio-Bauern. Der Haken ist nur, dass Häuslings Roggen nun bedroht wird. Die Gefahr kommt vom Getreidefeld nebenan.

Mit ein paar Schritten überquert Häusling einen staubigen Feldweg, stellt sich in den Weizen des Nachbarn und schiebt die Halme auseinander. Wo bei ihm zwischen dem Roggen Kamille, Klatschmohn und Kornblumen blühen, wächst hier: nichts. Häuslings Nachbar baut das Getreide nach konventionellen Methoden an, das heißt auch: Er spritzt Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel. Bisher hatte Häusling damit kein Problem, jedenfalls kein wirtschaftliches.

Doch nun will die EU ein neues Gesetz. Es geht darum, was künftig noch bio ist. Wenn dieses Gesetz kommt, wie es die Kommission vorgeschlagen hat, dann wird es dramatische Folgen haben. Für Bauern wie Häusling, für Supermärkte, Drogerien, Tankstellen, für die Nahrungsmittelindustrie und auch für Menschen, die gerne mehr Geld für das Gefühl ausgeben, sich gut zu ernähren. Das Wort "bio" könnte schon bald für nichts weiter stehen als für eine schöne Illusion.

Bisher steht es für das Versprechen, mit dem Kauf eines Apfels, von Eiern oder einem Hähnchenfilet etwas Gutes zu tun. Sich selbst, der Umwelt, den Tieren auf der Weide. Dieses Versprechen ist immer mehr Geld wert. Von Jahr zu Jahr füllen die Waren mit dem EU-Bio-Siegel mehr Regale. Und das längst nicht mehr nur in Bio-Läden und Reformhäusern, sondern längst auch in Supermärkten. Discounter wie Aldi, Lidl oder Netto haben das lukrative Geschäft entdeckt, Tankstellen und Drogerien auch.

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr mehr Geld für Biolebensmittel ausgegeben als irgendwer sonst in Europa: 7,91 Milliarden Euro. Nie zuvor gab es hierzulande so viele Bio-Betriebe, nie haben die Händler mehr Umsätze gemacht, nie gab es so viel Anbaufläche für Bio-Produkte.

So besagen es die Zahlen des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Und nie zuvor gab es so viele Produkte, die "Bio" heißen. Mit "Biotrend", "Prima Bio" oder "BioBio" haben Supermärkte und Discounter eigene Öko-Marken eingeführt - die zwar alle unterschiedliche Namen und Logos tragen, aber letztlich ein und demselben Standard entsprechen: den Kriterien der EU-Öko-Verordnung.

Diese Kriterien will die EU jetzt radikal verändern. Sie hat eine Überarbeitung dessen vorgelegt, was künftig in der Bio-Landwirtschaft aller 28 EU-Staaten erlaubt sein soll. Manche der neuen Regeln sind derart streng, dass Öko-Bauern verzweifeln. Zum Beispiel die Einführung von Sondergrenzwerten nahe der Rückstandsfreiheit: Wenn der Wind auf Häuslings Feld nur winzigste Spuren vom Pestizid seines Nachbarn weht, dann wäre Häuslings Bio-Roggen nicht mehr bio.

Die Branche befürchtet daher, dass die EU-Novelle viele Öko-Landwirte zum Aufgeben zwingen wird. Und dann lägen in den Supermarktregalen künftig viel weniger Bio-Produkte - oder aber viel mehr Bio-Produkte, von denen man nicht weiß, was an ihnen bio ist.

Der Erfolg der Bio-Waren ist zu einem ernsten Problem geworden. Die Nachfrage ist groß, die Kontrollen sind aber nur dürftig. Masse statt Klasse. Weil die Verbraucher nicht auf ihr gutes Gewissen und die Händler nicht auf ihr gutes Geschäft verzichten wollen, werden Waren importiert, für deren Qualität keiner garantieren kann.

Dagegen kämpft Häusling seit Monaten. Er will ein gutes Gesetz, vor allem aber will er eine Antwort auf die entscheidende Frage: Wie ähnlich darf Bio-Landwirtschaft der konventionellen Landwirtschaft werden? Oder: Wie massenkompatibel kann bio sein, ohne dass es am Ende nichts weiter ist als ein Wort, mit dem Hersteller ihre Ware besser und teurer verkaufen können?

Häusling kennt das EU-Bio-Recht wohl wie kaum ein Zweiter in Deutschland. Er ist nicht nur Bio-Landwirt, sondern auch Politiker, Grüner, Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit September vergangenen Jahres ist er der oberste amtliche Kritiker der geplanten Öko-Verordnung. Im Brüsseler Technokratensprech heißt das: Berichterstatter für den Parlamentsentwurf zur Reform der Öko-Verordnung. Das bedeutet, dass er federführend im Namen des EU-Parlaments einen Gegenvorschlag zur geplanten Öko-Verordnung entwirft. Er ist derjenige, der sie verhindern soll - jedenfalls in der Form, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat.

Häusling soll die vielen unterschiedlichen Positionen aller anderen Beteiligten sammeln, prüfen und eventuell berücksichtigen. Sie kommen zum Beispiel aus den Fraktionen im EU-Parlament, aus der Bundesregierung und aus den anderen Mitgliedsstaaten. Sie kommen außerdem von Wirtschafts-, Umwelt- und Lobbyverbänden, dem Deutschen Bauernverband etwa, dem Naturkostverband.

Oder dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der befürchtet: Chaos und Rechtsunsicherheit. Sein Präsident Felix Prinz zu Löwenstein sagt, es habe viele Jahre gedauert, bis die letzte Novelle in der Praxis angekommen sei. "Jetzt geht dieser mühsame Prozess komplett von vorne los." Das werfe die Branche zurück und verhindere Investitionen. Es ist keine Einzelmeinung, sondern das, was die Vertreter fast aller Gruppen sagen, deutscher und internationaler, so unterschiedlich ihre Interessen sein mögen.

Die erste europäische Bio-Verordnung stammt aus dem Jahr 1990. Darin ist detailliert festgelegt, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit ein Hersteller sein Produkt bio nennen darf. Im Jahr 2009 setzte die EU ein überarbeitetes Gesetz in Kraft. Nun, nach fünf Jahren, soll es wieder komplett reformiert werden. Weil der Markt viel schneller gewachsen ist als gedacht, weil die Gesetze deshalb schon wieder veraltet und außerdem zu kompliziert sind und vor allem deshalb, weil das Kontrollsystem nicht funktioniert und das Vertrauen der Bürger in die Bio-Branche darunter leidet. So zumindest begründet die EU-Kommission die geplanten Neuerungen.

Im Prinzip, sagen die Landwirte und Lobbyisten, habe die EU ja recht. Nur seien ihre Pläne ganz und gar ungeeignet, weil sie an den falschen Stellen ansetzten. Häuslings Aufgabe ist es nun, den größten gemeinsamen Nenner aller Lager herauszuarbeiten. Und damit im Grunde, so sagen manche, den ungeliebten EU-Entwurf wieder auf den Stand von 2009 "zurückzuschreiben".

Was ihn antreibt, lässt sich am besten in Bad Zwesten, Ortsteil Oberurff, herausfinden, einem Örtchen auf halber Strecke zwischen Marburg und Kassel. Hier draußen, am Rande eines Nationalparks, führt Häusling seinen Kellerwaldhof in zweiter Generation. Häusling, ein braun gebrannter und sehniger Mittfünfziger, empfängt in T-Shirt und eingestaubten Jeans. Der Hofherr führt vor dem Gespräch erst mal über sein Anwesen: in die Laufställe, an die Weide, zur Futterstation mit Kraftfutter aus eigenem Anbau und Fressplatz für jede Kuh. Es ist ihm wichtig, zu zeigen, was das bedeutet: Bio-Bauer zu sein.

Häusling ließ sich zum Agrartechniker ausbilden, 1987 übernahm er den Betrieb vom Vater, ein Jahr später stellte er den Hof auf Bio um - bevor es so etwas wie deutschland- oder EU-weite Öko-Regelungen gab. Sein Vater, sagt Häusling und grinst, sei ja nicht so begeistert gewesen: "Er meinte: 'Junge, das kannst du doch nicht machen, dann geht alles verloren!'" Häusling ließ sich nicht beirren, weder vom Vater noch von den Kollegen. "Zu Beginn hieß es immer, wenn die Ernte gut war: Der hat doch heimlich gespritzt. Und wenn sie nicht gut war: Siehste, das haste nun davon."

Mit der Erfahrung kam der Erfolg. Vor Kurzem hat Martin Häusling den Betrieb an seinen ältesten Sohn übergeben; er bespricht jeden Morgen mit ihm, was getan werden sollte, und packt am Wochenende mal mit an, wenn er aus Brüssel oder Straßburg zurückkommt. Mehr einmischen will er sich aber nicht, dazu fehlt ihm auch die Zeit.

Häusling will nicht einfach etwas verhindern. Er will etwas schaffen: eine neue EU-Öko-Agentur, die Bio-Waren aus aller Welt kontrolliert. Und er will die "Industrialisierung der Branche" aufhalten, den Trend zur Bio-Massenproduktion. Auch da läuft ja momentan einiges schief. Und das hat vor allem in Deutschland viel mit dem Erfolg von Bio-Lebensmitteln zu tun.

Die Geschäfte brummen, auch Häusling kann nicht klagen. Auf seinem Roggenfeld erntet er kaum weniger als sein Feldnachbar, der in herkömmlicher Landwirtschaft arbeitet. Mit Hafer und Weizen ist es ähnlich. Er ernte 70 bis 80 Prozent der Menge, die der Nachbar ernte, erziele aber meist den doppelten Verkaufspreis bei Getreide, rechnet Häusling vor. Viel wichtiger allerdings ist für ihn das Geschäft mit der Milch. Häusling hat den Betrieb ganz auf die Milchviehhaltung ausgerichtet. Ackerbau und Schweinehaltung laufen eher nebenbei.

Seine Herde umfasst rund 80 bunt gescheckte Tiere, die Usambara, Tortilla oder Urmel heißen und zu ihm trotten, wenn Häusling sie mit Namen ruft. Von den 400.000 Liter Milch, die sie pro Jahr geben, lässt er ein Viertel in der hofeigenen Käserei verarbeiten. Den Großteil verkauft er an eine Bio-Molkerei, von der auch Großhändler ihre Ware beziehen.

Die Milch vom Kellerwaldhof gibt es also nicht nur im Hofladen, sondern auch in Supermärkten. Das ist schön für Häusling. Für Bio-Milch zahlten die Molkereien im Juni rund 46 Cent pro Kilogramm - Milch wird grundsätzlich in Kilogramm abgerechnet. Konventionelle Milchbauern bekamen da gerade mal 29 Cent pro Kilo. Im Supermarktregal steht seine Milch jedoch nicht nur neben konventioneller Milch, sondern auch neben importierter Bio-Milch, meist aus Österreich oder Dänemark. Der Bio-Bedarf ist hierzulande derart groß, dass er mit deutschen Waren längst nicht mehr gedeckt werden kann.

Und das, obwohl selbst Politik und Wirtschaft den Öko-Trend für sich entdeckt haben. Das Bio-Handelsunternehmen Alnatura beispielsweise subventioniert Landwirte, die auf bio umstellen wollen, mit einer neuen "Bio-Bauern-Initiative", und das bayerische Landwirtschaftsministerium will die Ökoproduktion bis 2020 verdoppeln. Trotz aller Mühen stöhnen manche Händler über Lieferengpässe.

Die Verbraucher freut's: Noch nie war es so einfach, an eine derart große Auswahl erschwinglicher Bio-Lebensmittel zu kommen. Selbst den Fachhandel stört die Konkurrenz aus der Billigecke nicht. Denn bis jetzt gibt es für alle genug Geld zu verdienen. "Ich freue mich über jedes verkaufte Bio-Produkt", sagt etwa Michael Radau, Inhaber und Geschäftsführer von SuperBioMarkt aus Münster.

Mit 600 Mitarbeitern, 23 Filialen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie 51,2 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr zählt sein Unternehmen zu den führenden Bio-Handelsketten Deutschlands. Einen Großteil der Erlöse verdient seine Firma mit Ware, die sie aus dem Ausland importiert. Wie viel, das sei saisonal sehr schwankend, sagt Radau. Bei Obst und Gemüse etwa sei der Anteil heimischer Ware aktuell sehr hoch; im Winter werde das weniger. Eier und Milchprodukte wiederum stammen bei SuperBioMarkt komplett aus Deutschland.

Bio aus Deutschland, das ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Drittel der Bio-Milch im deutschen Handel, so rechneten die Grünen im Bundestag unlängst vor, kommt aus dem Ausland. Gleiches gilt für Äpfel, Tomaten oder Frühkartoffeln - alles Lebensmittel, die hierzulande zwar auch ökologisch angebaut werden, nur eben viel zu wenig für den großen Bedarf. Die biologisch bewirtschaftete Fläche in Deutschland mag stetig wachsen, dennoch nimmt sie bislang nur rund sechs Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche ein. Ein Großteil der Produkte muss also aus dem Ausland eingekauft werden. Und wenn ein Kunde Bio-Ware kauft, landet oftmals Importware aus Spanien, Ägypten oder Neuseeland im Einkaufswagen.

Spätestens hier wird der Begriff "bio" problematisch. Welche Qualität die Importware tatsächlich hat, lässt sich selten im Detail nachvollziehen. Das hat viel mit einem fehlerhaften Kontrollsystem zu tun, teilweise aber auch mit dem Bio-Siegel selbst.

Nach jetziger Definition bedeutet etwa das EU-Bio-Siegel auf Äpfeln, Möhren und Tomaten bloß eines: Sie sind schadstofffrei. Wie ökologisch korrekt dagegen zum Beispiel der CO2-Fußabdruck eines Bio-Apfels ist, der ein halbes Jahr in einem energiefressenden Kühlhaus gelagert wurde, fällt dabei nicht ins Gewicht.

Die EU berücksichtigt außerdem nicht, dass viele deutsche Bauern meist noch einem Bio-Verband wie Demeter oder Bioland angehören und ihre Betriebe entsprechend nach Regeln führen, die deutlich strenger als die EU-weiten Mindeststandards ausfallen. Das bedeutet zum Beispiel: Fruchtfolgen müssen eingehalten, Boden, Wasser und Luft möglichst schonend behandelt werden. In Spanien dagegen werden die Öko-Tomaten mit immensem Wasserverbrauch und unter kilometerlangen Plastikplanen gezüchtet. Ohne Pestizide und Herbizide, aber dafür mit massiven Eingriffen in Landschaft und Umwelt. Verbände wie der BUND empfehlen deshalb, lieber gleich nach Produkten zu greifen, die auch das Siegel eines Anbauverbandes tragen - weil das EU-Logo allein keine ökologische Qualität garantiert.

Denn vorm Supermarktregal sind alle Bio-Produkte gleich. Auch die Importe aus Ländern außerhalb der EU, deren Kontrolle mit jedem Kilometer, den sie zurückgelegt haben, schwieriger wird. Und deren Anteil mit der Öko-Verordnung, wie sie die EU-Kommission einführen möchte, womöglich noch höher würde.

So befürchtet die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), in der sich Naturkosthersteller und Großunternehmen wie Ritter Sport, Bionade und Hipp zusammengeschlossen haben, schon eine "Verknappung" der in Europa erzeugten Bio-Lebensmittel. Denn vor allem kleinere Landwirte und Unternehmen würden durch unsinnige Auflagen in ihrer Existenz gefährdet. "Würde dieser Vorschlag so umgesetzt", so steht es in einer AöL-Pressemitteilung, "gäbe es weniger Bio-Bauern und Bio-Verarbeiter - und in den Regalen lägen weniger Bio-Produkte."

Und dann gibt es immer wieder Fälle, in denen das Bio-Siegel auf Gemüse oder Eiern auftaucht, obwohl diese ganz konventionell produziert wurden: klassischer Etikettenschwindel.

"Je mehr die Branche wächst, desto höher ist ihre Anfälligkeit für nicht saubere Arbeit", sagt Häusling. "Deshalb ist es so wichtig, die Kontrolle zu verbessern. Und da gibt es zugegebenermaßen manchmal Lücken." Häuslings Lieblingsbeispiel dafür sind belastete Sonnenblumenkerne aus der Ukraine. Er hat diese Geschichte oft erzählt, doch auch jetzt klingt es, als könne er es noch immer nicht fassen.

