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Süddeutsche Zeitung - Die Zulassung von Stoffen in der EU hakt oft - Kommissionschef Juncker will das ändern

Brüssel - Komitologie ist ein typisches Brüssel-Wort, das niemand gerne in den Mund nimmt, weil es so kryptisch klingt. Es geht um einen Teil der Brüsseler Gesetzgebung, bei dem über besonders komplexe Materien entschieden wird. Etwa die Zulassung eines umstrittenen neuen Stoffs. Darum kümmern sich dann Expertenausschüsse in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission. In der Regel funktioniert das. Was aber, wenn sich die nationalen Vertreter im Expertenausschuss nicht entscheiden können oder wollen?

So geschah es im Fall des umstrittenen Insektizids Glyphosat. Deutschland, das koalitionspolitisch in der Frage gespalten war, enthielt sich der Stimme, obwohl ein EU-Institut eine Krebsgefahr des Produkts klar verneint hatte. Und erst vor Kurzem hatten sich die EU-Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel nicht auf die Zulassung dreier Genmais-Sorten verständigen können. Auch hier hatten sich Deutschland und andere Staaten enthalten.

Am Ende bleibt die Entscheidung an der Kommission oder sogar einzelnen Beamten hängen, ein Zustand, den Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seit Längerem beenden möchte. Am Dienstag legte seine Behörde entsprechende Vorschläge vor. Juncker ist daran gelegen, dass die nationalen Regierungen auch zu ihren Meinungen stehen und die Verantwortung nicht auf Brüssel abwälzen können. Allein in den Jahren 2015 und 2016 musste die Kommission nach eigenen Angaben in 17 Fällen über die Zulassung von heiklen Produkten und Substanzen entscheiden, weil die Mitgliedstaaten keine Einigung zustande brachten.

Im Kern besteht der Vorschlag der Kommission aus vier Teilen. Zum einen will die Behörde die Regeln so ändern, dass Enthaltungen bei der letzten Abstimmung im zuständigen Ausschuss nicht länger mitgezählt werden. So fiele es leichter, zu einer qualifizierten Mehrheit zu kommen. Zum zweiten soll das Stimmverhalten auf dieser Ebene öffentlich gemacht werden, um Drückebergerei zu verhindern. Zum dritten bittet die Kommission um das Recht, eine Angelegenheit nach erfolglosen Verhandlungen an die Mitgliedstaaten zurückweisen zu dürfen. Und viertens sollen sich bei anhaltender Entschlussschwäche die zuständigen nationalen Minister der Sache annehmen müssen. Ob die nationalen Regierungen und das Europäische Parlament die Vorschläge billigen, ist offen.

Lobby-Verbände äußerten Bedenken, dass heikle Entscheidungen nun stärker politisiert werden könnten. Vertreter von Pharma-, Chemie- und Agrarkonzernen warnten die Kommission in einem gemeinsamen Appell vor den Folgen, die „das Ende eines wissensbasierten Systems für Forschung, Innovation und Investitionen“ haben könnte. Der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling sagte, solche Entscheidungen dürften gar nicht in Expertengremien oder von der Kommission getroffen werden. „Sie gehören in die öffentliche Diskussion, in der Politiker Verantwortung übernehmen müssen.“  




Dokument SDDZ000020170215ed2f0001b