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Frankfurter Rundschau - Von Stefan Sauer

Artensterben in Deutschland hat unheimliche Ausmaße angenommen / Grüne fordern andere Landwirtschaft

Der Wolf ist zurück. Es gibt wieder Uhus in deutschen Wäldern. Seeadler brüten in stattlicher Zahl, Kraniche sind keine Seltenheit mehr, die Seehundbestände haben sich erholt. Offenbar kehren immer mehr Wildtierarten in Lebensräume zurück, die für sie lange verloren schienen. Doch dieser Eindruck trügt. Ungeachtet spektakulärer Einzelerfolge verschwinden Tier- und Pflanzenarten aus Deutschland in rasantem Tempo. Und zwar vor allem der konventionellen Landwirtschaft wegen.

Mit dieser Botschaft machen die Grünen unmittelbar vor dem Start der Grünen Woche auf die Schattenseiten des Überflusses aufmerksam, den mehr als 1200 Aussteller aus aller Welt vom 15. bis 24. Januar auf dem Berliner Messegelände am Funkturm präsentieren werden. Dabei wenden sich die Grünen ausdrücklich nicht gegen die Bauern, sondern gegen die Methoden der auf Masse angelegten Erzeugung und ihre Folgen. Das zeigt eine Studie zum Artenschwund mit dem Titel "Wir sind dann mal weg", die der Wissenschaftsautor Stephan Börnecke im Auftrag des grünen Europaabgeordneten Martin Häusling erstellt hat.

Die Liste der Sünden, die Börnecke aufzählt, ist lang: Pestizide belasten Mikroorganismen, Insekten und Vögel, Mähtermine werden ohne Rücksicht auf Brutzeiten festgesetzt, Monokulturen laugen die Böden aus, Überdüngung vernichtet Wildkräuter und gefährdet das Grundwasser, Brachflächen verschwinden ebenso wie zahlreiche Nützlinge, allen voran die Biene.

Nach Angaben des schleswig-holsteinischen Umwelt- und Agrarministers Robert Habeck (Grüne) sind 35 Prozent der Vogelarten, gut die Hälfte aller Käfer und Amphibien sowie fast 90 Prozent der Reptilien im Lande verschwunden oder stark vom Aussterben bedroht. Laut Börneckes Studie leben heute in der EU 421 Millionen Feldlerchen, Braunkehlchen und Wiesenpieper weniger als noch 1980.

Das wohl krasseste Beispiel aber ist das Rebhuhn. Der Bestand des einst weit verbreiteten Vogels ist nach einer Erhebung des European Bird Census Council seit 1980 um 94 Prozent zurückgegangen. Laut Börnecke brachten allein die Jäger in Hessen vor einem halben Jahrhundert noch 100 000 Rebhühner pro Jahr zur Strecke. Mittlerweile, da der Bestand im Bundesland auf 3000 Tiere geschrumpft ist, wird immerhin auf die Jagd verzichtet. Anders beim Feldhasen, von dem in den 50er Jahren noch 100 000 Exemplare pro Jagdsaison geschossen wurden: Mittlerweile ist die Zahl der erlegten Hasen auf jährlich 3200 gesunken.

Dabei geht es nicht einfach um den Verlust niedlicher Langohren oder zwitschernder Feldvögel. "Der Artenverlust ist neben dem Klimawandel die größte globale Bedrohung", sagt Häusling. "Wir dürfen nicht zulassen, dass wir mit der Lebensmittelerzeugung unsere Lebensgrundlagen zerstören", ergänzt Habeck. Genau dies tut die EU-Landwirtschaftspolitik nach Ansicht der Grünen-Politiker seit Jahrzehnten. Mit 56 Milliarden Euro bezuschusst Brüssel Europas Landwirte jährlich, fünf Milliarden davon fließen nach Deutschland - "und zwar ohne jede ökologische oder anderweitig wünschenswerte Lenkungswirkung", wie Habeck kritisiert.

Das mit der letzten EU-Agrarreform 2013 beschlossene "Greening", mit dem ökologische Vorrangflächen als Überlebensinseln für Tier und Pflanzenarten eingerichtet werden sollen, wird sich nach Auffassung der Grünen-Politiker als unwirksam erweisen. Der hierfür vorgesehene Flächenanteil sei mit fünf Prozent viel zu klein, um ausreichend Lebensräume für bedrohte Arten zu bilden. Mindestens sieben, besser zehn Prozent wären notwendig.

Dabei werden nicht einmal die fünf Prozent erreicht, weil sich Betriebe mit weniger als 15 Hektar nicht am "Greening" beteiligen müssen. Damit bleiben 88 Prozent der deutschen Bauern, die knapp die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaften, außen vor. Und selbst die noch verbleibenden 2,5 Prozent an Greening-Fläche dienen nicht unbedingt der Artenvielfalt: Der Anbau von Zwischenfrüchten wie Luzernen und Lupinen nütze wohl dem Grundwasserschutz und binde überschüssigen Stickstoff, sei aber für die Biodiversität unerheblich, sagt Habeck. Selbst das bundeseigene Thünen-Institut für landwirtschaftliche Forschungen kam 2014 zu dem ernüchternden Schluss, dass vom Greening "voraussichtlich nur geringe Impulse für eine Verbesserung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ausgehen" werde.

Der Versuch, Schutzzonen für bedrohte Arten zu schaffen, wird wohl scheitern

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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