Die vermeintlichen Bio-Sonnenblumenkerne, so erzählt er, wurden 2014 aus der Ukraine nach Rotterdam importiert und dort in Bio-Hühnerfutter gemischt. Die holländische Behörde stellte darin Schadstoffe fest. Doch sie fand in der EU-Öko-Verordnung keinen passenden Grenzwert dazu. In den Bio-Eiern der Hühner, die die Kerne gefressen hatten, waren aber keine Schadstoffe nachweisbar. Ungefährlich also, befanden die Holländer und beließen es dabei - ohne ihre Informationen an andere betroffene Länder weiterzugeben. Das sieht das EU-Gesetz auch nicht vor.

Das Futter gelangte nach Niedersachsen, und die deutschen Behörden schlugen sofort Alarm: Grenzwert hin oder her - das gesamte Mischfutter musste vom Markt genommen werden, und Bio-Betriebe durften keine Eier mehr liefern. "Das hat dazu geführt, dass innerhalb einer Woche zehn Prozent der deutschen Bio-Eier-Produktion stillgelegt wurden", sagt Häusling.

Damit die Nachfrage in Deutschland bedient werden konnte, haben die Holländer dann Bio-Eier exportiert. Und zwar Eier von Hühnern, die das belastete Futter gefressen hatten. "Ein Treppenwitz", sagt Häusling. Für ihn ist der Fall ein Beispiel dafür, wie aus einem gut gemeinten Gesetz ziemlich großer Unsinn werden kann.

Ein Gesetz, das in jedem Mitgliedsland anders ausgelegt wird, dazu Landwirte mit ein bisschen krimineller Energie, die ihre Erzeugnisse einfach als Bio-Ware exportieren: Viel mehr braucht es derzeit nicht, um die EU-Kontrollen zu umgehen.

Häusling sitzt auf der Kante seiner Wohnzimmercouch, verschränkte Arme, Oberkörper weit vorgebeugt. Der Landwirt und der Politiker, das ist bei ihm immer eins gewesen. Erst engagierte er sich in einer Bürgerrechtsbewegung, als im Nachbardorf ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte; mit Parteigründung trat er den Grünen in Hessen bei, ein Überzeugter der ersten Stunde.

1999 kandidierte er für die Bürgermeisterwahl, holte sofort 20 Prozent der Stimmen. Später saß er sechs Jahre lang im hessischen Landtag, 2009 ging er nach Brüssel und wurde Agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA. "Die entscheidenden Weichen für die Agrarpolitik", sagt Häusling, "werden halt auf EU-Ebene gestellt, nicht in Wiesbaden."

Und das versucht er jetzt, das ist sein Auftrag. Erstens kennt er alle Vorschriften und Verordnungen aus der Praxis - nicht nur vom Papier. Das verschafft ihm Gehör. Zweitens kann er gut reden und veranschaulichen. Zu nahezu jedem Paragrafen, den er in der Vorlage der EU-Kommission kritisiert, hat er ein Beispiel zur Hand. Sei es das "mare del plastico", unter dem die spanischen Tomaten gezüchtet werden oder die "Apfelbaumwüste" in Südtirol, wo die Bio-Bauern wegen des intensiven Obstbaus auf engstem Raum die geplanten Sondergrenzwerte für Pestizidbelastung besonders fürchten. Das macht seinen Kompromiss für alle Beteiligten greifbar - und lässt die technokratischen Vorschläge der Kommission teilweise noch realitätsfremder erscheinen.

Wie überzeugend Häusling sein kann, zeigte sich Ende Juni an einem verregneten Dienstag in Berlin. Dort hatte das Informationsbüro des Europäischen Parlaments zum "Dialog mit dem Berichterstatter" geladen, um Lobbyverbände und andere Interessensgruppen über seinen Kompromissvorschlag diskutieren zu lassen.

Zwei Dutzend Vertreter waren gekommen, sie füllten den Konferenzraum mit Blick aufs Hotel "Adlon" bis auf den letzten Platz. Häusling, nun in Hemd und Jackett, nahm am Kopfende Platz, machte ein Witzchen über das Wetter, dann redete er drauflos. Kritisierte, erläuterte, fasste zusammen. Vor allem aber legte er immer wieder den Finger auf die Schwachstellen, die sich die EU-Kommission seiner Meinung nach in ihrer Vorlage erlaubt hat.

Die Sondergrenzwerte etwa, die in der Realität kaum ein Bio-Bauer einhalten könne, "außer wir bauen nur noch in sibirischen Reinluftgebieten an". Die Klausel, wonach ab 2021 EU-weit nur noch Öko-Saatgut verwendet werden soll, obwohl die osteuropäischen Staaten in Sachen Bio-Landwirtschaft noch um 20 Jahre hinterherhinken - und diese Saatgutversorgung gar nicht leisten könnten.

Oder das Vorhaben, die jährlichen Kontrollen von Bio-Betrieben abzuschaffen, dafür aber mehr Risikokontrollen durchzuführen. Und zwar auch dort, wo nur abgepackte Bio-Lebensmittel verkauft werden. "Also von mir aus muss eine Tankstelle nicht öko-zertifiziert werden, nur weil sie Bio-Milch verkauft", sagte Häusling und erntete den nächsten Lacher. "Aber die jährlichen Kontrollen der Erzeuger sind wesentlicher Bestandteil des Verbrauchervertrauens. Die muss es einfach weiterhin geben."

Die Diskussionsrunde hatte viel von einer Feuerprobe. Mit Häusling am Kopfende saßen die Referatsleiterin für Ökologischen Landbau im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie der Geschäftsführende Vorstand der AöL. Im Publikum: Vertreter von Interessengruppen wie dem Deutschen Bauernverband und Fachjournalisten.

Eine ganze Riege möglicher Kritiker aus Politik, Wirtschaft, Medien und Lobbyverbänden also. Doch an diesem Nachmittag erntete Häusling nur eines: Wohlwollen. Der Vertreter des Bauernverbands bedankte sich; die Referatsleiterin lobte, es sei gelungen, fast alle deutschen Kernanliegen im Kompromissvorschlag zu verankern. Vor allem aber gebe es "von Herrn Häusling interessante und innovative Ansätze".

Der innovativste Ansatz ist die "EU-Öko-Agentur". Sie soll seine Lösung für fehlende Kontrolle und mangelnden Datenaustausch sein. Damit sich solche Fälle wie die ukrainischen Sonnenblumenkerne nicht wiederholen, will Häusling ein zentrales Meldesystem schaffen. Eine unabhängige Instanz, die transparent macht, woher welche Ware importiert und wohin sie weiterverkauft wurde. Sie soll Verstöße wie Schadstoffbelastungen registrieren, entscheiden, wie damit umgegangen wird, und wenn nötig alle 28 Mitgliedsstaaten warnen.

Die Öko-Agentur ist aus Häuslings Sicht auch deshalb so nötig, weil das Problem mit den Bio-Kontrollstellen nicht an den Grenzen der EU endet. Gerade bei den sogenannten Drittland-Importen, zum Beispiel von Südfrüchten oder Kaffee, funktioniert die Überwachung in Häuslings Worten "suboptimal". Auch weil es derzeit mehr als 60 verschiedene Importstandards gibt.

Die EU-Kommission hat dieses Problem und etliche andere Probleme erkannt. Sie glaubt auch, sie habe eine Lösung parat. Nur ist diese Lösung, genau wie die geplante Vorschrift für Häuslings Roggenfeld, allenfalls auf dem Papier praktikabel. So jedenfalls sehen es die vielen Kritiker.

Denn nach dem Willen der EU-Kommission sollen die Lieferländer künftig am besten gleich die EU-Standards für Bio-Landwirtschaft übernehmen. Die neuen Schadstoffgrenzwerte und Ökosaatgut-Verordnungen würden dann beispielsweise auch für den Kakaobauern in Burkina Faso gelten. Ein Vorschlag, über den Häusling nur den Kopf schütteln kann. "Bei allem Verständnis für den Schutz der EU-Verbraucher, aber die Landwirte in Westafrika können jetzt nicht von einem Tag auf den anderen die Regeln einhalten, mit denen wir in der EU seit 30 Jahren gearbeitet haben."

Häusling will stattdessen für bestimmte Regionen Anbauregeln definieren. Die sollen der Maßstab für Kontrollen sein. Und deren Kontrolle soll die "Öko-Agentur" für alle EU-Staaten transparent machen. Gerade bei der Umsetzung aber, das weiß auch Häusling, könnte es schwierig werden. Die Agentur braucht Geld und Personal, damit sie effektiv arbeiten kann. "Nicht neue Regeln, sondern eine konsequente Umsetzung schafft Sicherheit", sagt etwa BÖLW-Präsident Löwenstein.

In diesem Herbst steht für Häusling ein wichtiger Termin an, der sogenannte Trilog. Dabei kommen Vertreter der EU-Kommission, des Agrarrats und des EU-Parlaments zusammen und verhandeln über die finale Version der Öko-Neuverordnung - und damit auch über seinen Vorschlag. Der Agrarrat, bestehend aus allen 28 EU-Agrarministern, hat bereits einen eigenen Vorschlag vorgelegt; in vielem stimmt er mit Häuslings Plänen überein. Dennoch schätzen Beobachter, dass es noch bis weit ins Jahr 2016 hinein dauern wird, bis eine Entscheidung fällt. Doch selbst wenn sich alle Lager auf eine Öko-Agentur einigen würden, könnte das Vorhaben schnell scheitern: an den Bio-Landwirten, die jetzt schon über die rigiden Kontrollen und den Papierkram stöhnen.

Ja, klar, sagt Martin Häusling zu Hause in seinem Wohnzimmer. "Noch 'ne Behörde, und dann auch noch aus Brüssel - das wirkt für viele erst mal abschreckend." Dabei könnte die Agentur auch in München sitzen und "Clearing-Stelle" heißen, wenn es nach ihm ginge. Eine unabhängige Instanz, die die Arbeit der Kommission begleitet, aber keinem Bereich verpflichtet ist. An die 50 Fachleute, die in einem Büro sitzen und die Bio-Branche mit Sachverstand und Erfahrung durch Krisen wie den Grenzfall mit den Sonnenblumenkernen navigieren. So stellt er sich das vor.

Jochen Neuendorff von der Gesellschaft für Ressourcenschutz (GfRS) dagegen hält diese Agentur für überflüssig. "Herr Häusling gibt sich alle erdenkliche Mühe, und seine EU-Öko-Agentur war sicher gut gemeint", sagt er. "Aber letztlich ist sie so unnötig wie ein Kropf." Neuendorff ist GfRS-Geschäftsführer und damit der Chef einer von 18 Öko-Kontrollstellen in Deutschland, "so eine Art TÜV oder DEKRA", wie er sagt.

Nur sind seine Kontrolleure nicht für Fahrzeuge, sondern für 3000 der insgesamt rund 39.000 deutschen Öko-Betriebe und Unternehmen zuständig. Nach festgelegten Standards prüfen sie etwa große Handelsketten wie Edeka, Rewe und Metro, die Öko-Waren verkaufen. Oder sie fahren raus aufs Land zu Bio-Bauern und nehmen jedes Jahr aufs Neue deren Höfe unter die Lupe. Die GfRS prüft und zertifiziert Öko-Produkte seit 1989, sie ist damit eine der ältesten Kontrollstellen des Landes.

Jochen Neuendorff kann entsprechend viel Erfahrung vorweisen; er arbeitet seit rund 20 Jahren in diesem Beruf. Der gelernte Agraringenieur verwaltet nicht nur, er prüft auch selbst. "Entscheidend ist nicht, was auf dem Papier stattfindet, sondern auf dem Acker", sagt er. "Ich befürchte, dass in dieser Agentur viele Leute vortrefflich Bürokratie betreiben werden, ohne dass was Sinnvolles dabei rauskommt." Die meisten Betrugsfälle, mit denen es seine Leute zu tun bekämen, seien von langer Hand und sorgfältig geplant: "So was kriegen Sie nicht über Formalien aufgedeckt."

Am meisten aber stört ihn, dass der Öko-Agentur eine bunte Vielfalt an Aufgaben übertragen werden soll. Tatsächlich wirkt die lange Liste an manchen Stellen fast beliebig. "Wenn man Verbesserungen erreichen will, muss man genau überlegen, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist", sagt Neuendorff. "Das fehlt mir bei Herrn Häuslings Vorschlag komplett."

Der Kontrolleur erklärt es an den Sonnenblumenkernen, Häuslings Lieblingsbeispiel: Anstatt nur die Krisenkoordination fürs nächste Mal zu optimieren, wäre es viel wichtiger, dafür zu sorgen, dass Pseudo-Bio-Ware die Ukraine künftig gar nicht erst verlässt. Und das geht nach Neuendorffs Ansicht nur mit einer systematischen und dichten Kontrolle der Produzenten im Drittland - und einer gezielten Überwachung von deren Kontrollstellen: "Aber dazu wird es nie kommen." Stattdessen, so befürchtet er, könnte nun der "bürokratische Moloch" einer Öko-Agentur die deutschen Bauern vollends demotivieren - und die gesamte Bio-Branche einen Kollateralschaden erleiden.

Häusling ist da optimistischer. Was ihm hingegen ernstlich Sorgen bereitet, ist die "Konventionalisierung". Die Bio-Produktion im großen Stil, sozusagen, das Dilemma seiner Branche. Zwar haben Öko-Lebensmittel auch im Jahr 2015 nur einen Marktanteil von rund sechs Prozent - Verbraucherorganisationen wie Foodwatch sprechen deshalb von einer "Nische".

Aber diese Nische ist so groß, dass die Branche riskiert, zum Opfer ihres Erfolges zu werden. Das Geschäft läuft gut für die Produzenten, Händler und Lobbyisten. Zu gut, um öffentlich über grundsätzliche Bedenken zu sprechen. Und das trotz allen Schwierigkeiten mit dubioser Importwarte, knallharten Grossisten und restriktiven EU-Regelungen.

Bio, sagt Martin Häusling, sei für ihn vor allem immer Alternative zur konventionellen Landwirtschaft gewesen. Und deren größtes Ziel ist: Ertragssteigerung. Öko-Bauern, so könnte man sagen, entscheiden sich bewusst gegen diesen Leistungsdrang, weil sie eine Form von Landwirtschaft wollen, die ohne Antibiotika auskommt, ohne Pestizide, Überdüngung und chemisch-synthetisch behandeltes Saatgut. Aber natürlich wollen die Bio-Bauern auch Geld verdienen. Also müssen sie für ihre Produkte mehr Geld verlangen, weil sich die Bio-Landwirtschaft sonst nicht für sie rechnet.

Häuslings Käserei ist ein gutes Beispiel dafür, wie kosten- und zeitintensiv Bio-Produktion sein kann. In seinem Hofladen liegen fast 20 Haussorten in der Kühlvitrine: Bergkäse, Schnittkäse, Frischkäse, mit Knoblauch-Brennnessel, Bärlauch oder Salbei. Die Käserin führt mit Stolz durch ihre Arbeitsstätte, einen umgebauten Schweinestall. In der Kühlkammer nebenan lagert die Produktion der letzten Tage und Wochen. Weil der Bio-Käse im Gegensatz zum herkömmlichen nicht mit Chemie imprägniert werden darf, um den Schimmelprozess zu unterbrechen, werden die großen runden Laibe gewendet und mit Salzwasser abgebürstet. Drei Monate lang, jeden Tag.

Auf dem Kellerwaldhof rechnet sich der Aufwand, weil die Kunden den Käse direkt im Hofladen kaufen. Wer einmal in der Käserei stand oder die Kühe auf der Weide sah, bezahlt gerne ein paar Euro mehr. Und hat auch Verständnis, wenn der Camembert schon wieder aus ist. Sobald Bio-Produkte aber im Supermarkt stünden, sagt Martin Häusling, funktioniere das nicht mehr.

Dort muss immer alles vorrätig sein und günstig. Dass ein konventionelles Hähnchen etwa vier Euro, ein Bio-Hähnchen aber das Vierfache koste, sei kaum vermittelbar. "Mache ich deshalb bio billiger? Oder versuche ich lieber die Kundschaft zu überzeugen, dass das konventionelle Hähnchen Folgen hat, die uns irgendwann superteuer zu stehen kommen?"

Er meint die Folgen der Intensivtierhaltung, die bereits belegt sind: die Nitratbelastung des Grundwassers etwa. In Frankreich, so rechnet BÖLW-Präsident Löwenstein vor, kostet es die Wasserwerke laut einer Untersuchung jährlich 1,5 Milliarden Euro, das Trinkwasser zumindest auf Grenzwertniveau zu reinigen: "Diese Kosten müssten eigentlich auf den Preis für herkömmliche Lebensmittel aufgeschlagen werden." Stattdessen werden sie über die Wasserrechnung jedes einzelnen Haushalts beglichen - und damit auch von Bio-Käufern.

