Grüne Europagruppe Grüne EFA

18.11.10 Dow Jones newswire

BRÜSSEL (Dow Jones)--Die Vorschläge der EU-Kommission zur stärkeren Ausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) an Umweltschutzbelangen und zur Neuverteilung der Fördermittel zu Lasten Deutschlands sind auf ein geteiltes Echo gestoßen: Während Agrarministerin Ilse Aigner, der Deutsche Bauernverband sowie Politiker verschiedener Parteien deutliche Kritik übten, äußerten sich Umweltschützer und Vertreter von SPD und Grünen grundsätzlich zustimmend. Das 15-seitige Grundlagenpapier, das EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos am Donnerstag in Brüssel präsentierte, enthält drei verschiedene Entwicklungsszenarien für die GAP nach 2013, die von einem Festhalten am Status quo bis hin zu einer Radikalreform reichen. Die EU-Kommission selbst plädiert für den Mittelweg: So will sie erreichen, dass die Direktzahlungen an Europas Landwirte künftig gerechter verteilt werden und außerdem aufgesplittet werden in eine Basis- und eine Umweltprämie.

Die Umweltprämie solle als Anreiz dienen und nur jenen Landwirten zu Gute kommen, die spezielle Naturschutzvorgaben erfüllen - beispielsweise das Einhalten einer bestimmten Fruchtfolge. Wie hoch die neue Basisprämie ausfällt, soll künftig nicht mehr von einem historischen Referenzzeitraum abhängen, sondern von mehreren objektiven Kriterien . Exakt definiert sind diese Bezugsgrößen noch nicht. Denkbar seien zum einen wirtschaftliche Kriterien, zum anderen Aspekte wie Erzeugungskosten, sagte Ciolos. Klarer gefasst werden sollen diese Kriterien - gemeinsam mit vielen weiteren Punkten, die das Strategiepapier noch offen lässt - im Sommer 2011: Bis dahin, so kündigte der Agrarkommissar an, werde die EU-Kommission konkrete Gesetzesvorschläge ausarbeiten. Über diese müssen dann der EU-Ministerrat und das Europäische Parlament verhandeln und gemeinsam entscheiden. Die neuen Vorschriften sollen am 1. Januar 2014 in Kraft treten.
Fest steht allerdings bereits jetzt: Setzt sich die EU-Kommission mit ihrem Grundgedanken der Subventionsneuverteilung durch, müssen Deutschlands Landwirte nach einer noch unbestimmten Übergangszeit mit deutlichen Mittelkürzungen rechnen. Außerdem sollen Obergrenzen für Subventionszahlungen an Großbetriebe eingeführt werden. Ausschlaggebend für solche Kappungen soll die Mitarbeiterzahl in den Unternehmen sein.
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nannte die Vorschläge der EU-Kommission eine gute Diskussionsgrundlage , sagte aber, sie rechne mit schwierige Verhandlungen auf nationaler und europäischer Ebene. Bei den Direktzahlungen werde es einen Angleichungsprozess zwischen West- und Osteuropa geben, räumte sie ein. Wir sind bereit, in begrenztem Umfang eine Angleichung zu akzeptieren, wehren uns aber gegen jeden Versuch der Gleichmacherei. Skeptisch zeigte sich Aigner auch gegenüber dem Vorhaben, Direktzahlungen über die neue Umweltprämie stärker als bisher an Naturschutzvorgaben zu knüpfen: Unserer Natur ist nicht geholfen, wenn am Ende nur die Bürokratie blüht. Nicht mittragen will die Bundeslandwirtschaftsministerin das Vorhaben der EU-Kommission, die Subventionen für große Betriebe abhängig von der Mitarbeiterzahl zu machen und ab einer bestimmten Höhe zu streichen. Diese Forderung lässt außer Acht, dass die Bewirtschaftung der Flächen nach hohen Qualitäts- und Umweltstandards von allen Betrieben unabhängig von der Betriebsgröße erbracht wird , so Aigner.
