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EURACTIV.com
Von: Martin Häusling

EU-Kommission und EU-Mitgliedsstaaten stehen in der Verantwortung ihren Bürgern mehr zu bieten als einen Scheinkompromiss, der das Ende von Glyphosat auf den St. Nimmerlein-Tag verschiebt, meint Martin Häusling.

Am morgigen Donnerstag, dem 9. November 2017, stimmen die EU-Mitgliedsstaaten ein weiters Mal über die Wiederzulassung von Glyphosat ab. Allerdings geht es in dieser Abstimmung überhaupt nicht darum, das Gift vom Acker zu holen – weder in zehn noch in fünf Jahren. Denn es steckt ein falsches Spiel der EU-Kommission dahinter, die eine Verlängerung der Zulassung auf jeden Fall durchdrücken will. Ganz anders als Europarlament und Europas Bürger, die das ablehnen.

Noch zehn, fünf oder gar nur drei Jahre bis zum Ende von Glyphosat? Auch wenn sich Ende Oktober die Meldungen dazu überschlugen: Nichts davon wird mit der morgigen Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten Wirklichkeit werden. Einigen sich die Mitgliedsstaaten morgen, geht es lediglich um die Frist bis zu einer erneuten Risikobewertung der Nr. 1 unter den Pestiziden. Doch um einen Ausstiegsdatum, wie es den Bürgern der EU vorgegaukelt wird, geht es dabei nicht. Die Kommission spielt falsch, sie setzt auf Zeit, hat kein Interesse an irgendwelchen Beschränkungen für die Verwendung der Gifte auf den Äckern – und sogar in den Hausgärten. Schlimmer noch: Nicht einmal ein Ausstiegsszenario aus der Verwendung des Totalherbizids ist vorgesehen. Die inszenierte Debatte um die Dauer hat damit ihr Ziel erreicht: Der Ausstieg wurde – wieder einmal – abgewendet.

Was wir mindestens brauchen, das ist deutlicher Einstieg in den Ausstieg. Dazu gehören scharfe Anwendungsbeschränkungen, und zwar zu allererst auf dem Acker. Es kann nicht sein, dass Landwirte Chemie einsetzen, statt den Pflug zu verwenden, wie es gute fachliche Praxis wäre. Oder dass sie Getreide tot spritzen, weil die Ernte dann bequemer wird und sie damit Anbaufehler kaschieren. Damit muss Schluss sein.

Doch davon sind wir weit entfernt, denn die Mitgliedsstaaten knicken vor der Kommission ein, ignorieren den Willen der Bürger. Es bleibt also auch nach einer morgigen Einigung vollkommen offen, wie lange das Gift noch auf Europas Äckern versprüht wird und der Artenvielfalt den Garaus machen kann.

Realistisch gesehen ist eher folgendes zu erwarten: Die nächsten fünf Jahre ändert sich erst einmal gar nichts, denn der Kommissionsvorschlag sieht keinerlei Anwendungs-Einschränkungen vor. Zwar steht es den Mitgliedsstaaten frei, diese selbst zu erlassen. Europapolitisch verantwortlich ist das nicht. Ganz abgesehen davon, dass die EU-Kommission damit bewusst die Chance verstreichen lässt, die Weichen in Richtung Ausstieg zu stellen.

Dennoch kann es keinen Zweifel daran geben, dass die Kommissionsvorlage von der Mehrheit der Mitgliedsländer genau so gewollt ist, denn weder Kommission noch Mitgliedsstaaten wollen riskieren, dass die bis Jahresende erforderliche Wiederzulassung des agrochemischen Kassenschlagers scheitert. Wer „die EU“ dafür verantwortlich machen will, greift also zu kurz. Es sind die Regierungen eines jeden EU-Mitgliedsstaates, die entscheiden und denen es freisteht, ambitioniertere Ziele zu fordern.

Die noch amtierende schwarz-rote Bundesregierung hingegen hat in der Causa Glyphosat für das genaue Gegenteil gesorgt – mit der Vorlage einer Risikobewertung für die gesamte EU, die allein dem Wort spottet. Dass nachweislich Monsanto selbst dabei Feder führte, blieb bis heute gänzlich ohne Konsequenzen. Dabei hatte der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung Professor Andreas Hensel erst im Oktober eine weitere Probe seiner Wahrheitsliebe abgeliefert. Er behauptete, gar nicht zu einer Anhörung im Europaparlament zur Aufklärung der Lobbyvorwürfe eingeladen worden zu sein, was so nicht stimmt.

In weniger als fünf Jahren wird das Poker-Spiel um die Risikobewertung mit dem morgigen Beschluss damit erneut beginnen. Zwar ist es richtig, dass die von Lobbyisten-Händen diktierte Risikobewertung so kurz wie möglich Wiederzulassungsgrundlage sein sollte. Fünf Jahre sind allerdings nicht kurz. Sie sind lang. Viel zu lang für ein Mittel, das unter Krebsverdacht steht, tonnenweise auf unsere Felder gekippt wird und um dessen unbegrenzten Einsatz die Agroindustrie auch in fünf Jahren mit aller Macht ringen wird. Die hat mit der Vertagung ihren ersten Etappensieg bereits errungen: In fünf Jahren wird es neue EU-Kommission und ein neu gewähltes Europäisches Parlament geben. Gewonnener Spielraum, um Entscheidungen zu beeinflussen und das eigentliche Problem, die überfällige Reform der EU-Risikobewertungsverfahren selbst, zu verhindern.

Die Forderung kann daher nur lauten: EU-Kommission und EU-Mitgliedsstaaten stehen in der Verantwortung ihren Bürgern mehr zu bieten als einen Scheinkompromiss, der das Ende von Glyphosat auf den St. Nimmerlein-Tag verschiebt. Nicht die Zahl zählt, sondern das Ziel. Und das muss Ausstieg heißen.

Das Europaparlament hat sich dazu bereits bekannt und am 24. Oktober 2017 mit großer Mehrheit ein endgültiges Aus bis Ende 2022 gefordert. Europas Landwirte erhielten damit fünf Jahre Zeit, um ihre Anbaumethoden auf altbewährte ackerbauliche Grundsätze in Bodenbearbeitung und Fruchtfolge umzustellen.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum die Regierungen der Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission sich dieser Beschlussvorlage nicht anschließen sollten. Sie müssen es nur wollen. Und welche Interessen sollten mehr zählen als der Wille von Parlament und Bürgern? Wer diese Frage nicht beantworten will oder kann, erteilt einem Europa der Bürgerinnen und Bürger eine Abfuhr. Gemeinsam für eine bessere europäische Politik einzutreten, das sieht anders aus!

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