Doch die konventionelle Viehzucht birgt noch mehr Risiken: erhöhte Seuchengefahr etwa oder Antibiotikaresistenzen. Nicht nur bei Nutztieren, sondern auch bei den Landwirten, die diese Medikamente tagtäglich einsetzen - und bei denen sie deshalb im Krankheitsfall nicht mehr wirken. In Krankenhäusern gelten diese Bauern inzwischen als Risikopatienten.

Es ist der Moment, in dem sich Häusling in Rage reden kann. Über konventionelle Lebensmittel, die so "scheißbillig" seien. Über die "Wahnsinnsmacht" der Einkäufer und Händler, die erst als Großabnehmer bei einem Bio-Betrieb einsteigen und den Öko-Landwirt dann schrittweise zu immer niedrigeren Preisen zwingen - "sonst kaufen sie die Bio-Möhren eben in China".

Und über die fehlende Chancengleichheit für Bio-Produkte in Deutschland. "Wenn ich den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika verbiete, dann kann ich keine 30.000, sondern nur noch 3000 Hähnchen in einem Stall halten", sagt Häusling. "Dann wird das Bio-Huhn nicht billiger, sondern das konventionelle teurer. Und dann haben wir fast Waffengleichheit."

Nur: Wer garantiert, dass nicht auch so mancher Bio-Bauer dem Produktionsrausch verfällt, weil die Nachfrage stimmt - und dafür die Grauzonen ausnutzt, die ihm das Gesetz lässt? Nach geltendem Recht liegt die Obergrenze für Bio-Hühner bei 3000 Tieren - aber nur pro Stalleinheit. Das heißt: Auch ein Bio-Bauer kann 30.000 Hühner halten, indem er zehn Ställe nebeneinander baut.

Häusling versucht deshalb, in seinem Kompromissvorschlag zur EU-Ökoverordnung für Schweine und Legehennen eine Gesamtobergrenze pro Betrieb einzuführen. Das soll bewirken, dass ein Landwirt maximal vier Ställe nebeneinander bauen darf - um so die Kontrolle zu erleichtern und das Krankheitsrisiko zu senken. Die Frage bleibt allerdings, ob selbst 3000 Hühner in einem Stall noch als Bio-Haltung gelten sollten. Und ob das Konzept bio nicht per definitionem eine gewisse Größenordnung nicht überschreiten kann - weil es sonst eben nicht mehr bio ist?

Fragt man die großen Akteure der Branche, wollen sie von solch einer Beschränkung nichts wissen. Bio und Masse, für sie passt das ganz problemlos zusammen.

"Wir brauchen 100 Prozent bio", sagt BÖLW-Chef Löwenstein, der zuletzt auch ein Buch darüber verfasst hat, wie bio die Welt ernähren kann. "Bio ist kein Projekt für die Nische, bio ist die Alternative." Er klingt wie Häusling, nur in radikal.

"Die Frage ist nicht, ob bio massenkompatibel ist oder werden soll, sondern wie man möglichst vielen Menschen die Sinnhaftigkeit von ökologischen Lebensmitteln deutlich machen kann", sagt auch Michael Radau, der Geschäftsführer von SuperBioMarkt. Möglichst viel billige Bio-Ware sei sicherlich nicht der richtige Weg, aber deutlich mehr Umsatz sei durchaus noch möglich.

Wenn man Martin Häusling fragt, ob es realistisch ist, dass die Branche immer mehr Bio-Waren erzeugt, ohne ihre Grundsätze zu verraten, wird er zum ersten Mal an diesem langen Nachmittag unkonkret. "Also ich sag mal, wenn der ökologische Landbau eine Perspektive hat, ihm weiterhin politische Unterstützung gewährt wird und ihm Verbraucher zu Seite stehen, warum nicht?"

Die Sache ist nur, dass der ökologische Landbau dazu auch eine vernünftige Vermarktung braucht. Zwei Drittel des Geschäfts werden über große Lebensmittelketten abgewickelt, Bio-Supermarktketten liegen weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz, und jeder Hofladen hat eine natürliche Begrenzung. "Wenn ich bio für jeden erreichbar machen will, muss ich auch die Strukturen dafür haben", sagt Häusling, es klingt ein bisschen resigniert. Die Großhändler und Discounter dieser Republik sind gewiss keine Öko-Wohltäter. Aber ohne sie geht es eben nicht.

So ist der Streit ums neue EU-Öko-Gesetz eine Parabel auf die Lage der Bio-Branche. Hier wie dort geht es darum, die Balance zu halten: zwischen Etikettenschwindel und Reglementierungswut, Versuchungen und Überzeugungen. Je mehr Leute bio kaufen, desto besser ist die Alternative zur konventionellen Landwirtschaft. Und desto mehr sind die eigenen Prinzipien in Gefahr.

21.10.2015

5. Briefing zum Sachstand der EU-Öko-Verordnung

Im Folgenden finden Sie mein aktuelles Briefing zum Sachstand der EU-Öko-Verordnung sowie die verabschiedeten 30 Kompromisse zwischen den politischen Fraktionen, die bisher allerdings nur in englischer Sprache vorliegen.

- Briefing zum Sachstand der EU-Öko-Verordnung

- Kompromisse zur EU-Öko-Verordnung

19.10.2015

TAZ - Neue Regeln für Ökoprodukte - Aus für die EU-Bio-Agentur

BERLIN taz| Eine zentrale Kontrollstelle scheitert am EU-Parlament. Die sollte eigentlich in Betrugsfällen tätig werden und so das Vertrauen in die Branche steigern.

 Eine zentrale Bioagentur für die EU wird es wohl nicht geben: Das Europäische Parlament konnte sich bei seiner Abstimmung zur Reform der EU-Ökoverordnung in der vergangenen Woche nicht auf eine solche Kontrollstelle einigen. Sie war ein zentraler Punkt in dem Entwurf, den der Grüne Martin Häusling als Berichterstatter im Auftrag aller Fraktionen des EU-Parlaments vorgelegt hatte und sollte unter anderem in Betrugsfällen tätig werden.

Mit der Erneuerung der EU-Ökoverordnung will die EU-Kommission das Vertrauen von VerbraucherInnen in Bioprodukte stärken und Regeln vereinheitlichen. Noch ist der Reformprozess nicht abgeschlossen: Mit der jetzigen Abstimmung des Landwirtschaftsausschusses beginnen die Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Parlament für den endgültigen Entwurf.

Häusling hatte die Agentur unter anderem als Kontrollinstanz vorgesehen, die sich in Verdachtsfällen von Biobetrug einschaltet und über die Ländergrenzen hinweg Informationen dazu koordiniert. Bei den Skandalen in den vergangenen Jahren war das Fehlen einer solchen Stelle immer wieder bemängelt worden. Häusling beklagte nach der Abstimmung vor allem eine heftige Einmischung der EU-Kommission in die Meinungsbildung der Parlamentarier.

„Die Mehrheit im Agrarausschuss hat viele gute Kompromissanträge mitgetragen, obwohl die Kommission in den letzten Tagen auf unfaire Weise und am offiziellen Verfahren vorbei Abgeordnete in Einzelgesprächen unter Druck gesetzt hat, um bestimmte Kompromisse zu Grenzwerten und zur Einrichtung einer Agentur auf EU-Ebene zu verhindern“, schreibt Häusling in einer Stellungnahme. Es sei schon sehr ungewöhnlich, dass der Kommissar selbst drohe, er wolle die Verhandlungen platzen lassen, sagte Häusling der taz.
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Der Abgeordnete zeigte sich dennoch zuversichtlich: Die Bioagentur sei zwar in den Abstimmungen nicht durchgekommen, aber sowohl die Kommission als auch der Rat seien nun aufgefordert, in den Verhandlungen Vorschläge zu machen, wie die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten etwa in der Kontrolle verbessert werden könne.
Deutsche Biobranche kritisiert Pestizid-Klausel

Die deutsche Biobranche bewertet die Ergebnisse der Abstimmungen grundsätzlich positiv. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) kritisiert allerdings, dass die Parlamentarier sich zwar dagegen ausgesprochen haben, besonders niedrige Biogrenzwerte für Pestizidverunreinigungen einzuführen, mit einer Klausel aber der EU-Kommission die Möglichkeit offengehalten haben, das ab 2020 zu revidieren.

Diese speziellen Grenzwerte waren in der deutschen Branche äußerst umstritten. Ein Grund dafür ist, dass Biobauern fürchten müssten, dass der Wind Pestizide von nicht ökologisch bewirtschafteten Nachbarfeldern auf ihre Flächen weht – und sie die Grenzwerte trotz der eigenen Bemühungen nicht einhalten könnten und so ihre Zertifizierungen verlieren. Das EU-Parlament schaffe das Gegenteil von dem, was nötig sei, sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des BÖLW: „Wir brauchen Rechtsklarheit und Investitionssicherheit für die Betriebe und Unternehmen, die in die Bioproduktion einsteigen oder diese ausbauen wollen.“
Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW

„Wir brauchen Klarheit für Betriebe, die in die Bioproduktion einsteigen oder diese ausbauen wollen“

Häusling sagte dagegen, er glaube nicht, dass niedrigere Grenzwerte allein jemanden davon abhalten könnten, in die Bioproduktion einzusteigen. Ihm scheine der Preis, den die Landwirte etwa für einen Liter Biomilch bekommen, ein wichtigeres Argument. Ähnlich sieht das Norbert Lins, Bioexperte der konservativen EVP-Fraktion. Dass doch noch Grenzwerte eingeführt werden könnten, gefalle ihm nicht. Aber die Parlamentsposition sei klar: In der neuen Verordnung sollten keine besonderen Grenzwerte für Bio stehen. Die Befürchtungen seien also übertrieben.

Doch die Branche zweifelt nach wie vor. „Die Diskussion und die lang anhaltende Revision der Verordnung bringt Bio nicht nach vorn“, sagt BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig. Schon jetzt stellten immer weniger Bauern ihre Produktion neu um.

14.10.2015

topagrar - EU-Parlament verbessert Vorschlag zur neuen Öko-Verordnung deutlich

topagrar online - „Die EU-Abgeordneten haben am Dienstag ein positives Zeichen für Bio gesetzt“, so Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), zur beschlossenen Parlaments-Position zum neuen Bio-Recht.

„Viele bewährte Regeln des bestehenden Bio-Rechts sollen fortgeführt wurden. Es ist auch gut, dass sich die Europa-Abgeordneten gegen spezielle Bio-Grenzwerte bei Pestizid-Kontaminationen ausgesprochen haben“, betont Löwenstein. Der BÖLW kritisiert jedoch scharf, dass das EU-Parlament seinen eigenen Vorschlag gegen Bio-Grenzwerte mit einer Zusatzklausel infrage stellt, nach der bereits im Jahr 2020 Grenzwerte eingeführt werden könnten. „Das EU-Parlament schafft mit seiner widersprüchlichen Entscheidung zu Grenzwerten das Gegenteil von dem, was jetzt Not tut: Rechtsklarheit und Investitionssicherheit für die Betriebe und Unternehmen, die in die Bio-Produktion einsteigen oder diese ausbauen wollen“, betonte Löwenstein.
 
Löwenstein begrüßte, dass das bewährte System der Öko-Kontrolle beibehalten werden soll. Ebenfalls positiv bewertet der BÖLW-Vorsitzende, dass die EU-Abgeordneten sich auf eine Liste von Aufgaben geeinigt haben, mit der die Umsetzung des Bio-Rechts verbessert werden soll. Löwenstein begrüßt auch die Parlamentsposition zum Geltungsbereich und die Möglichkeit zu regionalen Anpassungen der Öko-Verordnung. Gut sind auch die Vorschläge für neue Regelungen zu Öko-Züchtung, Bio-Aromen und für eine bessere Waren-Rückverfolgbarkeit. Viele dieser Vorschläge wurden von Berichterstatter Martin Häusling eingebracht und fanden die Unterstützung des Parlaments.
 
Als enttäuschend bewertet der BÖLW die Position des EU-Parlaments zu Importen, die nicht zu mehr Sicherheit bei Bio-Einfuhren führen würden, sondern nur bewirken, eine Öko-Produktion in Ländern des Südens unsinnig zu erschweren.
 
Mit der Entscheidung des EU-Parlaments beginnt nun der Trilog, in dem der Gesetzentwurf final verhandelt wird. Löwenstein forderte Bundesminister Schmidt und Berichterstatter Martin Häusling auf, sich weiter für die substanzielle Weiterentwicklung des Bio-Rechts einzusetzen und bestehende Defizite im Trilog zu beheben. „Wer Bio in Europa voran bringen will, muss Rechts-unsicherheiten, die sich aus einer fortdauernden Debatte um spezielle Bio-Grenzwerte ergeben, dauerhaft ausschließen.“


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06.10.2015

Tagesspiegel - Öko-Landbau wehrt sich gegen härtere Auflagen

Tagesspiegel- Von Albrecht Meier

Die EU-Kommission plant für Bio-Produkte strengere Pestizid-Grenzwerte. Doch das Europaparlament macht nicht mit.

Wer Bio-Möhren auf den Speiseplan setzen will, muss nicht lange suchen. Im Supermarkt um die Ecke gibt es verpacktes „Bio-Suppengemüse“, das natürlich auch „Bio-Karotten“ enthält. Im Discounter liegen Möhren der Marke „Gut Bio“ im Regal. Und der Bio-Supermarkt ein paar Straßen weiter lässt sich sowieso nicht lumpen – hier können sich Kunden an gewaschenen Demeter-Karotten bedienen.

Das Geschäft mit Bio-Produkten boomt. Nach Angaben der EU-Kommission hat sich der Markt mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln im vergangenen Jahrzehnt vervierfacht. Das hat allerdings zur Folge, dass sich Kunden auch die Frage stellen, ob überall wirklich Bio drinsteckt, wo Bio draufsteht. Mehrere Skandale in der Branche haben das Vertrauen der Verbraucher erschüttert. In Italien wurden über Jahre hinweg mehr als 700 000 Tonnen Mehl, Soja und Trockenfrüchte als Bio- Waren verkauft, obwohl sie aus konventionellem Anbau stammten. Ende 2011 ließen italienische Beamte die Betrügerbande hochgehen, deren angebliche Bio-Produkte vor allem aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern kamen. Zuvor war ein Teil der Ware auch nach Deutschland gelangt.

Der Europäische Rechnungshof legte Mängel im Kontrollsystem offen

Im folgenden Jahr veröffentlichte der Europäische Rechnungshof dann einen Bericht, in dem Mängel im Kontrollsystem der Öko-Branche kritisiert wurden. Damit war das Maß für die EU-Kommission voll. Die Brüsseler Behörde nahm eine komplette Überarbeitung der europäischen Öko-Verordnung in Angriff. Dieses EU-Gesetz stammt ursprünglich aus dem Jahr 1991 und wurde bereits 2009 schon einmal überarbeitet. Es setzt einen Mindeststandard für die Öko-Produktion fest. Produkte, die diesen Standards genügen, bekommen das lindgrüne Öko-Siegel der EU – ebenjenes Siegel, das sich auch auf den Bio-Möhren im Supermarkt findet.

Im März des vergangenen Jahres präsentierte die Kommission nun ihren Entwurf für die Revision der Öko-Verordnung. „Die Kommission strebt nach mehr und besseren Bio-Erzeugnissen für die EU“, sagte der damalige Agrarkommissar Dacian Ciolos seinerzeit. Er rühmte die Arbeit seiner Behörde mit den Worten, dass das Paket zur Generalüberholung der geltenden Verordnung „Verbrauchern und Landwirten gleichermaßen“ zugutekomme. Doch vor allem die Öko-Bauern sehen das anders. Sie wittern bis heute hinter dem Brüsseler Gesetzespaket den Versuch, ihren Markt zu beschneiden.
Berichterstatter Häusling lehnt Gleichsetzung von "bio" und "schadstofffrei" ab

Und so folgte auf die Präsentation des Rumänen Ciolos ein langwieriger Gesetzgebungsprozess, an dem viele Akteure in Berlin und Brüssel mitwirken. In diesen Tagen kommt es im Europaparlament zum Schwur, wenn die Abgeordneten ihre Position zum Gesetzesentwurf der Kommission beschließen. Als Knackpunkt gilt der Vorschlag der Brüsseler Behörde, den Bio-Bauern strengere Grenzwerte bei den Pestiziden aufzuerlegen als den konventionellen Landwirten. Nach den Vorstellungen der Kommission soll ein Produkt nur noch dann als „bio“ vermarktet werden können, wenn ein ähnlich niedriger Schwellenwert wie bei der Babynahrung eingehalten wird. „Es wäre problematisch, wenn man ,bio‘ als ,schadstofffrei‘ definieren würde“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling.
Am Mittwoch wollen die Experten im EU-Parlament eine gemeinsame Linie festzurren

Häusling ist als Berichterstatter zur Revision der Öko-Verordnung dafür verantwortlich, für das gesamte EU-Parlament eine Position zum Kommissionsvorschlag auszuarbeiten. Am kommenden Mittwoch will er sich in Straßburg mit den Kollegen treffen, die in den anderen Fraktionen für das Dossier zuständig sind. „Wir wollen die beiden großen Fraktionen mitnehmen“, sagt Häusling und meint damit die konservative Europäische Volkspartei (EVP) sowie die Sozialdemokraten. Wenn alles glatt läuft, soll Häuslings Stellungnahme im Agrarausschuss am 13. Oktober eine Mehrheit finden. Danach kann in einem Schnellverfahren der sogenannte Trilog zwischen EU-Kommission, den europäischen Agrarministern und dem Europaparlament beginnen, in dem die Neufassung der Öko-Verordnung weiter festgezurrt wird.

