Grüne Europagruppe Grüne EFA

160621 gly sprüh Euractiv - In Europa gehen derzeit viele Gespenster rum. Der erbittert geführte Streit um die Wiederzulassung des Unkrautvernichters Glyphosat ist eins davon. Die Enthüllungen der „New York Times“, wonach Mitarbeiter des US-Agrarkonzerns Monsanto Studien im Namen der Wissenschaft verfasst und beeinflusst haben sollen, rücken nicht nur den Ghostwriter in ungewolltes Rampenlicht.

Die Causa Glyphosat beschädigt immer stärker auch das Vertrauen in die europäische Politik – in die Unabhängigkeit von Behörden, den Reformwillen an Zulassungsverfahren, deren Unzulänglichkeiten hinlänglich bewiesen sind und damit die demokratischen Grundlagen politischer Entscheidungen.

Erst vor wenigen Taten hatte die Europäische Chemikalienagentur ECHA eine von Glyphosat-Kritikern befürchtete und von Unterstützern als Durchbruch zur Wiederzulassung bejubelte Entscheidung getroffen und das meistverkaufte Pestizid der Welt vom Vorwurf der Krebsgefährdung freigesprochen. Ein Hochzeitsgeschenk für den Pharma- und Chemiekonzern Bayer, der noch in diesem Monat in Brüssel das Aufgebot für die sechsundsechzig Milliarden schwere Ehe mit dem US-Konzern Monsanto bestellen will.

Es kommt nicht nur auf EU-Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager an, mit der versprochenen Sorgfalt mögliche Einwände gegen die Verbindung zu prüfen. Denn dieser Ehe kann nur stattgegeben werden, wenn alle Vorwürfe politischer Beeinflussung restlos ausgeräumt sind. Das geht auch Bayer-Vorstandschef Werner Baumann an, der nach der ECHA-Bewertung seiner Zuversicht Ausdruck verlieh, dass die Wiederzulassung des Herbizids die Gremien passieren wird. Es grenzt an Instinktlosigkeit, dass Baumann die bereits am Rande der Legitimität erteilte Zulassungsverlängerung um „nur“ 18 Monate statt gewünscht mehrerer Jahre als „hochgradig politisch“ und „inhaltlich, wissenschaftlich grundlose Hängepartie“ kritisierte.

Weit besser stünde dem weltmächtigsten Saatgut-, Gentechnik –und Pharmakonzern ein glaubhaftes, an Europas Bürgerinnen und Bürger gerichtetes Eheversprechen zu Gesicht, dass gekaufte Wissenschaft und eine Einmischung in politische Entscheidung zum Schutz von Umwelt und Gesundheit keine willkommene Mitgift sind.

Mit dem heute in der europäischen Ausgabe von Politico erhobenen Vorwurf, dass die Bayer AG die Zulassung berüchtigter Bienenkiller mit Unbedenklichkeitsstudien unterstützt hat, sind es Monsanto, Bayer und Co. selbst, die das Vertrauen in die vehement eingeforderte wissenschaftliche Basis von Entscheidungen und damit in die europäische Politik untergraben. Ein bestehendes Teilverbot von Neonikotinoiden muss noch 2017 verlängert werden. Auch dagegen herrscht extremer Lobbydruck.

Das muss ein Ende haben. Europa sollte der Vertrauenskrise eine Vertrauensoffensive entgegen stellen. Eine vollständige Aufklärung ist ein unerlässlicher erster Schritt. Auf Initiative der Grünen/EFA-Fraktion hat heute eine Gruppe von EU-Abgeordneten verschiedener Fraktionen den Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker in einem Brief aufgefordert, keine Entscheidung über die Zulassung von Glyphosat zu treffen, solange nicht klar ist, ob die Europäischen Agenturen bei ihrer Beurteilung des Pestizids Studien verwendet haben, die manipuliert worden sind.

Dabei geht es nicht nur um Glyphosat. Die EU-Zulassungsverfahren für Pestizide und gentechnisch veränderte Organismen gehören ganz grundsätzlich auf den Prüfstand. Nicht zuletzt weil der Fall Glyphosat zeigt, dass beides zusammenhängt. Denn viele der gentechnisch veränderten Pflanzen, über deren Import und Anbau in der EU übrigens am 27. März in großer Zahl entschieden wird, sind auf das Pestizid abgestimmt.

Als damals noch designierter Präsident hatte Jean-Claude Juncker vor wenigen Jahren vor unserer Fraktion mit dem Versprechen geworben, das EU-Zulassungsverfahren für Pestizide zu reformieren und zu demokratisieren. Eine tatsächliche Initiative ist der Kommissionschef bis heute schuldig geblieben.

Die EU-Mitgliedsstaaten sollten sich allerdings hüten, den Schwarzen Peter „an Brüssel“ abzuschieben. Sie selbst haben zu verantworten, ob sie am kommenden Montag noch nicht einmal geprüfte Gentechnik-Mais-Sorten für die Verwendung in Lebens- und Futtermitteln zulassen oder das De-Facto-Anbaumoratorium für Genmais beenden.

Politische Entscheidungen dieser Tragweite gehören ins Licht der Öffentlichkeit und nicht in die geschlossenen Hinterzimmer sogenannter Expertenausschüsse, in dem Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten nicht öffentlich abstimmen.

Nur wenn Entscheidungswege nachvollziehbar und politisch Verantwortliche erkennbar sind, können Bürgerinnen und Bürger in Europa vertrauen. Die Europäische Agrar- und Umweltpolitik ist seit ihrer Gründung ein Grundpfeiler dieser Gemeinschaft. Achtzig Prozent aller Bürger vertrauen der EU dabei mehr als ihren eigenen Regierungen. Umso weniger sollte sich „die EU“ daher haftbar machen lassen.

Sollte es am Montag zu den befürchteten Zulassungen kommen, hat das die Bundesregierung Europa eingebrockt. Wer wie die Bundesminister Barbara Hendricks und Christian Schmidt Gentechnik in Deutschland ablehnen, muss auch in Brüssel mit „Nein“ stimmen, anstatt mit einer Enthaltung Deutschlands genau das Gegenteil zu ermöglichen.

Es wird höchste Zeit für gründliche Reformen und transparentere Regeln. Damit die Demokratie umgeht in Europa. Und nicht Gespenster.