Auch der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) und der Deutsche Bauernverband (DBV) kritisierten diesen Plan: Der vorgeschlagene Ansatz sei in der Praxis kaum durchführbar, so der DRV. Überlegungen, Obergrenzen für Flächenzahlungen einzuführen, lehne man ab, hieß es in einer ersten DBV-Stellungnahme. Die EU-Kommission verzettle sich in ihren Vorschlägen, die vor allem zu neuerlichem bürokratischen Aufwand für die Bauern führten, so der DBV weiter. Der europäische Dachverband Copa-Cogeca schloss sich in diesem Punkt an: Der einzige konkrete Vorschlag in der Mitteilung der Kommission lautet, den europäischen Landwirten mehr kostenintensive Auflagen aufzubürden.
Skeptisch äußerten sich auch EU-Abgeordnete verschiedener Parteien: Vieles ist noch sehr pauschal formuliert , sagte Albert Dess (CSU), der das Thema GAP-Reform im Europäischen Parlament als Berichterstatter betreuen wird. Schwierig werde es nun, wenn diese pauschalen Vorgaben in konkrete Rechtsvorschriften umgewandelt würden. Außerdem mahnte er bei der Überarbeitung der EU-Agrarpolitik eine Vorgabe an, wonach Exporte aus Drittstaaten künftig dieselben Standards in Sachen Qualität, Verbraucherschutz und Tierschutz erfüllen müssten wie in Europa hergestellte Produkte. Zwar stehe in dem 15-seitigen Papier, dass der Verwaltungsaufwand für die Landwirte reduziert werden solle, sagte Dess. Doch beim ersten Durchlesen des Dokuments habe er Bedenken, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht werden könne.
Dieser Kritik schloss sich auch die FDP-Abgeordnete Britta Reimer an: Es fehlten konkretere Vorschläge zum Bürokratieabbau, sagte sie - ebenso wie solche zur Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft. Im Zusammenhang mit der geplanten Umschichtung der Fördermittel zu Gunsten osteuropäischer Bauern wies Reimers auf die im EU-Vergleich hohen Betriebskosten der deutschen Landwirte hin: Wir können die deutsche Landwirtschaft nicht exportieren. Deswegen ist eine einseitige Benachteiligung deutscher Bauern nicht akzeptabel.
Breite Unterstützung fanden die Pläne der EU-Kommission hingegen bei Politikern von SPD und Grünen: Die Förderung von Klimaschutz und Biodiversität stärker in den Verteilungsfokus zu rücken, sei sinnvoll, so die EU-Abgeordnete Ulrike Rodust (SPD). Die vorliegenden Vorschläge des Agrarkommissars weisen den Weg in die richtige Richtung , urteilte auch der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne). Jetzt wird es maßgeblich am Europäischen Parlament liegen, die guten Vorgaben zu nutzen und eine richtige Weichenstellung vorzunehmen. Häusling unterstützte Ciolos Vorstoß, die Direktzahlungen gerechter zu verteilen und die Mittel für Großbetriebe zu deckeln: Es gehe nicht nur um eine Umverteilung zwischen den Staaten, sondern viel mehr noch um eine Umverteilung innerhalb der Landwirtschaft, so Häusling. Die kleinen und mittleren Betriebe dabei in den Fokus zu nehmen, ist längst überfällig.
Grundsätzlich positiv äußerten sich auch Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, NABU, WWF und BUND: Sie begrüßten insbesondere die geplante stärkere Ausrichtung der Agrarpolitik an Umweltschutz-Kriterien. Im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung habe Brüssel damit anerkannt, dass es keine Alternative zu einer grundlegenden Reform gebe, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Martin Hofstetter, Agrarexperte bei Greenpeace, nannte die Pläne wegweisend , warnte aber: Aus dem gut gemeinten Reformvorschlag könnte am Ende - wegen des Widerstandes einzelner Mitgliedsstaaten - nur ein Reförmchen werden.
Mirjam Stöckel

 

Copyright 2010 Dow Jones News GmbH. All Rights Reserved
DJG/mis/pio/18.11.2010 [ 18-11-10 1536GMT ]
90117 90824 90846 90847
Document VWDUNT0020101118e6bi000b9