Der gelernte Landwirt Häusling kann darauf zählen, dass er im EU-Parlament viel Unterstützung findet für seine Ablehnung strengerer Grenzwerte bei den Erzeugnissen der Öko-Landwirtschaft, für die der Verzicht auf synthetische Pestizide ohnehin zum Credo gehört. „Es soll keine separaten Schwellenwerte für Bio-Produkte geben“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins, der in der EVP-Fraktion für die Neufassung der Öko-Verordnung zuständig ist.
Öko-Verband hat nichts gegen Stichproben

Ähnlich sieht das auch Felix Prinz zu Löwenstein. Der Präsident des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat nichts gegen Laboranalysen, die dabei helfen können, möglichen Betrügereien auf die Spur zu kommen. Solche Stichproben sind bereits nach der gegenwärtigen Fassung der Öko-Verordnung vorgeschrieben. Die Einführung eines eigenen Grenzwerts für ökologisch erzeugte Lebensmittel hält Löwenstein aber für verfehlt. „Wenn ich sage, dass bei Bio-Bauern nichts drin sein darf, dann heißt das letzten Endes, dass es keinen Bio-Landbau geben darf“, warnt der Verbandschef. Schließlich sei es nicht auszuschließen, dass auch das Feld eines Bio-Bauern durch den Nachbarn, der konventionell wirtschaftet, mit Pestiziden kontaminiert werde. Ein solches Risiko trügen etwa Bio-Weinbauern, deren Betriebe häufig vergleichsweise klein sind.
Weltweiter Standard nach EU-Vorbild wird abgelehnt

Probleme hat Löwenstein auch mit einem anderen Punkt der Revision der EU-Kommission. Dort geht es um eine strengere Kontrolle von Bio-Lebensmitteln, die aus Drittländern außerhalb der EU importiert werden. Auch diese Importe sollen nach dem Willen der Kommission künftig nach den geltenden EU-Standards kontrolliert werden. Einerseits findet es Löwenstein vernünftig, dass die EU-Behörde nicht an der geltenden Regelung rütteln will, der zufolge Lebensmittel ohne Einschränkungen aus den Nicht-EU-Ländern eingeführt werden, deren Kontrollvorschriften den EU-Standards entsprechen. Die gilt beispielsweise für Lieferungen aus Costa Rica, der Schweiz oder den USA. Welche Öko-Richtlinien sollen aber beispielsweise gelten, wenn Ananas aus Uganda importiert werden, wo es keinen unmittelbar mit der EU vergleichbaren Standard gibt? „Die EU-Kommission hat mittlerweile selbst kapiert, dass dies nicht möglich ist“, sagt Löwenstein. Statt einer weltweiten Angleichung der Prüfmethoden nach EU-Vorbild schlägt er vor, dass sich die Europäische Union künftig an den Standards der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) orientieren solle, die in den einzelnen Weltregionen voneinander abweichen.

Löwenstein versteht ohnehin nicht, dass sechs Jahre nach der letzten Überarbeitung der Öko-Verordnung jetzt wieder eine Novelle ansteht. Die Revision, so lautet sein Fazit, habe einen „enormen Aufwand und Rechtsunsicherheit für die Öko-Branche“ zur Folge.

 

20.09.2015

WELT am Sonntag - Die Biostrophe: Was ist noch bio?

WELT am Sonntag - Von Céline Lauer und Carsten Dierig

Nie haben sich Bio-Lebensmittel so gut verkauft wie heute. So groß der Erfolg ist, so schlecht sind die Kontrollen. Nun will die EU ein neues Öko-Gesetz erlassen – zum Entsetzen der gesamten Branche. Es geht um verzweifelte Bauern, anspruchsvolle Verbraucher, viel Geld und die Frage: Kann Bio-Ware Massenware sein?

Am Ende eines sehr heißen Tages steht Martin Häusling in seinem Feld und kämmt mit den Händen zufrieden durch den Roggen. Satte Ähren wogen um seine Brust, hinter ihm erstrecken sich sanft gewellte Hügel, die Sonne tränkt das nordhessische Idyll in orangegoldenes Licht.

Die Szene wirkt werbetauglich: regionale Landwirtschaft, bodenständig und traditionell. Mit garantiert schadstofffreiem und schonend angebautem Öko-Getreide. Geerntet vom glücklichen Bio-Bauern. Der Haken ist nur, dass Häuslings Roggen nun bedroht wird. Die Gefahr kommt vom Getreidefeld nebenan.

Mit ein paar Schritten überquert Häusling einen staubigen Feldweg, stellt sich in den Weizen des Nachbarn und schiebt die Halme auseinander. Wo bei ihm zwischen dem Roggen Kamille, Klatschmohn und Kornblumen blühen, wächst hier: nichts. Häuslings Nachbar baut das Getreide nach konventionellen Methoden an, das heißt auch: Er spritzt Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel. Bisher hatte Häusling damit kein Problem, jedenfalls kein wirtschaftliches.

Doch nun will die EU ein neues Gesetz. Es geht darum, was künftig noch bio ist. Wenn dieses Gesetz kommt, wie es die Kommission vorgeschlagen hat, dann wird es dramatische Folgen haben. Für Bauern wie Häusling, für Supermärkte, Drogerien, Tankstellen, für die Nahrungsmittelindustrie und auch für Menschen, die gerne mehr Geld für das Gefühl ausgeben, sich gut zu ernähren. Das Wort "bio" könnte schon bald für nichts weiter stehen als für eine schöne Illusion.

Bisher steht es für das Versprechen, mit dem Kauf eines Apfels, von Eiern oder einem Hähnchenfilet etwas Gutes zu tun. Sich selbst, der Umwelt, den Tieren auf der Weide. Dieses Versprechen ist immer mehr Geld wert. Von Jahr zu Jahr füllen die Waren mit dem EU-Bio-Siegel mehr Regale. Und das längst nicht mehr nur in Bio-Läden und Reformhäusern, sondern längst auch in Supermärkten. Discounter wie Aldi, Lidl oder Netto haben das lukrative Geschäft entdeckt, Tankstellen und Drogerien auch.

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr mehr Geld für Biolebensmittel ausgegeben als irgendwer sonst in Europa: 7,91 Milliarden Euro. Nie zuvor gab es hierzulande so viele Bio-Betriebe, nie haben die Händler mehr Umsätze gemacht, nie gab es so viel Anbaufläche für Bio-Produkte. So besagen es die Zahlen des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Und nie zuvor gab es so viele Produkte, die "Bio" heißen. Mit "Biotrend", "Prima Bio" oder "BioBio" haben Supermärkte und Discounter eigene Öko-Marken eingeführt – die zwar alle unterschiedliche Namen und Logos tragen, aber letztlich ein und demselben Standard entsprechen: den Kriterien der EU-Öko-Verordnung.

Diese Kriterien will die EU jetzt radikal verändern. Sie hat eine Überarbeitung dessen vorgelegt, was künftig in der Bio-Landwirtschaft aller 28 EU-Staaten erlaubt sein soll. Manche der neuen Regeln sind derart streng, dass Öko-Bauern verzweifeln. Zum Beispiel die Einführung von Sondergrenzwerten nahe der Rückstandsfreiheit: Wenn der Wind auf Häuslings Feld nur winzigste Spuren vom Pestizid seines Nachbarn weht, dann wäre Häuslings Bio-Roggen nicht mehr bio.

Die Branche befürchtet daher, dass die EU-Novelle viele Öko-Landwirte zum Aufgeben zwingen wird. Und dann lägen in den Supermarktregalen künftig viel weniger Bio-Produkte – oder aber viel mehr Bio-Produkte, von denen man nicht weiß, was an ihnen bio ist.

Der Erfolg der Bio-Waren ist zu einem ernsten Problem geworden. Die Nachfrage ist groß, die Kontrollen sind aber nur dürftig. Masse statt Klasse. Weil die Verbraucher nicht auf ihr gutes Gewissen und die Händler nicht auf ihr gutes Geschäft verzichten wollen, werden Waren importiert, für deren Qualität keiner garantieren kann.

Dagegen kämpft Häusling seit Monaten. Er will ein gutes Gesetz, vor allem aber will er eine Antwort auf die entscheidende Frage: Wie ähnlich darf Bio-Landwirtschaft der konventionellen Landwirtschaft werden? Oder: Wie massenkompatibel kann bio sein, ohne dass es am Ende nichts weiter ist als ein Wort, mit dem Hersteller ihre Ware besser und teurer verkaufen können?

Häusling kennt das EU-Bio-Recht wohl wie kaum ein Zweiter in Deutschland. Er ist nicht nur Bio-Landwirt, sondern auch Politiker, Grüner, Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit September vergangenen Jahres ist er der oberste amtliche Kritiker der geplanten Öko-Verordnung. Im Brüsseler Technokratensprech heißt das: Berichterstatter für den Parlamentsentwurf zur Reform der Öko-Verordnung. Das bedeutet, dass er federführend im Namen des EU-Parlaments einen Gegenvorschlag zur geplanten Öko-Verordnung entwirft. Er ist derjenige, der sie verhindern soll – jedenfalls in der Form, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat.

Häusling soll die vielen unterschiedlichen Positionen aller anderen Beteiligten sammeln, prüfen und eventuell berücksichtigen. Sie kommen zum Beispiel aus den Fraktionen im EU-Parlament, aus der Bundesregierung und aus den anderen Mitgliedsstaaten. Sie kommen außerdem von Wirtschafts-, Umwelt- und Lobbyverbänden, dem Deutschen Bauernverband etwa, dem Naturkostverband. Oder dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der befürchtet: Chaos und Rechtsunsicherheit. Sein Präsident Felix Prinz zu Löwenstein sagt, es habe viele Jahre gedauert, bis die letzte Novelle in der Praxis angekommen sei. "Jetzt geht dieser mühsame Prozess komplett von vorne los." Das werfe die Branche zurück und verhindere Investitionen. Es ist keine Einzelmeinung, sondern das, was die Vertreter fast aller Gruppen sagen, deutscher und internationaler, so unterschiedlich ihre Interessen sein mögen.

Die erste europäische Bio-Verordnung stammt aus dem Jahr 1990. Darin ist detailliert festgelegt, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit ein Hersteller sein Produkt bio nennen darf. Im Jahr 2009 setzte die EU ein überarbeitetes Gesetz in Kraft. Nun, nach fünf Jahren, soll es wieder komplett reformiert werden. Weil der Markt viel schneller gewachsen ist als gedacht, weil die Gesetze deshalb schon wieder veraltet und außerdem zu kompliziert sind und vor allem deshalb, weil das Kontrollsystem nicht funktioniert und das Vertrauen der Bürger in die Bio-Branche darunter leidet. So zumindest begründet die EU-Kommission die geplanten Neuerungen.

Im Prinzip, sagen die Landwirte und Lobbyisten, habe die EU ja recht. Nur seien ihre Pläne ganz und gar ungeeignet, weil sie an den falschen Stellen ansetzten. Häuslings Aufgabe ist es nun, den größten gemeinsamen Nenner aller Lager herauszuarbeiten. Und damit im Grunde, so sagen manche, den ungeliebten EU-Entwurf wieder auf den Stand von 2009 "zurückzuschreiben".

Was ihn antreibt, lässt sich am besten in Bad Zwesten, Ortsteil Oberurff, herausfinden, einem Örtchen auf halber Strecke zwischen Marburg und Kassel. Hier draußen, am Rande eines Nationalparks, führt Häusling seinen Kellerwaldhof in zweiter Generation. Häusling, ein braun gebrannter und sehniger Mittfünfziger, empfängt in T-Shirt und eingestaubten Jeans. Es ist weit über 30 Grad, der Hofherr führt vor dem Gespräch trotzdem erst mal über sein Anwesen: in die Laufställe, an die Weide, zur Futterstation mit Kraftfutter aus eigenem Anbau und Fressplatz für jede Kuh. Es ist ihm wichtig, zu zeigen, was das bedeutet: Bio-Bauer zu sein.

Häusling ließ sich zum Agrartechniker ausbilden, 1987 übernahm er den Betrieb vom Vater, ein Jahr später stellte er den Hof auf Bio um – bevor es so etwas wie deutschland- oder EU-weite Öko-Regelungen gab. Sein Vater, sagt Häusling und grinst, sei ja nicht so begeistert gewesen: "Er meinte: 'Junge, das kannst du doch nicht machen, dann geht alles verloren!'" Häusling ließ sich nicht beirren, weder vom Vater noch von den Kollegen. "Zu Beginn hieß es immer, wenn die Ernte gut war: Der hat doch heimlich gespritzt. Und wenn sie nicht gut war: Siehste, das haste nun davon."

Mit der Erfahrung kam der Erfolg. Vor Kurzem hat Martin Häusling den Betrieb an seinen ältesten Sohn übergeben; er bespricht jeden Morgen mit ihm, was getan werden sollte, und packt am Wochenende mal mit an, wenn er aus Brüssel oder Straßburg zurückkommt. Mehr einmischen will er sich aber nicht, dazu fehlt ihm auch die Zeit.

Häusling will nicht einfach etwas verhindern. Er will etwas schaffen: eine neue EU-Öko-Agentur, die Bio-Waren aus aller Welt kontrolliert. Und er will die "Industrialisierung der Branche" aufhalten, den Trend zur Bio-Massenproduktion. Auch da läuft ja momentan einiges schief. Und das hat vor allem in Deutschland viel mit dem Erfolg von Bio-Lebensmitteln zu tun.

Die Geschäfte brummen, auch Häusling kann nicht klagen. Auf seinem Roggenfeld erntet er kaum weniger als sein Feldnachbar, der in herkömmlicher Landwirtschaft arbeitet. Mit Hafer und Weizen ist es ähnlich. Er ernte 70 bis 80 Prozent der Menge, die der Nachbar ernte, erziele aber meist den doppelten Verkaufspreis bei Getreide, rechnet Häusling vor. Viel wichtiger allerdings ist für ihn das Geschäft mit der Milch. Häusling hat den Betrieb ganz auf die Milchviehhaltung ausgerichtet. Ackerbau und Schweinehaltung laufen eher nebenbei.

Seine Herde umfasst rund 80 bunt gescheckte Tiere, die Usambara, Tortilla oder Urmel heißen und zu ihm trotten, wenn Häusling sie mit Namen ruft. Von den 400.000 Liter Milch, die sie pro Jahr geben, lässt er ein Viertel in der hofeigenen Käserei verarbeiten. Den Großteil verkauft er an eine Bio-Molkerei, von der auch Großhändler ihre Ware beziehen. Die Milch vom Kellerwaldhof gibt es also nicht nur im Hofladen, sondern auch in Supermärkten. Das ist schön für Häusling. Für Bio-Milch zahlten die Molkereien im Juni rund 46 Cent pro Kilogramm – Milch wird grundsätzlich in Kilogramm abgerechnet. Konventionelle Milchbauern bekamen da gerade mal 29 Cent pro Kilo. Im Supermarktregal steht seine Milch jedoch nicht nur neben konventioneller Milch, sondern auch neben importierter Bio-Milch, meist aus Österreich oder Dänemark. Der Bio-Bedarf ist hierzulande derart groß, dass er mit deutschen Waren längst nicht mehr gedeckt werden kann.

Und das, obwohl selbst Politik und Wirtschaft den Öko-Trend für sich entdeckt haben. Das Bio-Handelsunternehmen Alnatura beispielsweise subventioniert Landwirte, die auf bio umstellen wollen, mit einer neuen "Bio-Bauern-Initiative", und das bayerische Landwirtschaftsministerium will die Ökoproduktion bis 2020 verdoppeln. Trotz aller Mühen stöhnen manche Händler über Lieferengpässe.

