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Entscheidung in Gentechnik-Frage
von FOCUS-Redakteur Michael Odenwald
In der EU könnte bald der Anbau von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen erlaubt werden

In Europa könnte bald Genmais angebaut werden. Die EU-Kommission möchte ihn offenbar zulassen. Deutschland will sich in der EU-Abstimmung enthalten und ebnet dem Anbau so indirekt den Weg. Kritiker schätzen Kosten für Mensch und Umwelt hoch ein, der Nutzen bleibt fraglich.

Die Bundesregierung kann sich offenbar nicht entscheiden, wie sie zum Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen in der EU steht. Heute verkündete sie, dass sie sich bei der Abstimmung über eine Zulassung die Genmaissorte 1507 in der EU kommende Woche enthalten wird. Der EU-Kommission liegt der Antrag der US-Saatgutkonzerne Pioneer Dupont und Dow AgroSciences vor, gentechnisch veränderte Maispflanzen auch in der EU zuzulassen. Die „Sorte 1507“ ist resistent gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel und Mottenlarven.

Über die Anbaugenehmigung müssen die Regierungen der 28 EU-Staaten entscheiden. Sollte sich bis zum 12. Februar keine qualifizierte Mehrheit finden, wäre die EU-Kommission am Zug. Die Brüsseler Behörde will den Mais nach eigener Aussage zulassen. Dabei sprach sich das Europaparlament in Straßburg bereits mit deutlicher Mehrheit gegen eine Anbauerlaubnis aus. Die Abgeordneten fürchten unter anderem Schäden für Motten und Schmetterlinge.

In der Bundesregierung ist die Haltung uneinheitlich

Die Bundesregierung steht dem Genmaisanbau gespalten gegenüber. Zwar ließ Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verkünden, sein Ministerium lehne die Zulassung ab. Doch Presseberichten zufolge erklärte das Gesundheitsministerium, eine Gesundheitsgefährdung durch die Genpflanzen sei nicht nachweisbar, und das Forschungsministerium (beide sind von CDU-Ministern geleitet) hält den Mais für „unbedenklich“. Immerhin erklärte Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU), wenn Verbraucher und Bauern gentechnisch veränderte Produkte nicht wollten, sollte dies für die Politik ein wichtiges Kriterium sein.

Nun hat sich die Bundesregierung darauf  geeinigt, sich aus der Entscheidung herauszuhalten. Wenn die Ministerien in einer Frage unterschiedlicher Meinung seien, sei dieses Vorgehen üblich, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums fügte hinzu, das deutsche Verhalten bei der Abstimmung in der kommenden Woche habe ohnehin keine Auswirkungen, da die EU den Genmais unabhängig von dem Votum zulassen wolle.

"Ohrfeige für eine überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land"

Gentechnikkritiker hatten die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Zulassung zu stimmen. Die Grünen kritisierten die angekündigte Enthaltung am Mittwoch als "Ohrfeige für eine überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land, die keine Gentechnik auf Acker und Teller wollen". Eine Enthaltung bedeute faktisch eine Zustimmung, erklärte der Grünen-Gentechnikexperte Harald Ebner.

Solche Entscheidungen werden häufiger werden

Künftig könnten die Behörden in Deutschland und Europa häufiger vor solchen Entscheidungen stehen. Denn es rollt eine ganze Welle neuer Genpflanzen an. Hinsichtlich ihrer genetischen Ausstattung und Wirkweise haben sie eine neue Qualität. Damit aber könnten die Risiken für Mensch und Umwelt steigen, fürchten Gentechnikkritiker wie Christoph Then von der Organisation Testbiotech. „Die aktuelle Entwicklung führt weg von den traditionellen Systemen der Landwirtschaft und der Züchtung hin zu Technologien, die störanfälliger, immer komplexer und mit immer mehr Unsicherheiten und Risiken verbunden sind“, erklärt Then.

"Was blüht uns da?"

In einem Report, den er für den Abgeordneten Martin Häusling von der Grünen-Fraktion im EU-Parlament verfasste, beleuchtet Then die zukünftige Entwicklung der Agro-Gentechnik und deren Umfeld. Die Studie mit dem bezeichnenden Titel „Cyberkrieg auf dem Acker – was blüht uns da?“ listet gentechnisch veränderte (GV) Nahrungspflanzen auf, die zur Zulassung in der EU angemeldet sind. Sie zeigt auch, welche GV-Bäume und -Tiere in den Labors der Agrarkonzerne heranwachsen und welche neuen Methoden zur Manipulation des Erbgutes zur Anwendung kommen.

Zwar konnten sich Genpflanzen in der EU bislang nicht durchsetzen, das heißt, sie werden bis auf wenige Ausnahmen nicht angebaut. Doch als Futter- oder Lebensmittel dürfen bereits 49 verschiedene GV-Sorten eingeführt werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Soja, Mais, Raps und Baumwollsamen, die zumeist mit einer Herbizidresistenz ausgestattet sind oder Insektengifte produzieren. „Etwa die Hälfte der Pflanzen ist mehrfach gentechnisch verändert und kombiniert Insektengifte mit Herbizidresistenz“, weiß Then.

Dabei dürfte es aber nicht bleiben. Zwar werden auch die neu entwickelten Genpflanzen gegen Pflanzenschutzmittel resistent gemacht und sie produzieren Insektengifte zum Schutz vor Fraßfeinden. Doch die Hersteller kombinieren solche Eigenschaften zunehmend in Kreuzungen von GV-Pflanzen. Spitzenreiter sind Sorten, die gegen vier Unkrautvernichtungsmittel gleichzeitig resistent sind und ein halbes Dutzend Insektengifte erzeugen.
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