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Wiesbadener Kurier: Hessen -- Von Ulrike Würzberg

BRÜSSEL/WIESBADEN - Beim „Milchgipfel“ hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) den 75.000 deutschen Milchbauern 100 Millionen Euro Nothilfe versprochen.
Viele Bauern fürchten um ihre Höfe, nachdem der Preis für einen Liter Milch auf teilweise unter 20 Cent gesunken ist. Um die Kosten decken zu können, sind ihren Angaben zufolge mindestens 35 Cent nötig. Wir sprachen darüber mit Biobauer Martin Häusling, der für die Grünen im Europaparlament ist.

Herr Häusling, vor etwa einem Jahr hat die EU die Milchquote aufgehoben. Jetzt sprechen die Bauern von einer Milchmarkt-Krise und fürchten den Ruin, weil die Preise fallen. Hat die EU die Krise ausgelöst?

Schon vor dem Ende der Milchquote wurden Warnungen über steigende Milchmengen sowohl von der EU-Kommission, als auch von Bauernverband und Milchindustrie ignoriert. Man versprach den Bauern, all ihre Milch abzunehmen, vergaß aber dabei zu erwähnen, zu welchem Preis. Die Molkereien hatten mit Aussicht auf das Ende der Quote die Eroberung des Weltmarktes ausgerufen und werden der Menge nun nicht mehr Herr, weil der Weltmarkt die Menge nicht schluckt. Und die Milchbauern wissen sich bei den niedrigen Erzeugerpreisen nicht anders zu helfen, als die Produktion noch weiter zu steigern, um damit das Einkommen zu halten.

Was war der Grund, die Quote abzuschaffen?

Die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten und eine Mehrheit im EU-Parlament gingen und gehen nach wie vor davon aus, dass Deregulierung und Exportorientierung wirtschaftliche Vorteile für Europas Agrarwirtschaft mit sich bringen. Bei den Bauern bleibt davon aber nichts hängen.

Wäre es sinnvoll, die EU-Milchquote wieder einzuführen?

Nein, die Quote hat, so wie sie damals konstruiert war, nicht funktioniert. Wir Grünen wollen eine flexible Mengensteuerung auf EU-Ebene, angepasst an den europäischen Bedarf. Die Milch-Verkaufstour von Agrarkommissar Phil Hogan um den Globus, mit der er noch mehr Milch auf dem Weltmarkt verramschen will, trägt meiner Meinung nach nicht zu einer Lösung der Preiskrise bei.

Deutsche Milchbauern kritisieren, dass in der EU jeder Mitgliedsstaat nur seine eigenen Interessen verfolgt und versucht, die EU-Gesetze zu beeinflussen. Welche Beispiele gibt es dafür?

Dafür gibt es vor allem deutsche Beispiele. Deutschland hat jegliche Diskussion über konstruktive Vorschläge zur Regulierung des Milchmarktes immer abgeblockt, weil Deutschland der größte Milchproduzent in Europa und ganz besonders am Export interessiert ist. Die deutschen Erzeugerpreise gehören mit zu den niedrigsten und haben den Erzeugern in anderen EU-Ländern oft die Verhandlungen erschwert, zum Beispiel in Frankreich, weil französische Molkereien die Milch dann einfach in Deutschland eingekauft haben. Deutschland hat sich hier nicht rühmlich für eine europäische Lösung eingesetzt.

Der Deutsche Landwirtschaftsminister Schmidt hat den Milchbauern 100 Millionen Euro und Steuerentlastungen versprochen, auch die EU hat Stützprogramme und Nothilfen zugesagt. Hilft das aus der Krise?

Minister Schmidt macht mit seinem Milchgipfel reine Schaufensterpolitik – auf Kosten von Familien-Existenzen. Milchbauern in dieser Lage nur vergünstigte Kredite anzubieten, nenne ich einfach nur zynisch. Nun wird zwar die Krise allseits anerkannt, und man ist allseits sehr betroffen ob des Schicksals der Milchbauern. Aber das einzige Instrument, das etwas bringen würde, um diesen Strukturbruch noch aufzuhalten, nämlich eine verbindliche Mengenregulierung, scheut man weiterhin wie der Teufel das Weihwasser.

Was schlagen Sie vor, um das Problem der Überproduktion generell zu lösen? Oder ist das gar nicht zu machen, weil auch die Milchwirtschaft vom Export und damit politischen und wirtschaftlichen Krisen in aller Welt abhängt?

Man muss die europäische Agrarproduktion ja nicht zwingend so einseitig auf den Export ausrichten. Dies funktioniert nämlich nur zu Weltmarktpreisen, aber zu denen können europäische Erzeuger langfristig mit unseren Standards nicht kostendeckend produzieren. Wir müssten in Europa mehr auf eine nachhaltige, ressourcenschonende und tiergerechte Landwirtschaft setzen, die sich auf die eigenen lokalen Verarbeiter und Märkte besinnt. Mehr regionale Produktion, mehr regionales Handwerk, mehr regionaler Handel. Das generiert auch mehr Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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