Die Verbraucher freut's: Noch nie war es so einfach, an eine derart große Auswahl erschwinglicher Bio-Lebensmittel zu kommen. Selbst den Fachhandel stört die Konkurrenz aus der Billigecke nicht. Denn bis jetzt gibt es für alle genug Geld zu verdienen. "Ich freue mich über jedes verkaufte Bio-Produkt", sagt etwa Michael Radau, Inhaber und Geschäftsführer von SuperBioMarkt aus Münster. Mit 600 Mitarbeitern, 23 Filialen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie 51,2 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr zählt sein Unternehmen zu den führenden Bio-Handelsketten Deutschlands. Einen Großteil der Erlöse verdient seine Firma mit Ware, die sie aus dem Ausland importiert. Wie viel, das sei saisonal sehr schwankend, sagt Radau. Bei Obst und Gemüse etwa sei der Anteil heimischer Ware aktuell sehr hoch; im Winter werde das weniger. Eier und Milchprodukte wiederum stammen bei SuperBioMarkt komplett aus Deutschland.

Bio aus Deutschland, das ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Drittel der Bio-Milch im deutschen Handel, so rechneten die Grünen im Bundestag unlängst vor, kommt aus dem Ausland. Gleiches gilt für Äpfel, Tomaten oder Frühkartoffeln – alles Lebensmittel, die hierzulande zwar auch ökologisch angebaut werden, nur eben viel zu wenig für den großen Bedarf. Die biologisch bewirtschaftete Fläche in Deutschland mag stetig wachsen, dennoch nimmt sie bislang nur rund sechs Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche ein. Ein Großteil der Produkte muss also aus dem Ausland eingekauft werden. Und wenn ein Kunde Bio-Ware kauft, landet oftmals Importware aus Spanien, Ägypten oder Neuseeland im Einkaufswagen.

Spätestens hier wird der Begriff "bio" problematisch. Welche Qualität die Importware tatsächlich hat, lässt sich selten im Detail nachvollziehen. Das hat viel mit einem fehlerhaften Kontrollsystem zu tun, teilweise aber auch mit dem Bio-Siegel selbst.

Nach jetziger Definition bedeutet etwa das EU-Bio-Siegel auf Äpfeln, Möhren und Tomaten bloß eines: Sie sind schadstofffrei. Wie ökologisch korrekt dagegen zum Beispiel der CO2-Fußabdruck eines Bio-Apfels ist, der ein halbes Jahr in einem energiefressenden Kühlhaus gelagert wurde, fällt dabei nicht ins Gewicht.

Die EU berücksichtigt außerdem nicht, dass viele deutsche Bauern meist noch einem Bio-Verband wie Demeter oder Bioland angehören und ihre Betriebe entsprechend nach Regeln führen, die deutlich strenger als die EU-weiten Mindeststandards ausfallen. Das bedeutet zum Beispiel: Fruchtfolgen müssen eingehalten, Boden, Wasser und Luft möglichst schonend behandelt werden. In Spanien dagegen werden die Öko-Tomaten mit immensem Wasserverbrauch und unter kilometerlangen Plastikplanen gezüchtet. Ohne Pestizide und Herbizide, aber dafür mit massiven Eingriffen in Landschaft und Umwelt. Verbände wie der BUND empfehlen deshalb, lieber gleich nach Produkten zu greifen, die auch das Siegel eines Anbauverbandes tragen – weil das EU-Logo allein keine ökologische Qualität garantiert.

Denn vorm Supermarktregal sind alle Bio-Produkte gleich. Auch die Importe aus Ländern außerhalb der EU, deren Kontrolle mit jedem Kilometer, den sie zurückgelegt haben, schwieriger wird. Und deren Anteil mit der Öko-Verordnung, wie sie die EU-Kommission einführen möchte, womöglich noch höher würde.

So befürchtet die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), in der sich Naturkosthersteller und Großunternehmen wie Ritter Sport, Bionade und Hipp zusammengeschlossen haben, schon eine "Verknappung" der in Europa erzeugten Bio-Lebensmittel. Denn vor allem kleinere Landwirte und Unternehmen würden durch unsinnige Auflagen in ihrer Existenz gefährdet. "Würde dieser Vorschlag so umgesetzt", so steht es in einer AöL-Pressemitteilung, "gäbe es weniger Bio-Bauern und Bio-Verarbeiter – und in den Regalen lägen weniger Bio-Produkte."

Und dann gibt es immer wieder Fälle, in denen das Bio-Siegel auf Gemüse oder Eiern auftaucht, obwohl diese ganz konventionell produziert wurden: klassischer Etikettenschwindel.

"Je mehr die Branche wächst, desto höher ist ihre Anfälligkeit für nicht saubere Arbeit", sagt Häusling. "Deshalb ist es so wichtig, die Kontrolle zu verbessern. Und da gibt es zugegebenermaßen manchmal Lücken." Häuslings Lieblingsbeispiel dafür sind belastete Sonnenblumenkerne aus der Ukraine. Er hat diese Geschichte oft erzählt, doch an diesem heißen Sommertag klingt es, als könne er es noch immer nicht fassen.

Die vermeintlichen Bio-Sonnenblumenkerne, so erzählt er, wurden 2014 aus der Ukraine nach Rotterdam importiert und dort in Bio-Hühnerfutter gemischt. Die holländische Behörde stellte darin Schadstoffe fest. Doch sie fand in der EU-Öko-Verordnung keinen passenden Grenzwert dazu. In den Bio-Eiern der Hühner, die die Kerne gefressen hatten, waren aber keine Schadstoffe nachweisbar. Ungefährlich also, befanden die Holländer und beließen es dabei – ohne ihre Informationen an andere betroffene Länder weiterzugeben. Das sieht das EU-Gesetz auch nicht vor.

Das Futter gelangte nach Niedersachsen, und die deutschen Behörden schlugen sofort Alarm: Grenzwert hin oder her – das gesamte Mischfutter musste vom Markt genommen werden, und Bio-Betriebe durften keine Eier mehr liefern. "Das hat dazu geführt, dass innerhalb einer Woche zehn Prozent der deutschen Bio-Eier-Produktion stillgelegt wurden", sagt Häusling. Damit die Nachfrage in Deutschland bedient werden konnte, haben die Holländer dann Bio-Eier exportiert. Und zwar Eier von Hühnern, die das belastete Futter gefressen hatten. "Ein Treppenwitz", sagt Häusling. Für ihn ist der Fall ein Beispiel dafür, wie aus einem gut gemeinten Gesetz ziemlich großer Unsinn werden kann.

Ein Gesetz, das in jedem Mitgliedsland anders ausgelegt wird, dazu Landwirte mit ein bisschen krimineller Energie, die ihre Erzeugnisse einfach als Bio-Ware exportieren: Viel mehr braucht es derzeit nicht, um die EU-Kontrollen zu umgehen.

Häusling sitzt auf der Kante seiner Wohnzimmercouch, verschränkte Arme, Oberkörper weit vorgebeugt. Der Landwirt und der Politiker, das ist bei ihm immer eins gewesen. Erst engagierte er sich in einer Bürgerrechtsbewegung, als im Nachbardorf ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte; mit Parteigründung trat er den Grünen in Hessen bei, ein Überzeugter der ersten Stunde.

1999 kandidierte er für die Bürgermeisterwahl, holte sofort 20 Prozent der Stimmen. Später saß er sechs Jahre lang im hessischen Landtag, 2009 ging er nach Brüssel und wurde Agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA. "Die entscheidenden Weichen für die Agrarpolitik", sagt Häusling, "werden halt auf EU-Ebene gestellt, nicht in Wiesbaden."

Und das versucht er jetzt, das ist sein Auftrag. Erstens kennt er alle Vorschriften und Verordnungen aus der Praxis – nicht nur vom Papier. Das verschafft ihm Gehör. Zweitens kann er gut reden und veranschaulichen. Zu nahezu jedem Paragrafen, den er in der Vorlage der EU-Kommission kritisiert, hat er ein Beispiel zur Hand. Sei es das "mare del plastico", unter dem die spanischen Tomaten gezüchtet werden oder die "Apfelbaumwüste" in Südtirol, wo die Bio-Bauern wegen des intensiven Obstbaus auf engstem Raum die geplanten Sondergrenzwerte für Pestizidbelastung besonders fürchten. Das macht seinen Kompromiss für alle Beteiligten greifbar – und lässt die technokratischen Vorschläge der Kommission teilweise noch realitätsfremder erscheinen.

Wie überzeugend Häusling sein kann, zeigte sich Ende Juni an einem verregneten Dienstag in Berlin. Dort hatte das Informationsbüro des Europäischen Parlaments zum "Dialog mit dem Berichterstatter" geladen, um Lobbyverbände und andere Interessensgruppen über seinen Kompromissvorschlag diskutieren zu lassen. Zwei Dutzend Vertreter waren gekommen, sie füllten den Konferenzraum mit Blick aufs Hotel "Adlon" bis auf den letzten Platz. Häusling, nun in Hemd und Jackett, nahm am Kopfende Platz, machte ein Witzchen über das Wetter, dann redete er drauflos. Kritisierte, erläuterte, fasste zusammen. Vor allem aber legte er immer wieder den Finger auf die Schwachstellen, die sich die EU-Kommission seiner Meinung nach in ihrer Vorlage erlaubt hat.

Die Sondergrenzwerte etwa, die in der Realität kaum ein Bio-Bauer einhalten könne, "außer wir bauen nur noch in sibirischen Reinluftgebieten an". Die Klausel, wonach ab 2021 EU-weit nur noch Öko-Saatgut verwendet werden soll, obwohl die osteuropäischen Staaten in Sachen Bio-Landwirtschaft noch um 20 Jahre hinterherhinken – und diese Saatgutversorgung gar nicht leisten könnten. Oder das Vorhaben, die jährlichen Kontrollen von Bio-Betrieben abzuschaffen, dafür aber mehr Risikokontrollen durchzuführen. Und zwar auch dort, wo nur abgepackte Bio-Lebensmittel verkauft werden. "Also von mir aus muss eine Tankstelle nicht öko-zertifiziert werden, nur weil sie Bio-Milch verkauft", sagte Häusling und erntete den nächsten Lacher. "Aber die jährlichen Kontrollen der Erzeuger sind wesentlicher Bestandteil des Verbrauchervertrauens. Die muss es einfach weiterhin geben."

Die Diskussionsrunde hatte viel von einer Feuerprobe. Mit Häusling am Kopfende saßen die Referatsleiterin für Ökologischen Landbau im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie der Geschäftsführende Vorstand der AöL. Im Publikum: Vertreter von Interessengruppen wie dem Deutschen Bauernverband und Fachjournalisten. Eine ganze Riege möglicher Kritiker aus Politik, Wirtschaft, Medien und Lobbyverbänden also. Doch an diesem Nachmittag erntete Häusling nur eines: Wohlwollen. Der Vertreter des Bauernverbands bedankte sich; die Referatsleiterin lobte, es sei gelungen, fast alle deutschen Kernanliegen im Kompromissvorschlag zu verankern. Vor allem aber gebe es "von Herrn Häusling interessante und innovative Ansätze".

Der innovativste Ansatz ist die "EU-Öko-Agentur". Sie soll seine Lösung für fehlende Kontrolle und mangelnden Datenaustausch sein. Damit sich solche Fälle wie die ukrainischen Sonnenblumenkerne nicht wiederholen, will Häusling ein zentrales Meldesystem schaffen. Eine unabhängige Instanz, die transparent macht, woher welche Ware importiert und wohin sie weiterverkauft wurde. Sie soll Verstöße wie Schadstoffbelastungen registrieren, entscheiden, wie damit umgegangen wird, und wenn nötig alle 28 Mitgliedsstaaten warnen.

Die Öko-Agentur ist aus Häuslings Sicht auch deshalb so nötig, weil das Problem mit den Bio-Kontrollstellen nicht an den Grenzen der EU endet. Gerade bei den sogenannten Drittland-Importen, zum Beispiel von Südfrüchten oder Kaffee, funktioniert die Überwachung in Häuslings Worten "suboptimal". Auch weil es derzeit mehr als 60 verschiedene Importstandards gibt.

Die EU-Kommission hat dieses Problem und etliche andere Probleme erkannt. Sie glaubt auch, sie habe eine Lösung parat. Nur ist diese Lösung, genau wie die geplante Vorschrift für Häuslings Roggenfeld, allenfalls auf dem Papier praktikabel. So jedenfalls sehen es die vielen Kritiker.

Denn nach dem Willen der EU-Kommission sollen die Lieferländer künftig am besten gleich die EU-Standards für Bio-Landwirtschaft übernehmen. Die neuen Schadstoffgrenzwerte und Ökosaatgut-Verordnungen würden dann beispielsweise auch für den Kakaobauern in Burkina Faso gelten. Ein Vorschlag, über den Häusling nur den Kopf schütteln kann. "Bei allem Verständnis für den Schutz der EU-Verbraucher, aber die Landwirte in Westafrika können jetzt nicht von einem Tag auf den anderen die Regeln einhalten, mit denen wir in der EU seit 30 Jahren gearbeitet haben."

Häusling will stattdessen für bestimmte Regionen Anbauregeln definieren. Die sollen der Maßstab für Kontrollen sein. Und deren Kontrolle soll die "Öko-Agentur" für alle EU-Staaten transparent machen. Gerade bei der Umsetzung aber, das weiß auch Häusling, könnte es schwierig werden. Die Agentur braucht Geld und Personal, damit sie effektiv arbeiten kann. "Nicht neue Regeln, sondern eine konsequente Umsetzung schafft Sicherheit", sagt etwa BÖLW-Präsident Löwenstein.

In diesem Herbst steht für Häusling ein wichtiger Termin an, der sogenannte Trilog. Dabei kommen Vertreter der EU-Kommission, des Agrarrats und des EU-Parlaments zusammen und verhandeln über die finale Version der Öko-Neuverordnung – und damit auch über seinen Vorschlag. Der Agrarrat, bestehend aus allen 28 EU-Agrarministern, hat bereits einen eigenen Vorschlag vorgelegt; in vielem stimmt er mit Häuslings Plänen überein. Dennoch schätzen Beobachter, dass es noch bis weit ins Jahr 2016 hinein dauern wird, bis eine Entscheidung fällt. Doch selbst wenn sich alle Lager auf eine Öko-Agentur einigen würden, könnte das Vorhaben schnell scheitern: an den Bio-Landwirten, die jetzt schon über die rigiden Kontrollen und den Papierkram stöhnen.

Ja, klar, sagt Martin Häusling zu Hause in seinem Wohnzimmer. "Noch 'ne Behörde, und dann auch noch aus Brüssel – das wirkt für viele erst mal abschreckend." Dabei könnte die Agentur auch in München sitzen und "Clearing-Stelle" heißen, wenn es nach ihm ginge. Eine unabhängige Instanz, die die Arbeit der Kommission begleitet, aber keinem Bereich verpflichtet ist. An die 50 Fachleute, die in einem Büro sitzen und die Bio-Branche mit Sachverstand und Erfahrung durch Krisen wie den Grenzfall mit den Sonnenblumenkernen navigieren. So stellt er sich das vor.

Jochen Neuendorff von der Gesellschaft für Ressourcenschutz (GfRS) dagegen hält diese Agentur für überflüssig. "Herr Häusling gibt sich alle erdenkliche Mühe, und seine EU-Öko-Agentur war sicher gut gemeint", sagt er. "Aber letztlich ist sie so unnötig wie ein Kropf." Neuendorff ist GfRS-Geschäftsführer und damit der Chef einer von 18 Öko-Kontrollstellen in Deutschland, "so eine Art TÜV oder DEKRA", wie er sagt. Nur sind seine Kontrolleure nicht für Fahrzeuge, sondern für 3000 der insgesamt rund 39.000 deutschen Öko-Betriebe und Unternehmen zuständig. Nach festgelegten Standards prüfen sie etwa große Handelsketten wie Edeka, Rewe und Metro, die Öko-Waren verkaufen. Oder sie fahren raus aufs Land zu Bio-Bauern und nehmen jedes Jahr aufs Neue deren Höfe unter die Lupe. Die GfRS prüft und zertifiziert Öko-Produkte seit 1989, sie ist damit eine der ältesten Kontrollstellen des Landes.

Jochen Neuendorff kann entsprechend viel Erfahrung vorweisen; er arbeitet seit rund 20 Jahren in diesem Beruf. Der gelernte Agraringenieur verwaltet nicht nur, er prüft auch selbst. "Entscheidend ist nicht, was auf dem Papier stattfindet, sondern auf dem Acker", sagt er. "Ich befürchte, dass in dieser Agentur viele Leute vortrefflich Bürokratie betreiben werden, ohne dass was Sinnvolles dabei rauskommt." Die meisten Betrugsfälle, mit denen es seine Leute zu tun bekämen, seien von langer Hand und sorgfältig geplant: "So was kriegen Sie nicht über Formalien aufgedeckt."

Am meisten aber stört ihn, dass der Öko-Agentur eine bunte Vielfalt an Aufgaben übertragen werden soll. Tatsächlich wirkt die lange Liste an manchen Stellen fast beliebig. "Wenn man Verbesserungen erreichen will, muss man genau überlegen, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist", sagt Neuendorff. "Das fehlt mir bei Herrn Häuslings Vorschlag komplett."

Der Kontrolleur erklärt es an den Sonnenblumenkernen, Häuslings Lieblingsbeispiel: Anstatt nur die Krisenkoordination fürs nächste Mal zu optimieren, wäre es viel wichtiger, dafür zu sorgen, dass Pseudo-Bio-Ware die Ukraine künftig gar nicht erst verlässt. Und das geht nach Neuendorffs Ansicht nur mit einer systematischen und dichten Kontrolle der Produzenten im Drittland – und einer gezielten Überwachung von deren Kontrollstellen: "Aber dazu wird es nie kommen." Stattdessen, so befürchtet er, könnte nun der "bürokratische Moloch" einer Öko-Agentur die deutschen Bauern vollends demotivieren – und die gesamte Bio-Branche einen Kollateralschaden erleiden.

Häusling ist da optimistischer. Was ihm hingegen ernstlich Sorgen bereitet, ist die "Konventionalisierung". Die Bio-Produktion im großen Stil, sozusagen, das Dilemma seiner Branche. Zwar haben Öko-Lebensmittel auch im Jahr 2015 nur einen Marktanteil von rund sechs Prozent – Verbraucherorganisationen wie Foodwatch sprechen deshalb von einer "Nische". Aber diese Nische ist so groß, dass die Branche riskiert, zum Opfer ihres Erfolges zu werden. Das Geschäft läuft gut für die Produzenten, Händler und Lobbyisten. Zu gut, um öffentlich über grundsätzliche Bedenken zu sprechen. Und das trotz allen Schwierigkeiten mit dubioser Importwarte, knallharten Grossisten und restriktiven EU-Regelungen.

Bio, sagt Martin Häusling, sei für ihn vor allem immer Alternative zur konventionellen Landwirtschaft gewesen. Und deren größtes Ziel ist: Ertragssteigerung. Öko-Bauern, so könnte man sagen, entscheiden sich bewusst gegen diesen Leistungsdrang, weil sie eine Form von Landwirtschaft wollen, die ohne Antibiotika auskommt, ohne Pestizide, Überdüngung und chemisch-synthetisch behandeltes Saatgut. Aber natürlich wollen die Bio-Bauern auch Geld verdienen. Also müssen sie für ihre Produkte mehr Geld verlangen, weil sich die Bio-Landwirtschaft sonst nicht für sie rechnet.

Häuslings Käserei ist ein gutes Beispiel dafür, wie kosten- und zeitintensiv Bio-Produktion sein kann. In seinem Hofladen liegen fast 20Haussorten in der Kühlvitrine: Bergkäse, Schnittkäse, Frischkäse, mit Knoblauch-Brennnessel, Bärlauch oder Salbei. Die Käserin führt mit Stolz durch ihre Arbeitsstätte, einen umgebauten Schweinestall. In der Kühlkammer nebenan lagert die Produktion der letzten Tage und Wochen. Weil der Bio-Käse im Gegensatz zum herkömmlichen nicht mit Chemie imprägniert werden darf, um den Schimmelprozess zu unterbrechen, werden die großen runden Laibe gewendet und mit Salzwasser abgebürstet. Drei Monate lang, jeden Tag.

Auf dem Kellerwaldhof rechnet sich der Aufwand, weil die Kunden den Käse direkt im Hofladen kaufen. Wer einmal in der Käserei stand oder die Kühe auf der Weide sah, bezahlt gerne ein paar Euro mehr. Und hat auch Verständnis, wenn der Camembert schon wieder aus ist. Sobald Bio-Produkte aber im Supermarkt stünden, sagt Martin Häusling, funktioniere das nicht mehr. Dort muss immer alles vorrätig sein und günstig. Dass ein konventionelles Hähnchen etwa vier Euro, ein Bio-Hähnchen aber das Vierfache koste, sei kaum vermittelbar. "Mache ich deshalb bio billiger? Oder versuche ich lieber die Kundschaft zu überzeugen, dass das konventionelle Hähnchen Folgen hat, die uns irgendwann superteuer zu stehen kommen?"

Er meint die Folgen der Intensivtierhaltung, die bereits belegt sind: die Nitratbelastung des Grundwassers etwa. In Frankreich, so rechnet BÖLW-Präsident Löwenstein vor, kostet es die Wasserwerke laut einer Untersuchung jährlich 1,5 Milliarden Euro, das Trinkwasser zumindest auf Grenzwertniveau zu reinigen: "Diese Kosten müssten eigentlich auf den Preis für herkömmliche Lebensmittel aufgeschlagen werden." Stattdessen werden sie über die Wasserrechnung jedes einzelnen Haushalts beglichen – und damit auch von Bio-Käufern.

Doch die konventionelle Viehzucht birgt noch mehr Risiken: erhöhte Seuchengefahr etwa oder Antibiotikaresistenzen. Nicht nur bei Nutztieren, sondern auch bei den Landwirten, die diese Medikamente tagtäglich einsetzen – und bei denen sie deshalb im Krankheitsfall nicht mehr wirken. In Krankenhäusern gelten diese Bauern inzwischen als Risikopatienten.

Es ist der Moment, in dem sich Häusling in Rage reden kann. Über konventionelle Lebensmittel, die so "scheißbillig" seien. Über die "Wahnsinnsmacht" der Einkäufer und Händler, die erst als Großabnehmer bei einem Bio-Betrieb einsteigen und den Öko-Landwirt dann schrittweise zu immer niedrigeren Preisen zwingen – "sonst kaufen sie die Bio-Möhren eben in China". Und über die fehlende Chancengleichheit für Bio-Produkte in Deutschland. "Wenn ich den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika verbiete, dann kann ich keine 30.000, sondern nur noch 3000 Hähnchen in einem Stall halten", sagt Häusling. "Dann wird das Bio-Huhn nicht billiger, sondern das konventionelle teurer. Und dann haben wir fast Waffengleichheit."

Nur: Wer garantiert, dass nicht auch so mancher Bio-Bauer dem Produktionsrausch verfällt, weil die Nachfrage stimmt – und dafür die Grauzonen ausnutzt, die ihm das Gesetz lässt? Nach geltendem Recht liegt die Obergrenze für Bio-Hühner bei 3000 Tieren – aber nur pro Stalleinheit. Das heißt: Auch ein Bio-Bauer kann 30.000 Hühner halten, indem er zehn Ställe nebeneinander baut.

Häusling versucht deshalb, in seinem Kompromissvorschlag zur EU-Ökoverordnung für Schweine und Legehennen eine Gesamtobergrenze pro Betrieb einzuführen. Das soll bewirken, dass ein Landwirt maximal vier Ställe nebeneinander bauen darf – um so die Kontrolle zu erleichtern und das Krankheitsrisiko zu senken. Die Frage bleibt allerdings, ob selbst 3000 Hühner in einem Stall noch als Bio-Haltung gelten sollten. Und ob das Konzept bio nicht per definitionem eine gewisse Größenordnung nicht überschreiten kann – weil es sonst eben nicht mehr bio ist?

Fragt man die großen Akteure der Branche, wollen sie von solch einer Beschränkung nichts wissen. Bio und Masse, für sie passt das ganz problemlos zusammen.

"Wir brauchen 100 Prozent bio", sagt BÖLW-Chef Löwenstein, der zuletzt auch ein Buch darüber verfasst hat, wie bio die Welt ernähren kann. "Bio ist kein Projekt für die Nische, bio ist die Alternative." Er klingt wie Häusling, nur in radikal.

"Die Frage ist nicht, ob bio massenkompatibel ist oder werden soll, sondern wie man möglichst vielen Menschen die Sinnhaftigkeit von ökologischen Lebensmitteln deutlich machen kann", sagt auch Michael Radau, der Geschäftsführer von SuperBioMarkt. Möglichst viel billige Bio-Ware sei sicherlich nicht der richtige Weg, aber deutlich mehr Umsatz sei durchaus noch möglich.

Wenn man Martin Häusling fragt, ob es realistisch ist, dass die Branche immer mehr Bio-Waren erzeugt, ohne ihre Grundsätze zu verraten, wird er zum ersten Mal an diesem langen Nachmittag unkonkret. "Also ich sag mal, wenn der ökologische Landbau eine Perspektive hat, ihm weiterhin politische Unterstützung gewährt wird und ihm Verbraucher zu Seite stehen, warum nicht?"

Die Sache ist nur, dass der ökologische Landbau dazu auch eine vernünftige Vermarktung braucht. Zwei Drittel des Geschäfts werden über große Lebensmittelketten abgewickelt, Bio-Supermarktketten liegen weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz, und jeder Hofladen hat eine natürliche Begrenzung. "Wenn ich bio für jeden erreichbar machen will, muss ich auch die Strukturen dafür haben", sagt Häusling, es klingt ein bisschen resigniert. Die Großhändler und Discounter dieser Republik sind gewiss keine Öko-Wohltäter. Aber ohne sie geht es eben nicht.

So ist der Streit ums neue EU-Öko-Gesetz eine Parabel auf die Lage der Bio-Branche. Hier wie dort geht es darum, die Balance zu halten: zwischen Etikettenschwindel und Reglementierungswut, Versuchungen und Überzeugungen. Je mehr Leute bio kaufen, desto besser ist die Alternative zur konventionellen Landwirtschaft. Und desto mehr sind die eigenen Prinzipien in Gefahr.

17.06.2015

topagrar - EU-Ökoreform: Agrarrat gegen Rückstands-Schwellenwerte

topagrar - Die europäischen Agrarminister haben am Dienstag in Luxemburg eine gemeinsame Position zur Reform der EU-Ökoverordnung gefunden.

„Wir haben eine allgemeine Ausrichtung beschlossen, die ganz wesentliche Punkte aufnimmt, die Deutschland, der Bundestag, der Bundesrat und auch die Verbände als Eckpunkte gesetzt hatten“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt im Anschluss.

Spezielle Rückstandsschwellenwerte für Bioprodukte werde es auf EU-Ebene nicht geben, betonte der Minister. Mitgliedstaaten, die entsprechende nationale Regelungen getroffen hätten, müssten diese bis 2020 auslaufen lassen und dürften sie nicht auf Importe aus anderen EU-Staaten oder Drittländern anwenden. Bei den Einfuhren aus Drittstaaten werde es noch mehr Sorgfalt geben als heute.

Schmidt blickt den voraussichtlich im Herbst beginnenden Verhandlungen mit dem Europaparlament gelassen entgegen. Dort ist der federführende Abgeordnete Martin Häusling von den Grünen. Er stehe sowohl mit Häusling als auch mit dem Schattenberichterstatter der Christdemokraten, Norbert Lins, in engem Austausch, betonte der Minister. Mit den Ökoverbänden will er den Dialog ebenfalls fortführen.
DBV warnt vor schwerwiegenden Folgen für den Biolandbau

Heinrich Graf von Bassewitz (Bild: DBV) Heinrich Graf von Bassewitz (Bild: DBV)    Der Öko-Beauftragte des Deutschen Bauernverband (DBV), Heinrich Graf von Bassewitz, hält den von der lettischen Ratspräsidentschaft vorgelegten Kompromiss zur Revision der EU-Ökolandbau-Verordnung für nicht akzeptabel.

„Auch die Verhandlungen im Agrarministerrat in den letzten Wochen haben zu keinem annehmbaren Vorschlag geführt. Dieser Kompromiss würde für den Ökolandbau in weiten Teilen das Ende bedeuten, besonders in kleinstrukturierten Regionen", betonte Bassewitz. Die Regelung der Rückstandsfreiheit werde weiter ein Problem bleiben, da ein „Flickenteppich“ entstehe, wenn das EU-Recht in einigen Ländern umgesetzt werde und in anderen nicht.

„Die Konfusion wird dem Markt und uns Öko-Landwirten schaden. Das ist das Gegenteil von einheitlichen und transparenten Regeln." Damit der Öko-Anbau sich weiter entwickeln kann, fordert Bassewitz Veränderungen in drei Bereichen. So dürfe es keine Sonderrückstandsgrenzwerte für Ökoprodukte geben. Wenn der gesetzliche Grenzwert nicht mehr als alleiniger gelte, werde seine Verlässlichkeit angezweifelt, kritisierte Bassewitz. Ein Flickenteppich nationaler Regelungen zu Sonderrückstandswerten wie von der Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, sei das Gegenteil von Harmonisierung im EU-Recht und werde vom Bauernverband strikt abgelehnt.
 
Der Ökobeauftragte des DBV forderte zudem die Erhaltung der jährlichen Bio-Kontrolle. Sie sei das Rückgrat des Verbrauchervertrauens und das Mindestmaß für die Umsetzung des Öko-Kontrollsystems. Risikoorientierte Kontrollen seien ergänzend öfter oder vertieft durchzuführen, wie dies heute bereits in der Geflügelhaltung oder im Gewächshausbereich geschehe.

Bassewitz warnte auch davor, die besonderen Bedingungen in tropischen und subtropischen Ländern bei Importen nicht anzuerkennen. Es sei eine Frage der Fairness den Entwicklungsländern gegenüber, ihnen nicht den Markzugang in die EU zu verschließen. Die Importregeln seien mit Regionalstandards für andere Klimazonen zu verknüpfen. Der heimische Öko-Sektor sei auf Importe aus den Tropen und Subtropen wie Gewürze, Kaffee und Kakao angewiesen. Behinderungen beim Import würden den heimischen Öko-Bauern schaden, denn weniger Kakao und Kaffee in Öko-Qualität bedeuteten weniger Nachfrage nach heimischer Milch und Getreide in Verarbeitungsprodukten, gab Bassewitz zu bedenken.

20.05.2015

Fakten zu Bioernährung in der EU

Hier ein spannendes Faktenblatt des wissenschaftlichen Service des EP

150520 Fact sheet organic

27.04.2015

TAZ - Entwurf für neue Öko-Verordnung - Aus doppelt kontrolliertem Anbau

TAZ - Eine „Europäische Bio-Agentur“ soll den Kampf gegen Etikettenschwindel beim Bio-Siegel effizienter machen. Die Anträge liegen der taz exklusiv vor.

BERLIN taz | Was ist das Bio-Siegel eigentlich noch wert? Betrüger verkauften billiges konventionelles Schweinefleisch als teure Ökoware, Bio-Legehennen bekamen mit Pestiziden verseuchtes Futter aus der Ukraine, und bis heute pferchen Agrarindustrielle 24.000 Ökotiere in ein Gebäude. Doch jetzt soll Bio wieder mehr dem entsprechen, was viele Verbraucher erwarten.

Dazu soll vor allem eine neue „Europäische Bio-Agentur“ beitragen, wie aus dem Entwurf einer neuen Öko-Verordnung hervorgeht, den der grüne Abgeordnete Martin Häusling als „Berichterstatter“ im Auftrag aller Fraktionen des EU-Parlaments geschrieben hat. Die Behörde müsse „Information und Aktivitäten in Verdachtsfällen koordinieren, von denen mehr als ein Mitgliedstaat und/oder Drittländer betroffen sind“, heißt es in Häuslings Änderungsanträgen zu dem vor einem Jahr vorgelegten Verordnungsentwurf der EU-Kommission.

Die 350 Anträge lagen am Wochenende der taz exklusiv vor. In der Regel übernimmt die Mehrheit der Parlamentarier die meisten Vorschläge der Berichterstatter.

Manche EU-Länder haben die Verbraucher bisher nicht konsequent genug vor Betrug geschützt, beispielsweise im Fall des konventionellen Futters für Biolegehennen: Während deutsche Behörden Eiern aus den betroffenen Hühnerfarmen das Bio-Siegel entzogen, ließen die Niederlande die Ware auf dem Ökomarkt, klagt Häusling. Besonders Italien und Rumänien wird immer wieder vorgeworfen, bei mutmaßlichen Betrugsfällen erst ausreichend zu informieren, wenn die Produkte bereits verbraucht wurden.

Eine EU-Bio-Agentur könnte durch ständiges Nachfragen, Datenaustausch und Mängelberichte den Druck erhöhen, die Gesetze effizienter durchzusetzen, und so Betrüger abschrecken.

„Bisher keine Kontrolle der Kontrolle“

Die Agentur würde Häuslings Entwurf zufolge auch die Öko-Kontrollstellen in Ländern außerhalb der EU überwachen, die Bioware nach Europa exportieren. „Bisher gibt es keine Kontrolle der Kontrolle“, kritisiert der Parlamentarier.

Die EU-Kommission dagegen will das Problem korruptionsanfälliger Importe aus Drittländern in den Griff bekommen, indem auch Lieferanten etwa in Afrika künftig die europäischen Ökoregeln ohne Ausnahme einhalten müssen. „Ich kann aber nicht erwarten, dass sie in Burkina Faso plötzlich mit Ökosaatgut arbeiten, wenn sie gerade froh sind, dass sie Schädlinge in den Griff kriegen ohne Spritzmittel“, meint Häusling. Die deutschen Biobauern hätten anfangs ja auch Kompromisse gemacht. Der Grüne will deshalb weiterhin eigene, nicht ganz so strenge Ökostandards für Drittländer akzeptieren.

Warum Bio?

Das Problem: Vor allem die Landwirtschaft ist schuld daran, dass Tier- und Pflanzenarten aussterben. Dünger belasten das Grundwasser sowie Flüsse, Seen und Meere. Auch Pflanzenschutzmittel sowie Medikamentenrückstände aus der Massentierhaltung können Ökosystemen gefährlich werden. Mit laut Umweltbundesamt 7,5 Prozent der Treibhausgasemissionen ist die Branche der zweitgrößte Klimakiller Deutschlands. Zudem ist sie der größte Tierhalter.

Die Ökolösung: EU-weit arbeiten etwa 190.000 Landwirte ökologisch. Die Biolandwirte dürfen keine chemisch-synthetischen Pestizide und keine Kunstdünger benutzen, die die Artenvielfalt gefährden und das Klima belasten. Ihre Tiere müssen grundsätzlich Auslauf und mehr Platz als in der konventionellen Haltung bekommen. (jma)

Zwar überprüft das EU-Lebensmittel- und Veterinäramt (FVO) schon jetzt, wie einzelne Länder kontrollieren. Aber Häusling sagt: „Das FVO hat nur zwei Leute für den Biobereich.“ Die neue Bio-Agentur dagegen solle in der Anfangsphase 20 bis 50 Beschäftigte haben.

Doch Häusling will das Vertrauen in das Bio-Siegel nicht nur durch effizientere Kontrollen stärken. Auch „die Industrialisierung der Ökobranche“ möchte er eindämmen. Künftig sollen nur noch 12.000 Legehennen pro Betrieb erlaubt sein. Auch bei Schweinen will Häusling kleinere Höfe schützen: Jeder Betrieb soll maximal 1.500 Schlachtschweine oder 200 Sauen pro Jahr liefern. Der Seuchendruck und der daraus folgende Antibiotikaeinsatz hänge auch damit zusammen, wie viele Tiere auf einem Fleck leben, argumentiert der Abgeordnete.
Abstriche bei Auslauf im Grünen

Verbraucher erwarten auch, dass Biotiere Auslauf im Grünen haben. Aber in diesem Punkt macht er Abstriche, was die Haltung der Elterntiere von Legehennen angeht. Sein Entwurf erlaubt statt eines Grünauslaufs einen Unterstand mit Maschendrahtwänden. „Viele Branchenvertreter, auch mittelständische, haben mir gesagt: Sonst steigen wir nicht in die Zucht ein.“ Das Risiko, dass sich Elterntiere, die teurer sind als normale Legehennen, über Wildvögel im offenen Auslauf etwa mit Salmonellen infizieren, sei zu hoch.

Zudem will die EU-Kommission das Verbrauchervertrauen in Bio vor allem durch einen besonders niedrigen Pestizidgrenzwert extra für Ökolebensmittel stärken. Dann dürften Biobauern ihre Ernte nicht mit Bio-Siegel verkaufen, wenn ohne ihr Verschulden Chemie von konventionellen Nachbarfeldern herüberweht. Um Risiken auszuschließen, müssten Landwirte und Händler viel mehr Laboranalysen bezahlen. Laut einer Schätzung des Statistischen Bundesamts, die der taz vorliegt, würden die zusätzlichen Untersuchungen allein die deutsche Ökobranche jährlich 86 bis 146 Millionen Euro kosten. So könnte die Regelung viele Betriebe von Bio abbringen. Deshalb hat Häusling diesen Plan in seinem Entwurf gestrichen.

Der Hesse will jedoch Bauern Hemmungen nehmen, Verunreinigungen zu melden. Deshalb fordert er eine Entschädigung für den wirtschaftlichen Schaden, selbst wenn der Verursacher nicht zahlt.

Weiterhin Bioware im Kiosk

Eine Änderung will Häusling auch in einem anderen Punkt erzielen: Bioware soll auch weiter in Läden wie Spätverkäufen oder Kiosken verfügbar sein, die nur ein paar abgepackte Bioprodukte führen. Die EU-Kommission will, dass sich auch diese Händler in Zukunft von einer Öko-Kontrollstelle überprüfen lassen müssen – kostenpflichtig natürlich. Obwohl das Betrugsrisiko hier gegen null tendiert. Häusling will stattdessen Inspektionen für Öko-Catering-Unternehmen vorschreiben.

Anders als von der Kommission gefordert, sollen Biolandwirte Saatgut und Jungtiere aus konventioneller Produktion auch nach 2021 verwenden dürfen – wenn es nicht genug Bioware gibt. „Vor allem in Osteuropa würde ohne diese Ausnahmen keiner auf Bio umstellen, weil das Angebot einfach nicht da ist“, so Häusling. Die EU-Kommission soll aber beim Saatgut mindestens alle zwei Jahre ermitteln, wie groß die Lücke ist. Wird weniger als 80 Prozent der Nachfrage gedeckt, müsste die Behörde mit Förderung gegensteuern.

„Häuslings Bericht ist die bestmögliche Lösung“, sagte Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der taz. [Pressemitteilung BÖLW v. 24.04.15: Häusling-Bericht zur Revision des Bio-Rechts: Die Richtung stimmtHäusling-Bericht zur Revision des Bio-Rechts: Die Richtung stimmt] Er lehnte es jedoch ab, die Zahl der Tiere pro Betrieb zu begrenzen. Die Regel könne leicht ausgehebelt werden, indem man einen großen Betrieb in mehrere kleine teilt, argumentierte Löwenstein.

Der Bio-Experte der konservativen EVP-Fraktion, Norbert Lins (CDU), zeigte sich zwar über den Vorschlag zur EU-Bio-Agentur „ein wenig skeptisch, weil solche Agenturen oft ein Eigenleben entwickeln, das nicht hilfreich ist“. Aber er sprach sich nicht gegen den Plan aus. Ausdrücklich begrüßte er, dass Häusling den eigenen Pestizidgrenzwert für die Biobranche verhindern will.

Der beim Thema federführende Agrarausschuss wird voraussichtlich im Juli abstimmen. Die Parlamentarier müssen sich dann noch mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Kommission einigen.

27.04.2015

TAZ - Entwurf für neue Öko-Verordnung - Aus doppelt kontrolliertem Anbau

TAZ - Eine „Europäische Bio-Agentur“ soll den Kampf gegen Etikettenschwindel beim Bio-Siegel effizienter machen. Die Anträge liegen der taz exklusiv vor.

BERLIN taz | Was ist das Bio-Siegel eigentlich noch wert? Betrüger verkauften billiges konventionelles Schweinefleisch als teure Ökoware, Bio-Legehennen bekamen mit Pestiziden verseuchtes Futter aus der Ukraine, und bis heute pferchen Agrarindustrielle 24.000 Ökotiere in ein Gebäude. Doch jetzt soll Bio wieder mehr dem entsprechen, was viele Verbraucher erwarten.

Dazu soll vor allem eine neue „Europäische Bio-Agentur“ beitragen, wie aus dem Entwurf einer neuen Öko-Verordnung hervorgeht, den der grüne Abgeordnete Martin Häusling als „Berichterstatter“ im Auftrag aller Fraktionen des EU-Parlaments geschrieben hat. Die Behörde müsse „Information und Aktivitäten in Verdachtsfällen koordinieren, von denen mehr als ein Mitgliedstaat und/oder Drittländer betroffen sind“, heißt es in Häuslings Änderungsanträgen zu dem vor einem Jahr vorgelegten Verordnungsentwurf der EU-Kommission.

Die 350 Anträge lagen am Wochenende der taz exklusiv vor. In der Regel übernimmt die Mehrheit der Parlamentarier die meisten Vorschläge der Berichterstatter.

Manche EU-Länder haben die Verbraucher bisher nicht konsequent genug vor Betrug geschützt, beispielsweise im Fall des konventionellen Futters für Biolegehennen: Während deutsche Behörden Eiern aus den betroffenen Hühnerfarmen das Bio-Siegel entzogen, ließen die Niederlande die Ware auf dem Ökomarkt, klagt Häusling. Besonders Italien und Rumänien wird immer wieder vorgeworfen, bei mutmaßlichen Betrugsfällen erst ausreichend zu informieren, wenn die Produkte bereits verbraucht wurden.

Eine EU-Bio-Agentur könnte durch ständiges Nachfragen, Datenaustausch und Mängelberichte den Druck erhöhen, die Gesetze effizienter durchzusetzen, und so Betrüger abschrecken.

„Bisher keine Kontrolle der Kontrolle“

Die Agentur würde Häuslings Entwurf zufolge auch die Öko-Kontrollstellen in Ländern außerhalb der EU überwachen, die Bioware nach Europa exportieren. „Bisher gibt es keine Kontrolle der Kontrolle“, kritisiert der Parlamentarier.

Die EU-Kommission dagegen will das Problem korruptionsanfälliger Importe aus Drittländern in den Griff bekommen, indem auch Lieferanten etwa in Afrika künftig die europäischen Ökoregeln ohne Ausnahme einhalten müssen. „Ich kann aber nicht erwarten, dass sie in Burkina Faso plötzlich mit Ökosaatgut arbeiten, wenn sie gerade froh sind, dass sie Schädlinge in den Griff kriegen ohne Spritzmittel“, meint Häusling. Die deutschen Biobauern hätten anfangs ja auch Kompromisse gemacht. Der Grüne will deshalb weiterhin eigene, nicht ganz so strenge Ökostandards für Drittländer akzeptieren.

Warum Bio?

Das Problem: Vor allem die Landwirtschaft ist schuld daran, dass Tier- und Pflanzenarten aussterben. Dünger belasten das Grundwasser sowie Flüsse, Seen und Meere. Auch Pflanzenschutzmittel sowie Medikamentenrückstände aus der Massentierhaltung können Ökosystemen gefährlich werden. Mit laut Umweltbundesamt 7,5 Prozent der Treibhausgasemissionen ist die Branche der zweitgrößte Klimakiller Deutschlands. Zudem ist sie der größte Tierhalter.

Die Ökolösung: EU-weit arbeiten etwa 190.000 Landwirte ökologisch. Die Biolandwirte dürfen keine chemisch-synthetischen Pestizide und keine Kunstdünger benutzen, die die Artenvielfalt gefährden und das Klima belasten. Ihre Tiere müssen grundsätzlich Auslauf und mehr Platz als in der konventionellen Haltung bekommen. (jma)

Zwar überprüft das EU-Lebensmittel- und Veterinäramt (FVO) schon jetzt, wie einzelne Länder kontrollieren. Aber Häusling sagt: „Das FVO hat nur zwei Leute für den Biobereich.“ Die neue Bio-Agentur dagegen solle in der Anfangsphase 20 bis 50 Beschäftigte haben.

Doch Häusling will das Vertrauen in das Bio-Siegel nicht nur durch effizientere Kontrollen stärken. Auch „die Industrialisierung der Ökobranche“ möchte er eindämmen. Künftig sollen nur noch 12.000 Legehennen pro Betrieb erlaubt sein. Auch bei Schweinen will Häusling kleinere Höfe schützen: Jeder Betrieb soll maximal 1.500 Schlachtschweine oder 200 Sauen pro Jahr liefern. Der Seuchendruck und der daraus folgende Antibiotikaeinsatz hänge auch damit zusammen, wie viele Tiere auf einem Fleck leben, argumentiert der Abgeordnete.
Abstriche bei Auslauf im Grünen

Verbraucher erwarten auch, dass Biotiere Auslauf im Grünen haben. Aber in diesem Punkt macht er Abstriche, was die Haltung der Elterntiere von Legehennen angeht. Sein Entwurf erlaubt statt eines Grünauslaufs einen Unterstand mit Maschendrahtwänden. „Viele Branchenvertreter, auch mittelständische, haben mir gesagt: Sonst steigen wir nicht in die Zucht ein.“ Das Risiko, dass sich Elterntiere, die teurer sind als normale Legehennen, über Wildvögel im offenen Auslauf etwa mit Salmonellen infizieren, sei zu hoch.

Zudem will die EU-Kommission das Verbrauchervertrauen in Bio vor allem durch einen besonders niedrigen Pestizidgrenzwert extra für Ökolebensmittel stärken. Dann dürften Biobauern ihre Ernte nicht mit Bio-Siegel verkaufen, wenn ohne ihr Verschulden Chemie von konventionellen Nachbarfeldern herüberweht. Um Risiken auszuschließen, müssten Landwirte und Händler viel mehr Laboranalysen bezahlen. Laut einer Schätzung des Statistischen Bundesamts, die der taz vorliegt, würden die zusätzlichen Untersuchungen allein die deutsche Ökobranche jährlich 86 bis 146 Millionen Euro kosten. So könnte die Regelung viele Betriebe von Bio abbringen. Deshalb hat Häusling diesen Plan in seinem Entwurf gestrichen.

Der Hesse will jedoch Bauern Hemmungen nehmen, Verunreinigungen zu melden. Deshalb fordert er eine Entschädigung für den wirtschaftlichen Schaden, selbst wenn der Verursacher nicht zahlt.

Weiterhin Bioware im Kiosk

Eine Änderung will Häusling auch in einem anderen Punkt erzielen: Bioware soll auch weiter in Läden wie Spätverkäufen oder Kiosken verfügbar sein, die nur ein paar abgepackte Bioprodukte führen. Die EU-Kommission will, dass sich auch diese Händler in Zukunft von einer Öko-Kontrollstelle überprüfen lassen müssen – kostenpflichtig natürlich. Obwohl das Betrugsrisiko hier gegen null tendiert. Häusling will stattdessen Inspektionen für Öko-Catering-Unternehmen vorschreiben.

Anders als von der Kommission gefordert, sollen Biolandwirte Saatgut und Jungtiere aus konventioneller Produktion auch nach 2021 verwenden dürfen – wenn es nicht genug Bioware gibt. „Vor allem in Osteuropa würde ohne diese Ausnahmen keiner auf Bio umstellen, weil das Angebot einfach nicht da ist“, so Häusling. Die EU-Kommission soll aber beim Saatgut mindestens alle zwei Jahre ermitteln, wie groß die Lücke ist. Wird weniger als 80 Prozent der Nachfrage gedeckt, müsste die Behörde mit Förderung gegensteuern.

„Häuslings Bericht ist die bestmögliche Lösung“, sagte Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der taz. [Pressemitteilung BÖLW v. 24.04.15: Häusling-Bericht zur Revision des Bio-Rechts: Die Richtung stimmtHäusling-Bericht zur Revision des Bio-Rechts: Die Richtung stimmt] Er lehnte es jedoch ab, die Zahl der Tiere pro Betrieb zu begrenzen. Die Regel könne leicht ausgehebelt werden, indem man einen großen Betrieb in mehrere kleine teilt, argumentierte Löwenstein.

Der Bio-Experte der konservativen EVP-Fraktion, Norbert Lins (CDU), zeigte sich zwar über den Vorschlag zur EU-Bio-Agentur „ein wenig skeptisch, weil solche Agenturen oft ein Eigenleben entwickeln, das nicht hilfreich ist“. Aber er sprach sich nicht gegen den Plan aus. Ausdrücklich begrüßte er, dass Häusling den eigenen Pestizidgrenzwert für die Biobranche verhindern will.

Der beim Thema federführende Agrarausschuss wird voraussichtlich im Juli abstimmen. Die Parlamentarier müssen sich dann noch mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Kommission einigen.

27.04.2015

topagrar - EU-Parlament arbeitet an neuer Bio-Behörde

topagrar -  Im EU-Parlament wird an einer neuen Behörde gegen Betrug mit dem Bio-Siegel gearbeitet. Der Berichterstatter des EU-Parlaments für die Reform der Ökoverordnung, Martin Häusling, fordert eine "Europäische Bio-Agentur", berichtet die Tageszeitung taz in ihrer Montagausgabe.

Das Amt solle "Information und Aktivitäten in Verdachtsfällen koordinieren, von denen mehr als ein Mitgliedstaat und/oder Drittländer betroffen sind", heißt es in den Änderungsanträgen des Grünen Europaabgeordneten zu dem vor einem Jahr vorgelegten Verordnungsentwurf der EU-Kommission. Die 350 Anträge lagen am Wochenende der taz exklusiv vor.
 
In der Regel übernimmt die Mehrheit der Abgeordneten die meisten Vorschläge der Berichterstatter. Die Agentur würde auch die Öko-Kontrollstellen in Ländern außerhalb der EU überwachen, die Bioware nach Europa exportieren. "Bisher gibt es keine Kontrolle der Kontrolle", sagte der Parlamentarier der taz.
 
Bisher würden die EU-Länder bei Betrugsverdacht unterschiedlich konsequent vorgehen, ergänzte Häusling. Das zeige der Skandal, in dem vergangenes Jahr Bio-Legehennen tausende Tonnen konventionelles Futter aus der Ukraine erhielten: Während deutsche Behörden Eiern aus den betroffenen Hühnerfarmen das Biosiegel entzogen, ließen die Niederlande die Ware auf dem Ökomarkt, klagt Häusling. Besonders Italien und Rumänien wird immer wieder vorgeworfen, bei mutmaßlichen Betrugsfällen unvollständig oder erst dann zu informieren, wenn die Produkte bereits verbraucht wurden.

24.03.2015

Aussprache Bericht Häusling Ökologischer Landbau

131120 EP Rede GAP 24. März 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Vertreter der Kommission und des Rates, des Wirtschafts-und Sozialausschusses, meine Damen und Herren,

1. Der  ökologische Landbau entwickelt sich in der EU wie kein anderer Sektor der Landwirtschaft. Es ist aber nicht nur der Markt der die größten Wachstumsraten verzeichnet. Es ist vor allem das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an nachhaltigen Erzeugungsmethoden das wächst - an der Erhaltung der biologischen Vielfalt, an gesunden Lebensmitteln, - und einem konsequenten Tier- Boden - und Klimaschutz. Der biologische Landbau ist vorbildlich in der Integration dieser Ziele, er ist -all inclusive- wie man so sagt und er wurde deshalb - nicht zufällig -in der letzten Reform der Agrarpolitik auch als "greening by principle" eingestuft.

20.03.2015

Agrarministerkonferenz

geladen zum Tagesordnungspunkt Ökoverordnung

17.03.2015

Badische Ztg. - Öko-Verordnung: Die EU-Kommission verärgert die Biobranche in Europa

Badische Zeitung - BRÜSSEL. Die Öko-Branche ist entnervt. Noch ist die letzte große Reform der EU-Öko-Verordnung von 2007 in den Mitgliedsstaaten nicht vollständig umgesetzt, da will die EU-Kommission schon wieder alles völlig neu regeln. Am Montag diskutierten die Landwirtschaftsminister über die Vorschläge, und dabei zeigte sich: Es gibt auch von dieser Seite viel Kritik am neuen Konzept.

Seit 1991 regelt eine EU-Verordnung, wie Lebensmittel erzeugt und verarbeitet werden müssen, damit sie sich "biologisch" nennen dürfen und wie die Regeln überwacht werden. Die Nachfrage nach Bioprodukten steigt stetig – seit der letzten Reform 2007 hat sich der Absatz vervierfacht. Deshalb hielt die EU-Kommission eine Runderneuerung des Gesetzes für nötig. Nach Ansicht des BÖLW, des Dachverbands der deutschen Bioproduzenten, würde die neue Verordnung in der jetzt geplanten Form mit zahlreichen angehängten Durchführungsbestimmungen die Mitsprachemöglichkeiten des EU-Parlaments aber stark einschränken. Alles würde zentral von Brüssel aus geregelt – auch die Landwirtschaftsminister hätten dann keine Möglichkeit mehr, wie bisher regional unterschiedlichen Anbaubedingungen Rechnung zu tragen und Grenzwerte und Vorschriften entsprechend anzupassen.

Aufgeschreckt hat die Branche, dass laut Kommissionsentwurf Bio-Lebensmittel künftig deutlich strengere Schwellenwerte für Rückstände und Verunreinigungen einhalten müssen als herkömmliche Produkte. Richtschnur sollen die Grenzwerte sein, die für Babykost gelten. Das wäre das Aus für den Öko-Landbau, glaubt Martin Häusling, selbst Biobauer und grüner Europaabgeordneter.

"Wenn wir Grenzwerte aus gesundheitlichen Gründen haben, dann müssen sie für alle gelten. Sonst würde man die ökologischen Landwirte mit verantwortlich machen für die Pestizide der Nachbarbetriebe", sagte er der Badischen Zeitung. Da Biobauern Feld an Feld mit konventionellen Erzeugern produzieren, die großzügig Kunstdünger und Pestizide über ihre Felder streuen dürfen, sind auch in hundert Prozent organisch hergestellten Lebensmitteln entsprechende Rückstände unvermeidbar.

Für unrealistisch hält er auch die Forderung, dass Biobauern nur noch ökologisch erzeugtes Saatgut und Tiere aus ökologischer Haltung verwenden dürfen. "Das ist gut gemeint, aber nicht praktikabel. Wir haben in Westeuropa zwanzig Jahre gebraucht, um die Produktion von ökologischem Saatgut aufzubauen. Unsere Nachbarn in Osteuropa sind einfach noch nicht so weit."

Wie der Dachverband BÖLW sieht auch Häusling Nachbesserungsbedarf an der Verordnung von 2007. So müsse zum Beispiel die Kontrolle verbessert und vereinheitlicht werden. Heute gebe es in den 28 Mitgliedsstaaten 62 Kontrollstellen, die nach ganz unterschiedlichen Maßstäben arbeiteten. Letzten Sommer flog in Italien ein Fälscherring auf, der über mehrere Jahre Futtermittel, Getreide und Sonnenblumenkernen aus Osteuropa und Indien mit gefälschten Biozertifikaten in die EU eingeführt hatte. Die Produkte waren mit genveränderten Organismen verunreinigt und hätten nicht einmal als konventionelle Ware in der EU verkauft werden dürfen.

Die EU-Kommission schlägt im neuen Gesetz vor, die Kontrolle der Bioprodukte nicht mehr im Rahmen der Ökoverordnung, sondern in der normalen Lebensmittelkontrolle zu regeln. Häusling findet die entsprechenden neuen Vorschriften unklar und schwammig. Und die Sprecherin des Dachverbands BÖLW fragt: "Warum macht die Kommission das? Der Entwurf stammt ja noch aus der Feder des letzten Landwirtschaftskommissars Ciolos. Sein Nachfolger Phil Hogan hätte die Chance gehabt, das Projekt zurückzuziehen. Doch statt auf Bewährtes aufzubauen, will er einen völlig neuen Look für das Gesetz. Der Diskussionsprozess kostet alle Beteiligten viel Energie und schafft große Unsicherheit bei den Bioerzeugern."

10.03.2015

topagrar - EU-Ökoreform bleibt umstritten

topagrar-   Bei den Verhandlungen über die Reform der EU-Ökoverordnung hält die lettische EU-Ratspräsidentschaft an einer besonderen Prüfung von Bioprodukten auf unerwünschte Substanzen wie Pflanzenschutzmittelrückstände fest. Das geht aus einem aktuellen Kompromissvorschlag hervor, den die Letten diese Woche dem Sonderausschuss Landwirtschaft (SAL) zur Diskussion vorlegen.

Darin räumt die Ratspräsidentschaft ein, dass die Mitgliedstaaten über diese Frage gespalten seien. Sie hält jedoch mit Blick auf den nächsten Agrarrat am 16. März weitere Diskussionen für notwendig. Für Vertreter der Biobranche ist die Einführung besonders niedriger Rückstandshöchstwerte, über die hinaus ein Produkt nicht mehr als öko verkauft werden dürfte, ein Hauptkritikpunkt der Reform.

Ihre Forderungen bekräftigten sie vergangene Woche mit der Übergabe der „Nürnberger Erklärung“ an den Berichterstatter im Europaparlament, Martin Häusling von der Fraktion Die Grünen/EFA, sowie an den Schattenberichterstatter der Christdemokraten, Norbert Lins.

Der Präsident des Anbauverbandes Bioland, Jan Plagge, erklärte in seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Die Biobewegung will eine schrittweise Weiterentwicklung des bestehenden Biorechts, aber keine Totalrevision mit unsinnigen bürokratischen Hürden für Bauern, Hersteller und Händler.“

Häusling betonte bei der Übergabe, er lehne den Vorschlag der EU-Kommission in weiten Teilen ab. Die Position des Parlaments werde sich vom Kommissionsentwurf voraussichtlich deutlich unterscheiden. „Wir wollen erreichen, dass möglichst viele der bestehenden und bewährten, erst vor fünf Jahren in Kraft getretenen Ökoregeln in die neue Verordnung einfließen. Neues soll es nur dort geben, wo wir tatsächlich Änderungen brauchen und es einen Nutzen für Betriebe und Verbraucher gibt“, sagte Häusling.

Lins sieht seine Anliegen durch die Nürnberger Erklärung ebenfalls gestärkt. „Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Herstellung und Erzeugung von Bio vor allem hier in der EU weiter gut entwickeln kann und wir nicht auf immer mehr Importe angewiesen sind“, so der CDU-Politiker. Der BÖLW ist gemeinsam mit der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ) Initiator der „Nürnberger Erklärung“. AgE

24.02.2015

Copa-Cogeca breakfast debate in the European Parliament on organic farming

from 8:00 a.m. to 9:00 a.m. on 24th February 2015, entitled “How to make the review of the organic farming legislation a success?” - Hosted by MEP LINS

17.02.2015

topagrar - Kommissionsvorschlag zur EU-Ökoverordnung bleibt in der Kritik

topagrar online -  Die Kontroverse um die Weiterentwicklung der EU-Ökoverordnung hat auch auf der BioFach in Nürnberg im Fokus gestanden. Der Amtschef vom bayerischen Landwirtschaftsministerium, Martin Neumeyer, betonte, dass der von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag zu weit gehe; die Regelungen müssten von der Praxis umsetzbar bleiben. „Daher müssen wir laut und deutlich sagen: keine Totalrevision“, erklärte Neumayer.

Seinen Worten zufolge sollte sich die Ökobranche auf der bisherigen Rechtsgrundlage weiterentwickeln und nicht kaputtgemacht werden. Als Beispiel hierfür nannte er aus dem Kommissionsvorschlag die Forderung nach 100 % Ökosaatgut und die Notwendigkeit des Erhalts der Kleinbetriebsregelung.

Abteilungsleiter Clemens Neumann aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium bezeichnete die im Kommissionsvorschlag zur EU-Ökoverordnung enthaltene Rückstandsregelung für Pflanzenschutzmittel als „No-go“. Zudem gebe es weitere Fragen, etwa hinsichtlich der Kontrolle von Importen. Neumann sprach sich dafür aus, Kontrollverfahren zu vereinfachen. Derzeit gebe es unterschiedliche Kontrollen; daher sei die von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und dem Berichterstatter im Europäischen Parlament zur Revision der EU-Ökoverordnung, Martin Häusling, vorgeschlagene Clearingstelle erforderlich.

Bioland-Präsident Jan Plagge betonte: „Mit der ‚Nürnberger Erklärung‘ hat die gesamte Biobranche auf der BioFach nochmal ein klares Signal Richtung Kommission, Ministerrat und Parlament gesandt. Die Totalrevision der EU-Ökoverordnung lehnen wir entschieden ab.“ Das bestehende Recht müsse schrittweise weiterentwickelt werden; dafür lägen seit Jahren Themen und Vorschläge auf dem Tisch, etwa zum Import oder zur Geflügelhaltung.

Auch Häusling bekräftigte erneut seine ablehnende Position zum Verordnungsvorschlag. „Wir wollen keine Totalrevision, aber wir müssen einige Stellen weiterentwickeln“, so der Bündnisgrüne. Die gemeinsame Auffassung mit dem Bundeslandwirtschaftsminister zeige, dass „wir an einem Strang ziehen“. Häusling zeigte sich zudem überzeugt, dass innerhalb von sechs Monaten eine Einigung zu erzielen sei; diese sei aber nicht nur über Teilaspekte möglich.

16.02.2015

Neues Deutschland - Noch ist längst nicht alles bio

Neues Deutschland / Wirtschaft und Umwelt  / Von Haidy Damm

Messe stand im Zeichen der EU-Ökoverordnung
 Am Wochenende ging die Ökomesse Biofach in Nürnberg zu Ende. Politisch stand die Ablehnung der Revision der EU-Ökoverordnung oben auf der Tagesordnung.

Mit 44 000 Fachbesuchern ist die Biofach die weltgrößte Messe der Branche. Zwischen veganer Kosmetik, Steaks aus Tofu oder Lupinen, Milch aus Mandeln, Soja oder von der Bio-Kuh wurden in Nürnberg auch politische Themen verhandelt. Besonders die von der EU-Kommission angestrebte Totalrevision der EU-Ökoverordnung ist der Branche seit längerem ein Dorn im Auge. Ihr Protest scheint Früchte zu tragen.
 

 Die Ökoverordnung entstand 1992. Dass sie überarbeitet werden muss, sind sich alle einig. Doch die bisherigen Vorschläge lehnt die Branche ab. »Den aktuell positiven Trend darf die Politik nicht durch falsche Maßnahmen abwürgen«, forderte Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Branchenverbandes Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft. Unterstützung kommt jetzt aus der Politik. So appellierte die niederländische Landwirtschaftsministerin, Sharon Dijksma, an EU-Kommissar Phil Hogan: »Ich bitte Dich, Phil: Lege einen neuen Vorschlag vor.« Die Niederlande exportieren Bioprodukte im Umfang von rund einer Milliarde Euro. »Weniger und einfachere Regeln sind dabei ein Muss, denn die Bauern sollen Bauern und keine Buchhalter sein«, erklärte Dijksma.

 Hogan erklärte sich bereit, den Vorschlag wie angekündigt zurückzuziehen, wenn bis Mitte 2015 keine Einigung erzielt werde. In seine Richtung zielte auch das Ergebnis eines Treffens am Rande der Messe zwischen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und dem grünen Europa-Abgeordneten Martin Häusling, Berichterstatter im Parlament zur geplanten Revision. Man stimme in den wesentlichen Punkten überein, hieß es. In der Kritik stehen besonders Pestizidgrenzwerte für Ökoprodukte, die durch konventionell arbeitende Nachbarbetriebe entstehen. »Damit wird die Ökoproduktion erschwert, und Dörfer werden zu juristischen Kampfzonen«, erklärte Häusling. In den nächsten Monaten wollen sowohl der Europäische Rat als auch das Europaparlament ihre Standpunkte zum Kommissionsvorschlag erarbeiten, um diese dann im Trilog mit der Kommission zu verhandeln.

 Die Biobranche in Deutschland setzt so viel Geld um wie nie, ist aber weit vom angestrebten Ziel von 20 Prozent der Produktion entfernt. Ein vom Landwirtschaftsminister angekündigter »Zukunftsplan Öko« reicht der Opposition nicht. »Wenn Christian Schmidt jetzt erst mal zwei Jahre lang an einer Zukunftsstrategie für den Ökolandbau tüfteln will, verschenkt er viel zu viel Zeit«, kritisierte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner. Er forderte, die Bundesregierung müsse besonders im Forschungsbereich zulegen. »Während hunderte Millionen in konventionelle Forschung und Bioökonomie fließen, muss die Ökoforschung derzeit mit einem Bruchteil davon auskommen.«

 Neben Bioprodukten finden auch fair gehandelte Produkte in Deutschland zunehmend Anklang, 2013 lag der Umsatz bei 650 Millionen Euro. Damit liege man beim Absatz nach Großbritannien international auf Platz zwei, sagte der Geschäftsführer des Transfair-Vereins, Dieter Overath. Der Anteil von Waren mit Fairtrade-Siegel, die zugleich Biostandards erfüllen, stieg demnach im vergangenen Jahr von zwei Dritteln auf drei Viertel.